Namen & Neues
"Eine Videokonferenz ist vorzugswürdig": Laut Senat sind digitale Sitzungen des Bezirksparlaments rechtlich möglich
Veröffentlicht am 02.04.2020 von Boris Buchholz
Die zwölf Berliner Bezirksparlamente befinden sich in der Corona-Auszeit. Fast alle Aussschuss- und Plenumssitzungen sind vorerst abgesagt. Doch was passiert da in Lichtenberg? Die Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung, Soziales, Wirtschaft und Arbeit (ich staune: das Ressort „Arbeit“ gibt es im Südwesten Berlins nicht), Birgit Monteiro (SPD), ist zurückgetreten – und ihr Nachfolger, zur Wahl steht der derzeitige SPD-Fraktionsvorsitzende Kevin Hönicke, wird nicht in der Sitzung der Bezirksverordneten gewählt, sondern per Brief. Bis zum 3. April müssen die Bezirkparlamentarier schriftlich ihre Stimme abgeben, am 6. April wird ausgezählt (mein Kollege Robert Klages berichtete auf tagesspiegel.de). Die Brief-Wahl eines Stadtrats (oder einer Stadträtin) ist ein Unikum in der parlamentarischen Geschichte der Bezirke.
Doch das Coronavirus könnte noch weitere Innovationen in Bezug auf die bezirkliche Demokratie möglich machen. Die Südwest-FDP fordert das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf auf, auch digitale Bezirksverordnetenversammlungen möglich zu machen. „Das Ziel, eine vollwertige BVV auch ohne körperliche Anwesenheit von Bezirksverordneten und Bezirksamt abhalten zu können, ist möglich“, sagt Lars Rolle, FDP-Bezirksverordneter und Autor eines entsprechenden Antrags. Er fährt fort: „Ich fordere daher schnellstmöglich die Einrichtung einer Videokonferenz, damit alle Bezirksverordneten auch in Krisenzeiten ihrer Verantwortung als gewählte Mandatsträger gerecht werden können.“
Rechtlich wäre das möglich, urteilt die Senatsinnenverwaltung. „Ausnahmsweise könnten BVVen in der gegenwärtigen Situation ihre Sitzungen z.B. als Videokonferenz durchführen, sofern dies technisch unter Wahrung aller sonstigen Vorgaben z.B. bzgl. der Beschlussfähigkeit möglich ist“, heißt es in einem internen Vermerk des Referats IA, das unter anderem für Staats- und Verwaltungsrecht sowie für Bezirksangelegenheiten zuständig ist. Der Vermerk liegt dem Tagesspiegel vor. Telefonkonferenzen seien „ebenfalls denkbar“. Ein schriftliches Umlaufverfahren um Entscheidungen herbeizuführen lehnen die Experten des Innensenator allerdings ab. Denn als „parlamentsähnliches Gremium ist der direkte Austausch der BVV-Mitglieder wesentlicher Bestandteil der Tätigkeit und für die Meinungs- und Willensbildung essentiell“.
Große Bedeutung hat für die Senatsinnenverwaltung die Beteiligung der Öffentlichkeit. „Eine Videokonferenz ist gegenüber einer Telefonkonferenz vorzugswürdig“, heißt es im schönsten Behördendeutsch, denn so seien sowohl Abstimmungen per Handzeichen als auch die öffentliche Übertragung per Livestream möglich. Für uns im Südwesten sehr interessant ist der Senats-Hinweis, dass Livestreams von BVV-Sitzungen „in vielen Bezirken bereits praktiziert wird“. Hier ist Steglitz-Zehlendorf noch Entwicklungsland; enstprechende Initiativen von FDP und Linken verliefen in den letzten Jahren stets im parlamentarischen Sand.
Wäre diesen Initiaven in der Vergangenheit gefolgt worden, „wären wir in dieser Infektionszeit weiter“, erklärt FDP-Fraktionsvorsitzende Mathia Specht-Habbel, „unsere Bürgerinnen und Bürger könnten ohne Gesundheitsrisiko am kommunalpolitischen Leben teilnehmen.“ Das sei doch „gerade in Zeiten von Homeoffice und Quarantäne ein interessanter ‚Zeitvertreib'“.
Die BVV als Videokonferenz? Die Debatte der Lokalparlamentarier als Stream im Internet? Es wäre zeitgemäß und würde die bezirkliche Demokratie krisen- und coronasicherer machen. Allerdings hat es die Verwaltung im Rathaus Zehlendorf bisher noch nicht einmal geschafft, im Sitzungssaal ein funktionierendes WLAN einzurichten (von immer wieder auftretenden Macken der Tonanlage ganz zu schweigen). Damit steht der Bezirk nicht alleine: Auch der parlamentarische Betrieb im Abgeordnetenhaus ist bisher auf Video-Sitzungen und digitale Abstimmungen nicht vorbereitet. Doch ab dem 20. April sollen alle Ausschussitzungen im Fernsehen übertragen und im Internet gestreamt werden; als Partner für die Technik hat sich das Parlament den Fernsehsender „Alex TV“ an seine Seite geholt.
Das stimmt zuversichtlich. Der Bezirk sollte schnell nachziehen. Was andere Bezirke können, können wir auch. Das lokale Parlament muss arbeiten – und die Bürgerinnen und Bürger müssen daran teilnehmen können. – Text: Boris Buchholz
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