Namen & Neues
Geschichte ist geschrieben: Steglitz-Zehlendorf hat zum ersten Mal eine grüne Bürgermeisterin
Veröffentlicht am 09.12.2021 von Boris Buchholz
Dass es für die Bezirksgeschichte ein historischer Moment war, merkte man an der ausgelassenen Stimmung und dem großen Andrang: Die Zehlendorfer Pauluskirche, hier hält die Bezirksverordnetenversammlung in der Pandemie ihre Präsenzsitzungen ab, war am gestrigen Mittwochnachmittag so gut gefüllt wie selten, wenn die lokale Volksvertretung tagt. Mit 42 Ja-Stimmen, nur zehn Nein-Stimmen und einer Enthaltung wählten die Bezirksverordneten in geheimer Abstimmung die bisherige Umwelt-, Bau- und Bildungsstadträtin Maren Schellenberg zur ersten Bezirksbürgermeisterin von Bündnis 90/Die Grünen in Steglitz-Zehlendorf.
Es ging eine Ära zu Ende: Fünfzig Jahre lang stellte die CDU die Bürgermeister und eine Bürgermeisterin in Steglitz und Zehlendorf. Jetzt regiert im Rathaus Zehlendorf eine Ampelkoalition aus Grünen, SPD und FDP. Vier Bezirksamtsmitglieder stellt die Ampel-Gemeinschaft, zwei die CDU. Das Ergebnis für Maren Schellenberg ist beachtlich und zeigt ihren überparteilichen Rückhalt: Auf 32 Stimmen kommt Grün-Rot-Gelb in der BVV; rechnet man die drei Sitze der Linken noch dem Reform-Lager hinzu, beträgt die Mehrheit 35 Bezirksverordnete – die CDU ist mit 17 Mandaten vertreten, die AfD entsendet drei Politiker in die 55-köpfige BVV. Da eine CDU-Verordnete erkrankt war, waren 54 Lokalpolitiker stimmberechtigt. Sieben CDU- oder AfD-Politiker haben für Schellenberg gestimmt.
Jubel und Applaus. Als Bezirksverordneten-Vorsteher René Rögner-Francke (CDU) das Wahlergebnis verkündete, brach Jubel in der Kirche aus, es wurde geklatscht, stehende Ovationen. Viele Parteigänger der Ampel waren zur öffentlichen Sitzung gekommen. Blumensträuße, Gratulationen, die Ernennung. Vereidigt musste die neue Bezirksbürgermeisterin nicht noch einmal werden, den Eid auf das Grundgesetz und die Verfassung von Berlin hatte sie bereits bei ihrer Wahl zur Stadträtin vor fünf Jahren geleistet.
Echt und herzlich. Ein besonderer Moment für alle politischen Lager kam, als die nun ehemalige Bezirksbürgermeisterin und neue Bildungs- und Kulturstadträtin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) der neuen Bürgermeisterin gratulierte. Sie überreichte Maren Schellenberg einen großen flachen Holzkasten mit Schlüsselbund: „Da ist die Amtskette drin.“ Und dann umarmten sich die alte und die neue Bezirksbürgermeisterin – lange, echt und herzlich. Wieder Applaus in der Kirche: für die Geste, für beide Frauen.
Fünf Wahlgänge später war auch das übrige Bezirksamt gewählt. Die Ampel-Fraktionen hatten bereits zuvor mitgeteilt, dass sie auch für Wahl der beiden CDU-Stadträte sorgen würden. Ähnlich gut wie Maren Schellenberg schnitt Gesundheits- und Jugendstadträtin Carolina Böhm (SPD) ab: Sie erhielt 40 Ja-Stimmen. Ihr Parteikollege Michael Karnetzki wird fortan das Stadtentwicklungsressort leiten, 34 Bezirksverordnete trauten ihm das zu. Es war das schlechteste Wahlergebnis des Abends. Urban Aykal, der neue Stadtrat für Verkehr, Grün, Ordnung und Umwelt wurde mit 37 Stimmen gewählt. Cerstin Richter-Kotowski erhielt 39 Ja-Stimmen, für den neuen Sozialstadtrat Tim Richter (CDU), er zieht wie Urban Aykal neu in das Bezirksamt ein, votierten 37 Bezirksverordnete.
Ressorts und Räume. Noch am Abend konstituierte sich das neue Bezirksamt und beschloss formal die Ressortverteilung. Die Neubesetzung des Bezirksamts und die Zusammenarbeit der Ampel-Parteien sorgte nicht nur für einen historischen Abend, sondern auch für Umzüge innerhalb der Verwaltung. Cerstin Richter-Kotowski hat bereits das Bürgermeisterinbüro geräumt, ihr neuer Amtssitz sind die ehemaligen Räume von Carolina Böhm im Rathaus Steglitz. Tim Richter wird sein Amtszimmer im Rathaus Lankwitz haben.
Das Zentrum der Macht. Im Rathaus Zehlendorf wiederum versammeln sich die Ampel-Stadträtinnen und -Stadträte. Maren Schellenberg zieht heute in das Bürgermeisterbüro in der ersten Etage des Altbaus ein. Den Besprechungsraum neben ihrem alten Dienstzimmer im dritten Stock des Bauteils E gibt es nicht mehr. Er wurde zum neuen Büro für Gesundheitsstadträtin Böhm umgebaut. Künftig werden Carolina Böhm, Urban Aykal und Michael Karnetzki Tür an Tür auf dem Stockwerk arbeiten. Man wolle kurze Wege und schnelle Absprachen zwischen den Ampel-Bezirksamtsmitgliedern erleichtern, heißt es aus den Fraktionskreisen. Wenn also im dritten Stock des Rathauses lange das Licht brennt, wird die historische Bedeutung des gestrigen Abends noch einmal deutlich – die neue Ampel-Bezirksregierung hat mit der Arbeit begonnen.