Namen & Neues
Luftfilter-Mangel in den Schulen: Die Kriterien für die Verteilung stehen in der Kritik
Veröffentlicht am 28.10.2021 von Boris Buchholz
Das Versprechen von Senat und Abgeordnetenhaus stammt aus dem August: In jedem Klassenraum solle ab Herbst ein Luftreinigungsgerät stehen (hier nachzulesen). Doch die Wahrheit ist: Noch nicht einmal die Lieferungen der vierten Tranche der Luftfilter sind überall in den Schulen angekommen. Für die vierte Geräte-Bestell-und-Verteilrunde des Senats hatten sich die 56 öffentlichen Schulen in Steglitz-Zehlendorf bei einer Abfrage Anfang August zusätzliche 952 Filter gewünscht; 499 Geräte waren zu diesem Zeitpunkt bereits beschafft worden und waren an den Schulen im Einsatz. Von den 962 gewünschten Luftfiltern wurden dem Bezirk 205 versprochen – die landeseigene Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) sollte die Maschinen besorgen.
„Nach Kenntnis des Schulamtes sind noch nicht alle Geräte der vierten Tranche ausgeliefert“, antwortete Bildungsstadträtin Maren Schellenberg (Grüne) dem Tagesspiegel. „Als Grund für die Verzögerung der Geräte für Steglitz-Zehlendorf nannte die BIM in einem Telefonat, dass die Ausschreibung neu erfolgen musste.“ „Vor einigen Wochen“ sei die Verteilung in der zweiten Oktoberhälfte zugesagt worden: „Dies ist allerdings von der BIM offenbar nicht eingehalten worden.“
Besorgt werden die Filter vom Land, verteilt werden sie vom Bezirk. Bedacht würden bei der Verteilung der Geräte aus der vierten Tranche prioritär die Schulen, die in den bisherigen drei Tranchen noch keine Geräte erhalten hätten. Dabei gelte eine Obergrenze von maximal acht Geräten pro Schule. „Diejenigen Schulen die in den drei vorangegangenen Tranchen bereits mehr als 20 Geräte erhalten hatten, wurden bei der Verteilung der vierten Tranche zugunsten der bisher nicht so gut ausgestatteten Schulen nicht berücksichtigt“, sagt die Stadträtin.
Tatsächlich sind die Luftreinigungsgeräte im Bezirk ungleich verteilt. Aus einer „Bedarfsmeldung“ des Schulamts, die dem Tagesspiegel vorliegt, geht hervor, dass eine Grundschule noch keinen Luftfilter in Betrieb hat und auch aus der vierten Tranche keinen erhalten soll. Viele weitere Schulen haben zwei bis acht Geräte zur Verfügung. Wieder an anderen Schulen stehen bereits bis zu 30 Luftreiniger in den Räumen. Spitzenreiter sind die Johannes-Tews-Grundschule mit 34 und das Paulsen-Gymnasium mit 37 Filtern. Gekoppelt an die Schülerzahlen ist diese Verteilung nicht: Zum Beispiel hat die Mühlenau-Grundschule nach kompletter Auslieferung der vierten Tranche acht Geräte im Bestand – für 605 Kinder. An der Rothenburg-Grunschule halten zwei Maschinen bei 269 Kindern die Unterrichtsluft sauber. Die Wilma-Rudolph-Oberschule besuchen aktuell 938 Schülerinnen und Schüler – für sie gibt es sieben Filter. Das es auch anders geht, beweist das Paulsen-Gymnasium: Die 37 vorhandenen Reiniger filtern die Luft für 675 Schüler.
Schülerzahlen seien das falsche Bemessungskriterium. „Eine Verteilung der Geräte anhand der Schülerzahlen ist nicht sinnvoll, da es keine Frage der Gesamtschülerzahl einer Schule ist, ob Räume ausreichend belüftet werden können“, antwortet Stadträtin Schellenberg. Wenn Unterrichtsräume nicht oder schlecht mit Frischluft versorgt werden könnten, habe das laut Umweltbundesamt und Robert-Koch-Institut Priorität. Hinzukämen vorhandene bauliche Gegebenheiten. An der Rothenburg-Grundschule beispielsweise verfügten die meisten Räume über eine Lüftungsanlage. „In diesen Räumen ist der Einsatz von Luftreinigungsgeräten nicht notwendig.“
Doch ist die Belüftungsfrage anscheinend nicht das einzige Kriterium für die Verteilung. Anders ist nicht zu erklären, warum die 20 Oberschulen des Bezirks nach der vierten Tranche über 316 Luftfilter verfügen, die 32 Grundschulen aber nur über 348. Dass generell die Gebäude der weiterführenden Schulen schlecht und die der Grundschulen generell besser belüftet werden könnten, scheint schwer vorstellbar. Stattdessen nennt das Amt einen anderen Faktor, der mit auschlaggebend für die Verteilung gewesen sei: Wo sich die Schulleitung gekümmert und Bedarfe früh angemeldet habe, gebe es auch mehr Luftfilter. „Während einige Schulen auf die beiden Abfrage-Runden des Schulamtes (vor der zweiten und vor der vierten Tranche) gar nicht reagierten, meldeten einzelne Schulen sehr hohe Wünsche an“, sagt die Bildungsstadträtin. Für sie sei es zielführender, die Verteilung an den gemeldeten Wünschen und Bedarfen der Schulen zu orientieren, als die Filter nach dem Gießkannenprinzip oder nach der Schülerzahl zu verteilen.
Vater Florian B., sein Kind besucht eine Steglitzer Grundschule, nennt die vom Amt praktizierte Art der Verteilung einen „schlecht organisierten Prozess“. Denn es habe immer geheißen, Schulen sollten nur für Räume Filter-Bedarf anmelden, in denen sich die Fenster nicht ausreichend öffnen lassen. Er hatte sich beim Schulamt über die Verteilung der Filtergeräte informiert, im September konnte er im Amt in die Akten sehen. Seine Erkenntnis: Während sich anscheinend viele Schulleitungen an die Vorgaben eng gehalten hätten und unter diesen Vorzeichen wenig oder keinen akuten Bedarf gemeldet hätten, hätten einzelne Schulen auch Geräte für Flure und Toiletten gewollt, es sei mit störendem Straßenlärm bei geöffneten Fenstern und mit vollen Klassen argumentiert worden. „Positiv könnte man dieses Vorgehen als kreativ bezeichnen“, so der Vater, der mit vollem Namen nicht genannt werden möchte (der Name ist dem Tagesspiegel bekannt).
Was ihm auffällt, ist die ungleiche Verteilung zwischen Grund- und Oberschulen. Sein Argument: Während sich Jugendliche impfen lassen können, gibt es diese Möglichkeit für Grundschulkinder noch nicht. Auch die Maskenpflicht ist für die Grundschüler abgeschafft worden. Deshalb sei der Einsatz der Reinigungsgeräte an den Grundschulen dringlicher als an den weiterführenden Schulen.
Auf die Kritik des Vaters reagiert Stadträtin Maren Schellenberg deutlich: „Die Behauptung, Schulen hätten ‚dubiose Begründungen‘ angeführt oder Schulen seien ’nicht berechtigt‘ Wünsche anzumelden, entbehrt jeder Grundlage und beruht ausschließlich auf subjektiver, singulärer Wahrnehmung“, teilte sie dem Tagesspiegel mit. Ihres Wissens strebe die Senatsbildungsverwaltung weiterhin an, den Beschluss des Abgeordnetenhauses, alle Unterrichtsräume egal welcher Schulart mit Luftreinigungsgeräten auszustatten, umzusetzen. Wann dieses Versprechen umgesetzt sein wird, steht in den Sternen. Aus Schul- und Verwaltungskreisen ist von Lieferengpässen die Rede – 5000 Geräte fehlen laut Senat noch.