Namen & Neues
„Nur Umbennen ist Negieren“: Das sind die Pläne für die Pacelliallee
Veröffentlicht am 21.10.2021 von Lotte Buschenhagen
Ob die Pacelliallee einen anderen Namen tragen sollte? Nein, sagt Mathia Specht-Habbel, BVV-Fraktionsvorsitzende der FDP. „Man schafft etwas ab und dann ist nichts mehr davon da. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, was in der Geschichte passiert ist – ob es einem passt oder nicht.“ Seit August letzten Jahres brennt der Streit um die Allee zwischen Dahlem-Dorf und Platz am Wilden Eber. Den Namen des antisemitischen, misogynen Papstes dürfe die Straße nicht mehr besitzen, schreibt der Historiker Julien Reitzenstein in einer aufsehenerregenden Petition. Es folgt eine lange Debatte um das richtige Erinnern, um schnelle und um beschwerlichere Lösungen. In ihrer letzten Sitzung der vergangenen Wahlperiode beschließt die BVV: Die Pacelliallee wird ihren Namen behalten – als Straße des Gedenkens.
Es soll eine Geschichtsallee werden, sagt Specht-Habbel. Eine Straße, die aufklärt, statt zu verdrängen. In Stelen auf dem Mittelstreifen soll über den ehemaligen Papst und die Geschichte der Dahlemer Allee informiert werden: Eugenio Pacelli, Papst Pius XII. (1876-1958), äußerte sich über Jahrzehnte antisemitisch und frauenverachtend, schreibt Initiator Reitzenstein in der Begründung seiner Petition. Während des Nationalsozialismus schwieg Pacelli zu den Ermordungen tausender polnischer und deutscher katholischer Geistlicher. Nach dem Krieg half der Vatikan unter seiner Verantwortung zahllosen NS-Verbrecher*innen bei der Flucht – etwa nach Südamerika –, unter ihnen Adolf Eichmann und Josef Mengele. „Wir verfolgen ausdrücklich nicht den Cancel-Culture-Trend, Geehrten aus dem 19. oder frühen 20. Jahrhunderts vorzuwerfen, dass für sie Werte selbstverständlich waren, die heute ablehnenswert sind“, heißt es auf Reitzensteins Webseite. „Allerdings waren Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus und Schutz von Massenmördern auch damals alles andere als selbstverständlich und akzeptabel.“
Die Information über den ehemaligen Papst soll in der künftigen Geschichtsallee als integrierende Klammer wirken – über QR-Codes sollen Einordnungen des Geistlichen abgerufen werden können. Neben der Aufklärung über ihren Namensgeber soll die Straße des Nachdenkens auch an die eigene Geschichte erinnern: Viele Villen der damaligen Cecilienallee hatten jüdische Besitzer*innen, die während des NS-Regimes enteignet, verjagt und ermordet wurden. Später zogen hochrangige Nazis in die Straße ein. Vor den Häusern sollen Schilder der Gedenkstraße die Geschichten ihrer einstigen Bewohner*innen erzählen. „Das aufzuarbeiten, das ist nichts, was angenehm ist“, sagt Specht-Habbel dem Tagesspiegel. „Aber es ist wichtig, dass man es tut“.
Wie geht es weiter? Gemeinsam mit dem FU-Institut für Judaistik wird das jüdisch-amerikanische Touro College Berlin nun ein Konzept für die Geschichtsallee entwickeln – bis zum Sommer 2022 sollen erste Ideen vorgestellt werden. Julien Reitzensteins Vorschlag, die Allee nach der ehemaligen israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir zu taufen, weicht vorerst dem aktiven Aufklärungskonzept: Nun wird der Historiker an der Gedenkstraße mitarbeiten, für die er sich ohnehin eingesetzt hatte. Vergessen sei der Namensvorschlag damit aber nicht, erklärt Mathia Specht-Habbel. Straßen seien im Südwesten schließlich immer wieder zu benennen – Golda Meir verdiene eine große.