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Den Regelunterricht meistern lernen: Im Südwesten starten an sechs Schulen Temporäre Lerngruppen Plus

Veröffentlicht am 11.03.2021 von Boris Buchholz


Homeschooling. Corona sorgt bei vielen Schülern für Probleme – psychosoziale Auffälligkeiten nehmen zu. (Foto: Imago)

 

Den Regelunterricht meistern lernen: Im Südwesten starten an sechs Schulen Temporäre Lerngruppen Plus. Es kommt in allen Wohnlagen vor: Manche Kinder und Jugendliche ziehen sich in der Schule zurück, andere können sich nicht gut konzentrieren, wieder andere sind aggressiv oder sehr stark mit sich selber beschäftigt. Für Schülerinnen und Schüler, „die Schwierigkeiten haben, in vollem Umfang am Regelunterricht teilzunehmen“, wird es ab dem Frühjahr an vier Grundschulen und zwei Integrierten Sekundarschulen in Steglitz-Zehlendorf neue Hilfen geben, die sogenannten Temporären Lerngruppen Plus.

Was das ist? Joachim Strieben, er trägt den sperrigen Titel „Koordinator für die Kooperation von Schule und Jugendhilfe im Bezirk Steglitz-Zehlendorf“, erklärt das Konzept am Telefon so: Wenn ein Kind in seiner Klasse dem Unterricht nicht mehr folgen kann, könne es „für einen bestimmten Zeitraum“ einen Teil der Unterrichtszeit in einer Temporären Lerngruppe Plus verbringen. Maximal acht Schülerinnen und Schüler sollen die Gruppen groß sein, betreut würden die Kinder und Jugendlichen von einer Lehrkraft sowie einem Sozialpädagogen. In der Kleingruppe werde nicht nur der reguläre Stoff bearbeitet, sondern auch an der Konzentrationsfähigkeit, an der sozialen Kompetenz oder am Aggressionsabbau gearbeitet – je nach den Bedürfnissen der Kinder, ganz individuell. Ganz wichtig sei bei dem Konzept, dass die Schüler Teil ihrer Klasse bleiben, „man will nicht aussondern“. Die Lerngruppe kommt pro Tag nur für einige Unterrichtsstunden zusammen, den Rest der Schulzeit verbringen alle Schüler im Klassenverbund. Das Ziel sei es, den Kindern und Jugendlichen die Teilnahme am kompletten Regelunterricht möglichst schnell wieder zu ermöglichen. Alles hänge von der individuellen Entwicklung ab, sagt Joachim Strieben: Der Eine werde nach einem halben Jahr die Temporäre Lerngruppe Plus wieder verlassen, die Andere brauche etwas länger. Werde ein Platz frei, rücke der nächste Schüler nach. „Es sind Maßnahmen der Inklusion“, sagt der Experte der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie.

Erst seit Ende 2020 gibt es die Rahmenvorgabe der Senatsverwaltung für die neue Hilfsform. Das Konzept der Temporären Lerngruppen Plus werde in diesem Frühjahr erstmalig umgesetzt, es sei in der Erprobung, erläutert Joachim Strieben. „Die Mittel und die Freigaben sind vereinbart“, sagt er, demnächst können die sechs ausgewählten Schulen im Südwesten mit der Umsetzung beginnen. Die sechs Stellen der Sozialpädagog:innen werden zur Hälfte von der Senatsverwaltung und zur Hälfte aus Mitteln der Jugendhilfe finanziert. Welche Schülerinnen und Schüler an den Lerngruppen teilnehmen sollen, wird an den Schulen vor Ort entschieden. Dabei gilt: Die Eltern müssen der Teilnahme zustimmen und einen Antrag im Jugendamt stellen (sonst können keine Mittel aus der Jugendhilfe fließen).

Gesundheits- und Jugendstadträtin Carolina Böhm (SPD) ist von dem neuen Angebot überzeugt. „Im Schulalltag wird von Jahr zu Jahr deutlicher, dass mehr Kinder eine individuellere Betreuung brauchen“, sagt sie. Diese Situation werde sich eher verstärken, „wenn die Kinder nun aus den Phasen der langen Abwesenheit zurückkehren in den schulischen Alltag“. Es gehe nun darum, Verhaltenskompetenzen zu stärken; das Ziel sei es, „eine gute Eingliederung in die Regelklassen immer im Blick zu behalten“. Durch die Coronakrise sei der Bedarf an zusätzlichen individuellen Lernangeboten besonders groß. Die Temporären Lerngruppen Plus sollen „die Schulen, die Kinder und die Familien zusätzlich auf dem schwierigen Weg nach der Pandemie unterstützen“.

„Der Bedarf ist da.“ Auch Experte Joachim Strieben sieht, dass Corona die Situation für viele Schülerinnen und Schüler erschwert hat. Schon vor der Pandemie hätten Studien gezeigt, dass „sechs bis sieben Prozent der Schüler intensiver Unterstützung bedürfen“. Jetzt gebe es deutliche Hinweise, dass „die psychosozialen Auffälligkeiten zunehmen werden“. Als Beispiel nennt er Kinder, die nach dem Homeschooling „keine größeren Gruppen aushalten können“. Wie man sich in der Gemeinschaft von 24 oder mehr Klassenkameraden für sich gut verhalte, müsse dann erst wieder gelernt werden. Aber auch ohne Pandemie steige die Notwendigkeit, sozialpädagogische Unterstützung vermehrt anzubieten. Joachim Strieben formuliert es so: „Es wächst Bedarf neu heran.“

Text: Boris Buchholz
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