Namen & Neues
"Die Leute halten uns für blöde": Einen Schulentwicklungsplan wird es im Südwesten vorerst nicht geben
Veröffentlicht am 30.01.2020 von Boris Buchholz
Wo müssen neue Schulen entstehen, wo müssen Schulen größer werden – und wie könnten sie das stemmen? Gibt es ausreichend Integrierte Sekundarschulen im Bezirk? Und wie sieht es mit den Förderschulen aus – haben wir ausreichend Schulplätze in Steglitz-Zehlendorf? Diese Fragen klärt ein Schulentwicklungsplan. Fachleute erklären seine Bedeutung so: Der „Schulentwicklungsplan stellt eine wichtige Grundlage für die Arbeit der Verwaltung und der Politik dar, um diejenigen Entscheidungen vorbereiten und durchführen zu können, die bestmögliche Lehr- und Lernbedingungen für die Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler garantieren.“ Das schrieb 2014 die damalige Bildungsstadträtin im Vorwort des bezirklichen und bisher jüngsten Schulentwicklungsplans 2014-2018, das Planwerk im DIN-A4-Format umfasst exakt 201 Seiten. Sechs Jahre später ist Cerstin Richter-Kotowski (CDU) Bezirksbürgermeisterin, ihr Nachfolger als Bildungsstadtrat ist ihr Parteikollege Frank Mückisch – und einen aktuellen Schulentwicklungsplan gibt es nicht.
„Der Planungsbereich im Schulamt war mit den operativen Aufgaben beschäftigt“, versuchte der Stadtrat in der Januar-Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) sich für den Umstand zu entschuldigen, dass es bisher keinen Schulentwicklungsplan 2019-2023 gibt. Und es gebe noch weitere Gründe für das Fehlen des Plans: Es würden keine Expertise mehr im Bezirksamt für solche Planwerke bestehen, die Schülerzahlen hätten sich sprunghaft entwickelt, eine Prognose für fünf Jahre sei unmöglich zu erstellen, die Datenlage sei schwierig, selbst die Senatsverwaltung stochere im Dunkeln. Außerdem seien die Ausführungsvorschriften der Senatsschulverwaltung zur Schulentwicklungsplanung 2017 ausgelaufen – und eine neue AV SEP gäbe es nicht. „Ich will damit deutlich machen, dass die bisherigen Instrumente – und dazu gehört der Schulentwicklungsplan – nicht mehr zeitgemäß sind“, erklärte der Bildungsstadtrat. Im Klartext: Eine Planung, wie die Schulen im Bezirk den Anforderungen der nächsten Jahre gerecht werden sollen, wird es auch in naher Zukunft nicht geben. Stattdessen, so Frank Mückisch, gäbe es ja das jährliche Monitoring, das der Bezirk zusammen mit der Senatsschulverwaltung erstellt.
Also einen Blick in den Monitoring-Bericht 2018 geworfen – einen von 2019 gibt es noch nicht. Gleich im ersten Absatz beschreiben Senat und Bezirk, was die Aufgabe des Monitorings ist – nämlich „die Realentwicklung zu beobachten und von der Prognose abweichende Entwicklungen kurzfristig zu identifizieren“, und dadurch ein „langfristig nachhaltiges Standortnetz herzustellen“. Es ist wie im Sportverein: Erst wird in der Mitgliederversammlung festgelegt, welche Ziele langfristig erreicht werden sollen (Schulentwicklungsplan) und dann wird regelmäßig und naturgemäß rückwirkend überprüft, ob man diesen Zielen näher kommt und man hier oder da nachsteuern muss (Monitoring-Verfahren). Ohne Prognose und langfristigere Planung macht also auch das Monitoring nur begrenzten Sinn – vor allem wenn man bedenkt, wie lange es im Land Berlin dauert, eine Schule neu zu planen (oder auch nur einen Ersatzcontainer auf den Schulhof zu stellen).
Entsprechend ungehalten regierte die SPD-Bezirksverordnete Eva Reitz-Reule auf die Ausführungen des Stadtrats – ihre Fraktion hatte das Thema auf die Tagesordnung des Lokalparlaments gesetzt: Er hätte „den Beschluss der BVV ignoriert“, bis Oktober 2019 einen neuen Schulentwicklungsplan aufzustellen, warf sie Frank Mückisch vor. „Hat der Bezirk überhaupt das Interesse, ein attraktives Schulnetz weiterzuentwickeln – oder hat man den Überblick verloren?“, fragte sie in die Runde.
Es ist kurios: In dem erwähnten Aufstellungsbeschluss der BVV vom 15. Mai 2019 hatte die schwarz-grüne Mehrheit den Zusatz „wie durch Amtshandeln weitgehend abgeschlossen“ eingefügt – als ob zu diesem Zeitpunkt ein fast fertiger Schulentwicklungsplan in der Schreibtischschublade des Stadtrats gelegen hätte. Hans-Walter Krause (Linke) kritisierte den Stadtrat scharf: Im Ausschuss werde der Eindruck vermittelt, „wir werden das schaffen“, jetzt plötzlich sei der Schulentwicklungsplan nicht mehr zeitgemäß und werde nicht kommen. Clemens Escher (CDU) sprang seinem Stadtrat zur Seite: Es sei hauptsächlich ein Problem des Personals, sagte er, „Leute mit statistischem Know-How – die gibt es einfach nicht mehr“. Es sei also nicht fehlender Wille gewesen, das Schulamt habe den Plan-Wünschen schlicht nicht folgen können. Sein Fraktionskollege Harald Mier gab den Schwarzen-Planungs-Peter bereitwillig an den rot-rot-grünen Senat weiter: „Die planen nicht, wie soll da der Bezirk planen?“
„Die Leute halten uns für blöde“, konterte die Fraktionsvorsitzende der FDP, Mathia Specht-Habbel. Von dem ewigen Hin und Her zwischen Bezirk und Senat habe sie genug. Stattdessen mahnte sie an, konkret mehr Schulplätze in Grundschulen zu schaffen: „Wir haben große Probleme in Lankwitz, wir haben große Probleme in Steglitz.“
Das sieht Ulrike Kipf, Vorsitzende des Bezirkselternausschusses Schule, ähnlich. „Die Situation an den Grundschulen insbesondere in Steglitz, Lankwitz und Lankwitz-Ost ist in der Tat extrem angespannt“, erklärte sie auf Nachfrage des Tagesspiegels. „Die Grundschulen sind sehr voll und können die steigenden Schüler*innenzahlen nur schwer aufnehmen.“ Braucht also der Bezirk ein Planwerk? „Natürlich“, antwortete sie, auch Steglitz-Zehlendorf brauche „eine gewisse Planungssicherheit“ für „eine bedarfsgerechte Entwicklung der schulischen Angebote“. Aber: „Es sind sich alle einig, dass ein 5-Jahresplan zu statisch ist und der hohen aktuellen Dynamik in der Entwicklung der Schüler*innenzahl nicht mehr gerecht wird.“ Sie kritisiert, dass die Planungsdaten und Berechnungsparameter im Monitoring-Verfahren „nicht immer zutreffend“ seien, „was nicht nur in unserem Bezirk zu deutlichen Schulplatzproblemen führt“. Deshalb würden sich sowohl der Bezirks- als auch der Landeselternausschuss dafür einsetzen, „alle potenziellen Flächen für Schulneubau und Erweiterungen zu sichern“.
Extreme Probleme in Lankwitz, Lankwitz-Ost und Steglitz? Dazu steht im Monitoring-Bericht 2018 nichts. Für die Schulplanungsregionen Steglitz und Lankwitz-Ost ist lediglich die Prognose „Bedarf steigt leicht“ vermerkt. Von Dringlichkeit keine Spur. Und für die anderen sieben Planregionen – inklusive Lankwitz – steht ein dickes OK im Monitoring-Bericht: „Bedarf bleibt gleich“.
Übrigens steht in dem zehnseitigen Dokument – Sie erinnern sich: Der von der Bezirksbürgermeisterin oben gelobte Schulentwicklungsplan 2014-2018 umfasste 201 Seiten – auch noch, dass die Pestalozzi-Grundschule abgeschafft werden solle. Berliner Schnee von vorgestern: Im Februar 2018 beschloss die BVV einstimmig und gegen die Empfehlung von Schulstadtrat Frank Mückisch, dem Schulamt und der Schulaufsicht, dass die Pestalozzi-Schule erhalten werden solle. „Ohrfeige für den Bildungsstadtrat“ titelte ich damals (hier online zum Nachlesen). Der Monitoring-Bericht 2018 wurde im September 2018 mit dem Bezirksamt abgestimmt – ganz „zeitgemäß“ ist dieses vemeintliche Kontroll- und Planwerk wahrlich nicht. – Text: Boris Buchholz
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