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Grün gegen Grün, Senator gegen Senatorin: Im Südwesten lehnen die Parteien den Radschnellweg am Teltowkanal ab

Veröffentlicht am 09.09.2021 von Boris Buchholz

Es bahnt sich beim geplanten Radschnellweg entlang des Teltowkanals und der Trasse der S2 Streit an – und zwar innerhalb der Grünen und im (noch amtierenden) Senat. Von den Planungen habe ich hier ausführlich berichtet: Eine asphaltierte Trasse soll von Lichterfelde über den Bahnhof Südkreuz in die Innenstadt führen. Während Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) und die stadteigene Rad-GmbH Infravelo den sieben Meter breiten Radschnellweg am bisher grünen Kanalufer emsig planen, setzen sich Günthers Parteikolleginnen und -kollegen im Südwesten von den Uferplanungen zunehmend ab.

Ob die Fraktionsvorsitzende in der Bezirksverordnetenversammlung Tonka Wojahn, die Lichterfelder Direktkandidatin Marielle Perna oder Annabelle Wolfsturm aus der BVV Tempelhof-Schöneberg – sie alle befürworten statt der Route enlang des Kanals eine „attraktive Radverbindung in Straßenzügen entlang der S1 und der S25 sowie die Verbesserung der Radverkehrsanlagen am Hindenburgdamm“. Der Uferweg solle entlastet und als Natur- und Erholungsort erhalten bleiben. Der grüneninterne Streit nach der Wahl ist vorprogrammiert.

Gegenwind auch im Senat. Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) positioniert sich ebenso klar gegen seine grüne Kollegin aus dem Verkehrssenat: „Aus unserer Sicht sollte ein Radweg entlang der Goerzallee – Hindenburgdamm bis zur Schloßstraße umfassend geprüft werden.“ Das könnte dann zwar bedeuten, dass der Radschnellweg nicht drei oder vier Meter breit wäre, dass der Autoverkehr eingeschränkt würde und mehr Parkplätze weichen müssten. „Dies entspricht jedoch unserem Ziel einer nachhaltigen Verkehrswende, bei dem Fahrradinfrastruktur zu Lasten des motorisierten Individualverkehrs, nicht jedoch zu Lasten des Fußverkehrs ausgebaut wird“, schrieb der Senator in einer Stellungnahme an das Parkbündnis Schöneberg-Steglitz, in dem sich Umwelt- und Verkehrsverbände, Seniorenvertretungen und der Allgemeine Blinden- und Sehbehindertenverband zusammengeschlossen haben. Die Südwest-SPD äußerte sich etwas verhaltener, aber in der Sache ähnlich: Auch die Sozialdemokraten im Bezirk fordern eine Prüfung von Alternativrouten.

„In Steglitz-Zehlendorf gibt es rot-rot-grünes Bündnis gegen den Radschnellweg“, sagte Roland Stimpel vom Vorstand des Fachverbands Fußverkehr Deutschland, kurz FUSS e.V., bei einem Pressegespräch am Freitag. Auch die anderen Parteien sind in ihrer Kritik klar – das Parkbündnis hatte sie zu Stellungnahmen aufgefordert. „Hier werden einseitig die Fahrradfahrer zu Lasten der Fußgänger bevorteilt“, schrieb etwa FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja. „Die Reduzierung des Fußgängerweges auf nur noch zwei bis zweieinhalb Meter scheint mir künftig eindeutig zu wenig“, meint der Verkehrspolitiker und Lankwitzer CDU-Abgeordnete Oliver Friederici in seinem Statement.

Während es aus der Verkehrssenatsverwaltung bei Nachfragen stets heißt, im Rahmen der Vorplanungen könne sich noch vieles ändern, auch die Routenplanung, schließt die Infravelo in ihrer Machbarkeitsstudie alternative Routen zum Teltowkanal ausdrücklich aus: Sie würden „aufgrund von zu hohen Hindernissen nicht weiter betrachtet“ werden. Aber Alternativen gebe es reichlich, findet Roland Stimpel. „Wir hoffen, dass sich die Erkenntnis durchsetzt, dass es bei diesem Projekt mehr Verlierer gibt als Gewinner.“

Für mehr Radwege – auf Straßen. Zugleich betont das Parkbündnis, dass es mehr und bessere Radwegeverbindung in Berlin brauche. „Wir sind ausdrücklich dafür, dass Radschnellwege entstehen“, sagt Uwe Hiksch vom Landesvorstand der Naturfreunde Berlin: „Aber auf Verkehrsflächen.“ Berlin habe ein Straßennetz von 5.500 Kilometern. „Da werden doch wohl zwei Prozent für die 100 Kilometer Radschnellweg drin sein“, so Roland Stimpel. Die Naturfreunde erklären im Pressegespräch, die Planungen zum Radschnellweg juristisch anfechten zu wollen, sollten sie nicht geändert werden.

Höhere Neuversiegelung befürchtet. Bisher gehen die Planerinnen und Planer am Kanalufer von einem vier Meter breiten Rad- und einem Fußweg von maximal drei Meter Breite aus. Der bestehende Weg am Ufer ist aktuell zwischen drei und fünf Metern breit. „Alleine etwa 7.000 Quadratmeter Uferböschung müssten asphaltiert werden“, sagt Naturfreund Hiksch. Da für einen sieben Meter breiten Weg die Uferböschung aufgeschüttet werden müsste, „gibt es dann eine senkrechte Wand“. Auch die Fläche, die durch den geteerten Radschnellweg insgesamt auf Uferwegen und Parks neu versiegelt werden würde, hat das Parkbündnis berechnet: Es kommt auf 26.473 Quadratmeter. Infravelo kalkuliert für die gesamte Trasse „nur“ mit 18.250 Quadratmetern Neuversiegelung.

Und noch eine andere Zahl legt das Bündnis vor: 16.894 Quadratmeter bisherigen Gehraums fielen durch die Radtrasse weg. Die Überlegung ist einfach: Bisher sind die Wege am Ufer und in den Grünanlagen für Alle nutzbar – egal ob zu Fuß, im Rollstuhl, mit Kinderwagen oder im Fahrradsattel. Künftig müssten sich der Fußverkehr mal auf zwei Metern, mal auf 2,70 Meter breiten Wegen drängen. „Was bisher eine Promenade ist und gemeinsam genutzt wird, wird zum Gänsemarschweg“, vor allem wenn sich Spaziergänger begegnen, sagt Wolfgang Pohl von der Seniorenvertretung Tempelhof-Schöneberg. Dadurch werde der Flanierweg entwertet, „um nicht zu sagen wertlos“. Und mit einem vier Meter breiten Radschnellweg nebenan sei auch ein „verträumtes Wandeln“ für große und kleine Erholungssuchende nicht mehr möglich. Er habe den Hans-Baluschek-Park zwischen Priesterweg und Südkreuz vor Augen – auch hier soll die Radtrasse entlangführen: Statt die Grünflächen mit der Sieben-Meter-Trasse zu entstellen, müsste sie aufgewertet werden. Ebenso wie der Weg am Ufer des Kanals. „Die Aufenthaltsqualität am Teltowkanal ist relativ gering“, findet der Seniorenvertreter.