Namen & Neues
Nur ein alter Plan: Bezirksbürgermeisterin stoppt die Überarbeitung des Zentrenkonzepts
Veröffentlicht am 08.04.2021 von Boris Buchholz
Die FDP-Fraktion im Rathaus Zehlendorf schlägt Alarm: Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) hat die Aktualisierung des mittlerweile über zehn Jahre alten bezirklichen Zentrenkonzepts gestoppt. Das Konzept legt fest, welche wirtschaftlichen Hotspots es im Bezirk gibt und wie sie zu erhalten sind. Mit ihm kann die Bezirksverwaltung etwaige Konkurrenz auf der grünen Wiese und entlang der Ausfallstraßen unterbinden und die Zersiedlung der Stadt verhindern. Das Problem: Das Bezirksamt arbeitet mit einem Konzept von 2011 – damals war der Umbau der Schloßstraße noch im Gang, das Boulevard Berlin war noch nicht fertig, der Kreisel eine leerstehende Asbest-Ruine. Die Zahlen, auf denen im Zentrenkonzept 2011 Prognosen und Handlungsempfehlungen abgegeben wurden, stammen aus dem Jahr 2009. Dass die Bürgermeisterin jetzt die längst fällige Aktualisierung auf Eis gelegt hat, kritisiert Rolf Breidenbach (FDP) scharf: „Das ist keine auf die Zukunft ausgerichtete Wirtschaftspolitik und schadet der Entwicklung des Bezirks“, sagt er.
Das Geld ist nicht mehr da. In der Antwort auf eine schriftliche Anfrage der FDP hatte Cerstin Richter-Kotowski im März erklärt, dass die im Haushalt 2021 ursprünglich für das neue Konzept vorgesehenen 50.000 Euro „wegen der Einsparvorgaben zur Haushaltskonsolidierung“ nicht mehr zur Verfügung stünden. Auf Nachfrage des Tagesspiegels sagte die Bezirksbürgermeisterin, „wir wollen die Mittel für das Zentrenkonzept in den nächsten Haushalt 2022 erneut einbringen“. Denn: „Das existente Konzept muss angepasst und überarbeitet werden, keine Frage.“
Es war eine Vollbremsung in letzter Minute. Im September 2020 hatte das Stadtplanungsamt bereits die Ausschreibung für das neue Zentrenkonzept erstellt – die bezirkliche Vergabestelle hatte den Text für das von externen Fachleuten zu erstellende Konzept bereits erhalten. Eine Veröffentlichung stand kurz bevor.
Der Rotstift war nur ein Grund für die Bürgermeisterin und Stadtplanungsdezernentin, die Überarbeitung des Zentrenkonzepts zu stoppen. „Ich setze im Augenblick die gesamten Kräfte des Stadtentwicklungsamtes für Lichterfelde-Süd ein, weil ich diesen Bebauungsplan im positiven Sinne durchziehen möchte“, sagte sie dem Tagesspiegel. Die Planungen für das Neubauprojekt müssen „irgendwann zu einem Abschluss kommen“. Sie rechne damit, dass der Bebauungsplan „in diesem Jahr“ öffentlich ausgelegt werden könne (letztes Jahr hoffte sie auf eine Auslegung in 2020). Und auch ein anderes Projekt habe vor dem Zentrenkonzept Vorrang: Die Vorbereitung des städtebaulichen Wettbewerbs zum Neubau des Rathauses Zehlendorf. „Das ist mir im Augenblick wichtiger.“ Weitere große Projekte zu stemmen, sei wegen der pandemiebedingt eingeschränkten Arbeitsfähigkeit des Amts nicht leistbar. Die Bürgermeisterin nennt den Schichtbetrieb und dass es momentan „extrem schwierig“ sei, Absprachen auch zwischen Senat und Bezirk zu treffen. Von einer 100-prozentigen Arbeitsfähigkeit der Verwaltung könne nicht die Rede sein.
Veraltetes Konzept. Auf die Kritik, der Bezirk stehe bei der Entwicklung seiner Haupt- und Ortsteilzentren planlos da, antwortet die Bürgermeisterin: „Wir haben ja ein Zentrenkonzept, da ist das ja alles vorgeschrieben.“ Werfen Sie mal einen Blick in das Werk von 2011 (hier können Sie die 75-seitige pdf-Datei herunterladen): In Zehlendorf-Mitte waren damals Saturn und C&A ansässig, sie hätten für einen „deutlichen Entwicklungsschub“ gesorgt. Das seit Jahren großteils leerstehende Geschäftshaus an der Ecke zur Berliner Straße wird nicht erwähnt, der Rathaus Neubau und der Umbau des S-Bahnhofs ebensowenig. Hinter dem S-Bahnhof können Sie laut Konzept immer noch bei Strauss Innovation einkaufen gehen. Für die anstehende Weiterentwicklung von Zehlendorf-Mitte ist das Papier von 2011 keine Hilfe mehr.
Unerledigte Aufgaben. Für manche der 19 kleinen Nahversorgungszentren im Südwesten haben die Anregungen von 2011 allerdings noch Bedeutung: Für das Nahversorgungszentrum Thermometersiedlung stand 2011 „Erweiterung um neue Sortimente“ auf der To-do-Liste – viel getan hat sich nicht. „Stärkung des Bestands“ lautete eine Aufforderung an die Bezirkspolitik für den Hindenburgdamm; das Gegenteil ist in den letzten Jahren geschehen, Läden stehen leer. Auch am Ostpreußendamm macht die „diffuse Agglomeration“ von Aldi, Dänischem Bettenlager, Getränke Hoffmann, Radhaus und Co. am S-Bahnhof Osdorfer Straße weiter dem eigentlichen Nahversorgungszentrum Giesensdorf Konkurrenz.
Diese Aufgaben konkreter fortzuschreiben und anzupacken, die aktuellen Entwicklungen zu untersuchen, neue Ansiedlungen und Bauprojekte einfließen zu lassen, wären die wichtigsten Aufgaben für ein Zentrenkonzept 2022. Und: Berlinweite Entwicklungen müssen auf den Bezirk umgebrochen werden. Im Stadtentwicklungsplan Zentren 2030, er wurde 2019 beschlossen, hat der Senat sowohl den Klimawandel als auch den demografischen Wandel sowie eine stärkere Nutzung des öffentlichen Raums berücksichtigt. Auch die Liste der Berliner Zentren hat der Senat angepasst. Der Mexikoplatz ist kein Ortsteilzentrum mehr! Die Begründung: „Das Nahversorgungsangebot in diesem Zentrum ist gering; es konnte deshalb über den Nahbereich hinaus keine Versorgungsfunktion entwickeln.“ Eine Zentren-Liga nach oben gerückt ist dafür das ehemalige Nahversorgungszentrum Breisgauer Straße. Dem Kern des neuen Ortsteils Schlachtensee bescheinigen die Senatsplaner, sich „in den letzten Jahren zu einem lebendigen, nutzungsgemischten Zentrum entwickelt“ zu haben.
Wie stark sich die Corona-Pandemie auf die kleinen und großen Wirtschaftshotspots im Bezirk auswirkt, muss ein aktuelles Konzept ebenfalls beleuchten: Wie können Zentren attraktiv bleiben, wenn Firmen- und Ladeninhabern durch das Virus und seine Folgen die Geschäftsgrundlage entzogen wird? Vielleicht ist 2022 wieder Geld in der Bezirkskasse, um auch diese Frage zu klären.
Text: Boris Buchholz
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