Namen & Neues

Kommentar zur Wahl: Im historischen Tief der CDU Neues wagen

Veröffentlicht am 30.09.2021 von Boris Buchholz

Auf den ersten Blick haben die Christdemokraten in Steglitz-Zehlendorf ein solides Werk getan: Während die Berliner CDU bei der Abgeordnetenhauswahl mit 18,1 Prozent auf Rang drei der Parteienlandschaft schlitterte, ergatterten die Parteikolleg:innen im Bezirk 25,4 Prozent der Wählerstimmen – nur 0,1 Prozent weniger als 2016. Sie holten das Bundestagsdirektmandat für Thomas Heilmann mit 28 Prozent. Und sie wurden mit 27,2 Prozent stärkste Partei in der Bezirksverordnetenversammlung. Die CDU war und ist der Platzhirsch im Bezirk. Stark gemacht, könnte man denken.

Doch was in der Momentaufnahme vom 26. September nach Erfolg aussieht, entpuppt sich beim näheren Hinschauen als Flop: Im Vergleich zu seiner Wahl im Jahr 2017 verlor Thomas Heilmann 7,4 Prozentpunkte. Das BVV-Wahlergebnis von Sonntag ist mit 27,2 Prozent seit einundsiebzig Jahren das schlechteste der CDU in Steglitz und Zehlendorf. 1950 erreichte die CDU bei der BVV-Wahl in Steglitz ähnlich schwache 26,6 Prozent. In Zehlendorf – immerhin – kamen sie damals auf 26,8 Prozent.

Doch dann scheint ein CDU-Azorenhoch über dem Südwesten dauerhaft geparkt zu haben: Das politische Barometer stieg. Im Jahr 1999 erreichte die CDU schließlich 52,6 (Zehlendorf) beziehungsweise 50,9 Prozent (Steglitz). Der Platzhirsch-Höhepunkt war erreicht; der Ruf, dass Steglitz und Zehlendorf schwarz sind, war etabliert.

Aber nach der Bezirksfusion schwanden die Prozente. 2001 waren es in Steglitz-Zehlendorf noch 35,9 CDU-Punkte. 2011 schienen die Konservativen wieder auf alte Höhen zuzuschweben, 39,4 Prozent. Dann vor fünf Jahren der Elf-Prozent-Absturz auf 28,4 Prozent; am Sonntag ging es weitere 1,2 Prozent nach unten, 27,2 Prozent. Ein Rekordtief. Jetzt tummeln sich mit Grünen und SPD schon drei Parteien über der 20-Prozent-Marke. Ein Platzhirsch sieht anders aus.

Dabei hat die CDU nichts falsch gemacht. Beziehungsweise: Die Partei hat so weitergemacht wie zuvor, wie immer. Was hat die Südwest-CDU nach dem Debakel 2016 verändert? Wie hat sie sich und ihre Positionen erneuert? Seit 2013 führt Thomas Heilmann den Kreisverband, die Politik im Bezirksamt wird seit Jahrzehnten vom Grundsatz „Gutes erhalten“ geleitet. Nicht falsch, doch die Amtsführung von Bürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowoski und ihrem Bildungs- und Sozialstadtrat Frank Mückisch sowie die Initiativen der CDU-Fraktion als innovativ, wegweisend oder zukunftsorientiert zu bezeichnen, wäre in etwa so, als würde man Fräulein Rottenmeier (das ist die bei Heidi) zur Erzieherin des Jahres küren. Wobei: An einem Punkt hat die amtierende Bezirksbürgermeisterin Nachhaltiges geleistet – die Personalpolitik des Bezirksamts steht auf neuen Füßen. Das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf ist als Arbeitgeber attraktiver geworden, es wird auch wieder dringend benötigtes eigenes Personal ausgebildet. Doch damit gewinnt man keine Wahlen.

Der Kampf gegen den Klimawandel hat im Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf bisher keine Priorität – allen Lippenbekenntnissen zum Trotz. Die Jugend fühlt sich nicht ernst genommen und fordert mehr Mitsprache, zum Beispiel über ein Kinder- und Jugendparlament.

Zur Digitalisierung musste das Amt – wie überall – von der Pandemie getragen werden. Bürgerbeteiligung, die mehr ist als Informationen weiterzugeben und Stellungnahmen einzusammeln, ist Mangelware. Das Bezirksamt verwaltet.

Gewählt werden jedoch keine hochbezahlten Verwalter, sondern Gestalter. Die Akzente setzen, die für Ideen streiten, Probleme anpacken und Menschen motivieren. Nicht ohne Hintergedanke hat sich der Begriff der politischen Führung etabliert. Der bewährte Politikansatz „Gutes erhalten“ sollte ergänzt werden mit: „Neues wagen.“ Die Möglichkeit dazu besteht. Und nötig ist es auch.