Namen & Neues

Halbdigital: Statt 1213 kamen nur 613 Laptops im Bezirksamt an

Veröffentlicht am 18.03.2021 von Boris Buchholz

Es mutete schon etwas skurril an: Die Bezirksverordneten diskutierten auf der Leinwand über die Digitalisierung der Verwaltung und die bis zu 13 Zuhörerinnen und Zuhörer – „die Öffentlichkeit“ war im größten Saal des Rathauses versammelt – legten den Kopf in den Nacken und starrten auf das Beamerbild. Die Bezirksverordnetenversammlung tagte am gestrigen Mittwoch teildigital, die Lokalpolitiker:innen vor ihren Bildschirmen, für Bürger:innen, Verwaltungsbeschäftigte und Presseleute wurde die Sitzung in den – Nomen est omen – Bürgersaal übertragen. Von der digitalen und virussicheren Teilnahme per Videostream nach Hause waren sie ausgenommen. BVV in der Holzklasse.

Ähnlich holprig wie der Start in die digitale Neuzeit für die Bezirksverordnetenversammlung verlief auch die Ausstattung der Bezirksverwaltung mit Laptops in den letzten Monaten. Die SPD-Fraktion hatte in einer Großen Anfrage nach der mobilen Computer-Ausstattung des Bezirksamts gefragt. „Eine Woche vor Weihnachten erhielten wir die Nachricht, dass dem Bezirk 1213 Notebooks ab dem 15. Januar zur Verfügung gestellt werden könnten“, berichtete IT-Stadträtin Maren Schellenberg (Grüne).

Doch aus dem 1000-fachen Computersegen des Senats wurde nichts. Habe es noch zunächst geheißen, die Kosten für die Aufrüstung der Bezirksverwaltungen übernähme der Innensenat, verlangte der Senat im neuen Jahr einen sogenannten „Mehrbedarfsantrag“ – die Mittel mussten bewilligt werden. Am 14. Januar 2021 bestellte die IT-Stelle des Bezirks dann die 1213 Rechner. „Es handelte sich um eine Bestellung im Wert von 1,3 Millionen Euro, obwohl wir nur 300.000 Euro im Haushaltsplan für Hardware haben“, führte die Stadträtin aus. Hinzu seien Kosten für die Serveraufrüstung, für Sicherheit, Lizenzen und mehr gekommen – die mobilen Computer müssten ja auch an die Infrastruktur des Bezirks angeschlossen werden. Am Ende belief sich der Mehrbedarfsantrag „dann auf etwas über vier Millionen Euro“, sagte Maren Schellenberg.

Das sei zu viel Geld, befand die Senatsverwaltung – und verlangte 600 der 1213 Rechner wieder zurück. 613 Laptops lagern nun in den neu beschafften Regalen der bezirklichen IT-Stelle. Die Experten müssen jetzt jeden Computer einzeln mit Betriebssystem, Zugängen und Software bestücken, je nach Anwendungsgebiet. „Es besteht die Forderung des Senats, die Notebooks bis zum 31. Mai auszurollen“, teilte Stadträtin Schellenberg mit. Wann der Roll-out beginne, konnte sie den Bezirksverordneten nicht sagen. Denn durch den Wegfall von über der Hälfte der eigentlich zugesagten Computer, müsse „derzeit die gesamte Planung für die Verteilung“ überarbeitet werden. Noch sei keiner der 613 neuen Notebooks im Einsatz. Aber immerhin verfüge das Bezirksamt aktuell über 30 Lizenzen von Nextcloud-Talk, der bisher einzigen vom Land zugelassenen Software für Videokonferenzen der Verwaltung. Zur Erinnerung: Das Bezirksamt zählt fast 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Trotz der mit Hürden gespickten IT-Beschaffung, erntete die Stadträtin viel Lob – vor allem von CDU, Grünen und AfD. Andreas Thimm (FDP) erkannte die Leistungen und das Engagement der Mitarbeitenden in der IT-Stelle des Bezirksamts zwar an. „Aber warum passiert die Modernisierung erst jetzt“, fragte er. Ein Jahr nach dem Beginn der Pandemie, viele Jahre nach dem Wunsch, das Bezirksamt zum familienfreundlichen Arbeitgeber zu machen – wozu auch mobiles Arbeiten gehöre. „Wir haben ein Mentalitätsproblem“, attestierte er der Leitungsebene im Bezirksamt. Auch der SPD-Verordnete Dmitri Stratievski urteilte, „die Fortschritte sind bescheiden“ und „30 Nextcloud-Lizenzen sind zu wenig“. Aber immerhin: „Dass wir jetzt so tagen können, ohne dass jemand seine Gesundheit gefährden muss, ist ein Zeichen.“ Er hatte, als er das sagte, wohl nicht die Zuhörerschaft im Bürgersaal im Blick.

Mit „das ist ein ganz erheblicher Fortschritt, der so vor Corona nicht möglich gwesen wäre“, bewertete dagegen Bernhard Lücke von der CDU die angeschobene Digitalisierung des Amts. „Ich bin total dankbar, dass so ein Aufriss gemacht wurde“, „die Stadträtin hat das hervorragend gelöst“, fügte er an.

„Ja, jeder Laptop, der ans Netz geht, ist ein positiver Laptop“, sagte der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Norbert Buchta. Doch auch er wunderte sich: Bei jeder früheren Initiative rund um Computer und Verwaltung, rund um Software und Videostreaming habe es stets wahlweise vom Amt oder von Schwarz-Grün geheißen, „das brauchen wir alles nicht“. „Warum braucht man eine Pandemie, damit endlich etwas passiert“, hatte zuvor Rolf Breidenbach (FDP) gefragt.

Und dann musste die Sitzung einmal mehr unterbrochen werden: Zehn Minuten Lüftungspause am Bildschirm. Wegen der Öffentlichkeit. Die Bürger:innen in der Holzklasse im Rathaus bekamen coronakonform eine Runde frische Luft. „Wenn ich das schon höre, Lüftungspause“, murrte ein Bezirksverordneter auf der Leinwand. Wie diverse Parteienvertreter:innen unter der Hand berichteten, hatte sich nur eine Fraktion im Ältestenrat gegen eine digitale Beteiligung der Öffentlichkeit ausgesprochen – es war die CDU.

Text: Boris Buchholz
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