Namen & Neues
Unikum in Berlin: Steglitz-Zehlendorf hat keinen Flüchtlingskoordinator mehr
Veröffentlicht am 04.02.2021 von Boris Buchholz
Unikum in Berlin: Steglitz-Zehlendorf hat keinen Flüchtlingskoordinator mehr. Im Bezirk leben allein in den sechs Einrichtungen des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten um die 1.900 geflüchtete Menschen – hinzukommen mehrere hundert Menschen, die in den über ein Dutzend „gewerblichen“ Unterkünften wohnen, die vom Bezirk belegt werden. Und dann sind da noch die Flüchtlinge, die eine eigene Wohnung oder ein WG-Zimmer gefunden haben und aus den Gemeinschaftsunterkünften ausziehen konnten. Eine genaue Zahl aller Flüchtlinge im Bezirk ist nicht bekannt – bekannt ist allerdings: Diese weit über 2.000 Neu-Berliner sollen sich in ihre Nachbarschaften integrieren, sollen die Schule besuchen, Deutsch lernen, einen Job finden. Dafür benötigen Sie Hilfe.
Um diese Hilfen zu vernetzen, Interessen zu bündeln, Gemeinsamkeiten zu entdecken sowie zwischen Verwaltung, Initiativen, Wohlfahrtsverbänden und Heimbetreibern zu vermitteln, haben die Berliner Bezirke Stellen für Flüchtlingskoordinatoren und -koordinatorinnen eingerichtet. Korrektur, fast alle Bezirke haben eine solche Stelle. Denn seit dem 31. Dezember 2020 gibt es in Steglitz-Zehlendorf die Stelle nicht mehr.
Die Geschichte: Im Jahr 2015 stellte die Senatsfinanzverwaltung allen Bezirken Geld für die Flüchtlingskoordination bereit; befristet war das Senatsengagement bis zum 31. Dezember 2020. Danach mussten die Bezirke die Stelle aus ihrem eigenen Haushalt finanzieren. In den Haushaltsberatungen des Bezirkes für den Doppelhaushalt 2020/21 habe das Bezirksamt „Auswahlentscheidungen“ treffen müssen, berichtet Gesundheits-, Jugend- und Integrationsstadträtin Carolina Böhm (SPD). „Hierbei wurde die Stelle des Flüchtlingskoordinators über 2020 hinaus leider nicht berücksichtigt“, sagt sie auf Nachfrage des Tagesspiegels. Im frei übersetzten Klartext: Der Mehrheit im Bezirksamt von CDU und Grünen waren andere Stellen wichtiger als der bezirkliche Flüchtlingskoordinator. Die Konsequenz: Der ehemalige Koordinator arbeitet seit dem 1. Januar 2021 im Jugendamt.
Verwunderung. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Runden Tischs Flüchtlingsarbeit Steglitz-Zehlendorf waren gelinde gesagt erstaunt, als sie im Januar von der abgeschafften Stelle des Flüchtlingskoordinators erfuhren. „Damit ist Steglitz-Zehlendorf der einzige Berliner Bezirk, in dem es diese Schnittstelle zwischen den Betreibern der Unterkünfte, den Fachverwaltungen, der Zivilgesellschaft und den entsprechenden Akteuren auf Landesebene nicht mehr gibt“, schreiben Ursula Breidach, Cornelia Dannenberg und Günther Schulze für das Willkommensbündnis für Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf in einem Brief an das Bezirksamt. Mit der Stellenstreichung werde auch dokumentiert, dass der Bezirk der Integration der Neu-Berliner nicht mehr die angemessene Bedeutung zumesse, so das Ehrenamtlichen-Bündnis. An Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) richten die Aktiven die Bitte: „Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie dieses Defizit schnellstmöglich beheben würden.“
Dem Tagesspiegel sagte die Bürgermeisterin am Mittwoch: „Ich stelle die Bedeutung der Stelle nicht in Abrede.“ Doch habe der Bezirk vom Senat kein weiteres Geld bekommen, um den Flüchtlingskoordinator über das Jahr 2020 hinaus zu finanzieren. Eine andere Finanzierung sei nicht möglich gewesen.
Jetzt muss sich das Büro der Integrationsbeauftragten, in dem die Koordinatoren-Planstelle weggebrochen ist, behelfen. „Das Bezirksamt misst den Aufgaben der Flüchtlingskoordination weiter eine hohe Bedeutung zu“, erklärt Stadträtin Böhm, „daher werden die Aufgabenstellungen im Büro der bezirklichen Integrationsbeauftragten umstrukturiert und neu priorisiert“. Ein zweites Mal Klartext: Weniger Mitarbeitende sollen die gleichen Aufgaben bearbeiten wie zuvor. Was natürlich nicht klappen kann. „Steglitz-Zehlendorf wird nicht auf eine Flüchtlingskoordination verzichten“ – die Worte von Carolina Böhm klingen fast trotzig.
Text: Boris Buchholz
Foto: Oliver Hamann
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