Namen & Neues
Partnergemeinde Poniatowa: "Die 'LGBT-freien Zonen' haben mich bis ins Mark erschüttert"
Veröffentlicht am 25.03.2021 von Boris Buchholz
Poniatowa – seit 1993 ist die polnische Gemeinde Partnerstadt von Steglitz-Zehlendorf. Im Sommer 2019 erklärte der Stadtrat Poniatowa zur LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender)-freien Zone. Als der Bezirk davon erfuhr, begann die Diskussion: Muss die Partnerschaft aufgelöst werden? Wie soll man reagieren? Im Mai 2020 distanzierte sich das Bezirksamt in einem von allen Stadträten unterschriebenen Brief vom Beschluss des Stadtrats von Poniatowa; der Beschluss stelle „bei seinem Fortbestehen eine erhebliche Belastung dar“, so das Bezirksamt (ich berichtete). Am 17. März legte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) nach und verabschiedete zwei Anträge: Zum einen beschlossen die Lokalpolitiker:innen einen Appell an den Stadtrat von Poniatowa, die Rechte jedes Menschen zu achten (Drucksache 1830/V). Zum anderen forderte die BVV das Bezirksamt auf, den Austausch mit der Partnergemeinde zu verstärken (Drucksache 2110/V).
Der FDP-Verordnete Lars Rolle hatte sich in der Debatte der BVV als erster zu Wort gemeldet – und eine lebendige Diskussion angestoßen.
Herr Rolle, waren Sie schon einmal in Poniatowa? Nein, in Poniatowa selbst war ich bisher noch nicht, auch wenn ich es mir nach den ersten Berichten über den Beschluss des dortigen Stadtrates vorgenommen hatte. Aber leider, und das ist mittlerweile ja trauriger Standard geworden, hat es die Corona-Pandemie bisher nicht erlaubt. Ich werde es aber definitiv nachholen. Ganz grundsätzlich kann ich aber sagen, dass ich die Polen bisher als ein freundliches und vielfältiges Volk wahrgenommen habe. Auch wenn mich die sogenannten „LGBT-freien Zonen“ bis ins Mark erschüttern, würde und werde ich immer vor einer pauschalen Vorverurteilung eines ganzen Landes und seiner Einwohnenden warnen.
Wie ernst nehmen die polnischen Partner die Kritik aus dem Bezirk? Das kann ich nicht sagen. Für mich persönlich war aber immer klar, und das habe ich auch in allen Diskussionen deutlich gemacht, dass eine Städtepartnerschaft mehr sein muss als ein Stück Papier. Es geht um Austausch, um Verständigung, um ein Verstehen. Aber es geht im Falle von europäischen Städtepartnerschaften auch um gemeinsame europäische Werte, die wir leben und beleben sollten. Das nehme ich sehr ernst und ich gehe davon aus, dass das Konsens innerhalb der Europäischen Union sein sollte, welcher aus meiner tiefsten Überzeugung eben auch eine Werteunion ist.
Sie haben in der Debatte in der BVV gesagt, dass die beiden Beschlüsse weit unter den Möglichkeiten der BVV geblieben seien. Was haben Sie damit gemeint? Gemeinsam, erst mit der SPD und später dann auch mit den Grünen, habe ich in vielen und guten Gesprächen konkrete Maßnahmen vereinbart, wie wir die queere Community vor Ort unterstützen können. Denn eines ist ja klar: Es geht bei den LGBT-freien Zonen nicht einfach nur um einen symbolischen Akt, das ist Ausdruck einer konkreten strukturellen Diskriminierung, welcher sich diese Menschen gegenübersehen. Ich hätte mir deshalb konkrete Maßnahmen auch auf unserer Seite gewünscht.
Sie hatten unter anderem eine Ansprechperson im Bezirksamt, die Teilnahme des Bezirks an der Pride-Veranstaltung „Lubliner Land“, Online-Veranstaltungen und eine regelmäßige Berichterstattung sowie eine aktive Einbeziehung der Bezirksverordnetenversammlung gefordert. Stattdessen wurde Ihr Antrag zu einer Art Resolution umgebaut. Auch wenn in den gefassten Beschlüssen sicher nichts Falsches drinsteht, so befürchte ich, dass aufgrund der unverbindlichen Formulierungen die Sache im Sande verläuft. Das wäre schade. Die BVV hätte hier mehr Mut für konkrete Maßnahmen finden müssen.
Habe ich Sie richtig verstanden: Die CDU hat sich an der Debatte um den Umgang mit dem LGBT-feindlichen Beschluss nicht konstruktiv beteiligt? SPD, Grüne und FDP waren über viele Wochen in Gesprächen, um einen mehrheitsfähigen Kompromiss unter Demokraten zu finden. Die CDU wusste von diesen Gesprächen und beteiligte sich nicht daran. Da die Initiative für diese Gesprächsebene von den Grünen ausging, darf vorausgesetzt werden, dass die CDU nicht außen vor war. Doch statt direkt in die Gespräche einzusteigen, bewertete man nur die Kompromisse zwischen den anderen drei Fraktionen – und legte ein Veto ein. Das ist aus meiner Sicht kein konstruktiver Umgang mit diesem sensiblen Thema. Ich erwarte von einer demokratischen Fraktion wie der CDU, dass sie mehr als nur ein „Nein“ beitragen kann.
Beschlossen wurde, den Austausch von Schulen, Politik und Kultureinrichtungen zwischen Steglitz-Zehlendorf und Poniatowa zu verstärken. Hilft das der unter Druck stehenden queeren Szene in Polen? Absolut! Der erste und wichtigste Schritt in jeder Problemlösung ist es doch, dass man miteinander spricht und auf Probleme aufmerksam macht. Und um es klar zu sagen: Es geht mir keineswegs darum, dass ich unsere polnischen Partnerinnen und Partner in irgendeiner Form belehren oder ihnen etwas aufdrücken will. Das verbietet schon unsere Geschichte. Aber in einem freien, modernen und weltoffenen Europa muss es immer möglich sein, dass wir Diskriminierungen offen ansprechen. Artikel 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbietet ganz klar die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung. Daran sollten wir uns alle gebunden fühlen.
Zeigt die Debatte in Steglitz-Zehlendorf nicht auch, dass sich der Bezirk mit der Akzeptanz von gleichen Rechten von queeren Menschen schwer tut? Mein Eindruck von den vielen Gesprächen war, dass fünf der sechs in der BVV vertretenen Fraktionen hier im Grundsatz keine großen Differenzen haben – auch wenn mich die Einlassung des Fraktionsvorsitzenden der CDU, dass ich aufgrund meiner Homosexualität zu emotionsgeleitet bei diesem Thema wäre, schwer getroffen und verletzt hat. Eine Entschuldigung dafür steht nach wie vor aus. Im Kern sind wir aber alle der Auffassung, und das will ich der CDU keineswegs absprechen, dass es an der Akzeptanz von queeren Menschen keinen Zweifel geben kann. Wir streiten hier über den Weg, wie wir einem offensichtlichen Problem in unserer Partnerstadt begegnen können und das halte ich auch für legitim.
Also ist Steglitz-Zehlendorf … ganz grundsätzlich ein weltoffener und bunter Bezirk. Ich fühle mich hier sehr wohl. Wo wir uns aber in der Tat auch an unsere eigene Nase fassen müssen, ist der starke Anstieg an queerfeindlichen Straftaten, welche wir in Berlin und Deutschland in den letzten Jahren beobachten. Das besorgt mich sehr. Hier müssen wir, über den Bezirk hinaus, schleunigst aktiv werden und dem entgegenwirken. Kein Paar und kein Mensch, gleich welcher Sexualität oder geschlechtlichen Identität sie angehören, sollte sich Sorgen machen müssen, öffentlich zur eigenen Liebe zu stehen.