Namen & Neues
Und die Villa geht an: Im Geisterhaus Schmarjestraße 14 werden künftig hochbegabte Kinder gefördert
Veröffentlicht am 29.07.2021 von Boris Buchholz
Seit 2012 steht sie leer: Jetzt zieht in die Villa Schmarjestraße 14 die „Initiative für Hochbegabung“ ein.
Am Montag war es soweit: Im Guthaus Steglitz unterzeichneten Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) und Franz-Josef Schmitt, der erste Vorsitzende des Vereins „Initiative für Hochbegabung“, den Nutzungsvertrag für die seit 2012 leerstehenden Villa Schmarjestraße 14 in Zehlendorf. Ein jahrelanger und höchst umstrittener Prozess ist zu einem Ende gekommen – in die denkmalgeschützte Villa des Ehepaares Mehnert kehrt wieder Leben ein. Und zwar junges Leben: Die Initiative für Hochbegabung fördert Kinder und Jugendliche im Alter zwischen fünf und 19 Jahren. Kurse und Projekte zu Naturwissenschaften, Astrophysik, Programmierung, Biologie, Philosophie und „Rollenspiele in diversen Formaten“ sollen in der ehemaligen Villa der Mehnerts angeboten werden, erklärt Franz-Josef Schmitt dem Tagesspiegel.
Bereits seit November 2020 kooperiert der Verein, er wurde 2019 gegründet, mit der Zinnowwald-Grundschule in der Nachbarschaft der Schmarjestraße: Dort bietet der Verein am Wochenende und in den Ferien Kurse für hochbegabte Kinder an. „Derzeit nehmen etwa 130 hochbegabte Kinder an unseren Angeboten insgesamt regelmäßig teil, etwa die Hälfte davon soll nach den Ferien wieder in der Zinnowwald-Grundschule stattfinden“, so der Vereinsvorsitzende. Seit Beginn der Pandemie konnten die Projekte des Vereins nur als reine Online-Formate angeboten werden; das soll jetzt wieder anders werden.
„Die Initiative für Hochbegabung hat die Jury überzeugt“, erklärte die Bezirksbürgermeisterin anlässlich der Vertragsunterzeichnung. Nicht nur das Konzept, sondern auch die bestehende Kooperation mit der Zinnowwald-Grundschule seien „letztendlich ausschlaggebend“ für den Vertragsabschluss gewesen. „Endlich ist es gelungen, ein passendes Konzept für die Nutzung der Villa zu finden“, so Cerstin Richter-Kotowski. Auch Jugendstadträtin Carolina Böhm (SPD), in ihrem Fachvermögen befindet sich das Haus, begrüßt die Nutzung der Villa durch den Verein: „Als Jugendstadträtin freue ich mich besonders darüber, dass wir mit einem jungen Verein in dem Haus auch zukünftig Kindern Raum zur Entfaltung geben.“ Der Vielfalt aller Kinder gerecht zu werden, sei die Kunst der Pädagogik, „daher begrüße ich diese Ergänzung unserer Arbeit in Steglitz-Zehlendorf“.
Ab dem 1. August ist der Verein zur Förderung hochbegabter Kinder Mieter der Villa. Die Miete beträgt monatlich 2.246,84 Euro kalt. Doch bevor die ersten Kurse und Projekte in der Schmarjestraße 14 stattfinden können, müssen die Vereinsmitglieder Hand anlegen. „Zunächst werden wir die Elektrik im Haus renovieren lassen“, sagt Franz-Josef Schmitt, „Schäden an Fensterläden oder am Balkon werden gemäß des Denkmalschutzes restauriert“. Viel wollen die Vereinsmitglieder auch in Eigenarbeit beisteuern: Fenster und Türen sollen abgeschliffen und gestrichen, Fußböden verlegt, einfache Renovierungsarbeiten an der Fassade durchgeführt und die Innenausstattung erneuert werden. Die nötigen Mittel für Renovierung und Erstausstattung will der Verein aus Rücklagen und Privatkrediten aufbringen, um die 150.000 Euro sollen für die nächsten Jahren aufgenommen werden. Es sei auch geplant, Fördermittel zu beantragen.
Aber dann soll das Haus aus dem Dornröschenschlaf erwachen. Im Erdgeschoss soll ein astronomisches Labor entstehen, ein Raum für Naturwissenschaften und ein Ort für Rollenspiele. „Im ersten Stock entsteht ein Computerraum sowie ein Robotik- und Elektroniklabor“, erzählt der Vereinsvorsitzende. Und in den Biologiekursen könnten kleinere Projekte im Garten umgesetzt werden – zuerst müssten aber der Rasen gemäht und im Winter Bäume und Hecken beschnitten werden. Die Nachbarschaft, Eltern, Geschwister und Freunde seien gern gesehene Gäste: Mindestens zweimal im Jahr sollen Tage der offenen Tür veranstaltet werden.
Eine wichtige Arbeit. Hochbegabte Kinder und Jugendliche bräuchten einen Raum, „in dem sie nicht darüber nachdenken müssen, was man von ihnen denkt, sondern ganz sie selbst sein können“, sagt Franz-Josef Schmitt. Denn in ihrem Lebensalltag erführen hochbegabte Kinder häufig Mobbing, Unterforderung sowie die „fehlende Bereitschaft über ihre Fragen zu diskutieren, fehlende Bereitschaft ihre Sichtweise zu diskutieren oder auch nur zur Kenntnis zu nehmen“. Teilweise zögen sich die Kinder dann zurück, ihre Kompetenzen würden nicht angemessen weiter entwickelt werden. „Da hochbegabte Kinder aber später gerade zu den Akteuren gesellschaftlichen Wandels in einer herausfordernden Zeit zählen werden, ist dies nicht nur individuell ein großer Verlust, sondern auch ein großer Verlust für die Gesellschaft“, ist sich der Vereinsvorsitzende sicher.
Vom Geschenk an den Bezirk zur Geistervilla und zu neuem Leben. Mit dem Einzug der neuen Nutzer geht ein unrühmliches Kapitel in der Bezirksgeschichte zu Ende. Elisabeth und Martin Mehnert hatten ihr Haus in den 1980-er Jahren dem Bezirk vermacht (hier zum Nachlesen). Bis 2012 ging alles gut, ein Kindergarten nutzte das Haus. Doch dem kündigte der Bezirk, ohne ein Konzept für die weitere Nutzung zu haben. Die Folge war Leerstand, die Villa, für die die Mehnerts eine soziale Nutzung festgeschrieben hatten, verkam zur Gesitervilla mit Wasserschaden. Dann schlug Stadträtin Carolina Böhm vor, in dem Haus ein Frauenhaus einzurichten – CDU und Grüne stellten sich quer; die CDU betrieb stattdessen vehement den Verkauf des Hauses. Erst spät – und nachdem sich Gerichte mit der Villa beschäftigt hatten – lenkte die Mehrheit im Bezirksamt ein. Zwei Interessenbekundungsverfahren später, fast zehn Jahre nachdem die Kita das Haus räumen musste, sollen jetzt die alten Geister aus der Villa vertrieben werden. Die Daumen sind gedrückt.
Text und Foto: Boris Buchholz
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