Namen & Neues
Zerrissenes Tischtuch und neue Schulden: CDU greift in der Haushaltsdebatte die Grünen scharf an
Veröffentlicht am 17.03.2022 von Boris Buchholz
Die Haushaltsdebatte in der gestrigen Bezirksverordentenversammlung (BVV) erinnerte an Szenen einer Scheidung. „Was wir hier sehen, sind die politischen Folgen einer Trennung“, sagte die SPD-Fraktionsvorsitzende Olemia Flores Ramirez in der Nacht. Torsten Hippe hatte zuvor Bezirksbürgermeisterin Maren Schellenberg (Grüne) Versagen und Versäumnisse vorgeworfen, sie sei an der Neubesetzung wichtiger Stellen im Hochbauamt „desinteressiert“. Ihre politischen Leistungen seien zu missbilligen, der CDU-Mann legte ihr den Rücktritt nahe. Die Bürgermeisterin erwiderte, Torsten Hippe werfe mit Nebelkerzen um sich und mache „Milchmädchenrechnungen“ auf. Dem neuen Umwelt- und Verkehrsstadtrat Urban Aykal (Grünen) bescheinigte Torsten Hippe: „In meiner Hitliste der schlechtesten Stadträte sind Sie der Spitze sehr nahe gekommen.“ Er warf ihm eine „Kreuzbergisierung“ des Bezirks vor. „Herr Hippe, ich bin Steglitzer, mindestens genauso wie Sie“, entgegnete der Stadtrat. Das Porzellan zwischen den ehemaligen Bündnispartnern CDU und Bündnis 90/Die Grünen ist zerschlagen. 15 Jahre hatte die bundesweit erste schwarz-grüne Ehe gehalten, nach den Wahlen im Herbst leben die Ex-Partner in Trennung, eine Ampel aus Grünen, SPD und FDP regiert den Bezirk.
673.762.000 Euro ist der Haushalt Steglitz-Zehlendorfs für 2022 schwer. Frei verfügen kann der Bezirk allerdings nur über einen kleinen Teil dieses Geldes, das er vom Senat zugewiesen bekommt. Die größten Posten wie Leistungen aus der Sozial- und Jugendhilfe reichen die Ämter an die Bürgerinnen und Bürger weiter, die einen gesetzlichen Anspruch auf sie haben. Viele Ausgaben im Haushaltsplan sind nicht veränderbar, Personal muss bezahlt, Mieten beglichen und Einrichtungen betrieben werden.
Streaming, Kultur, Flüchtlingskoordinator. Es sind im Vergleich zum Gesamtvolumen eher kleine Stellschrauben, mit denen die neue Ampel-Koalition politische Akzente im Haushalt setzt: 15.000 Euro sind für die Übertragung der BVV-Sitzungen über einen Internet-Stream vorgesehen. Mit 66.000 Euro wird die Stelle eines Flüchtlingskoordinators wieder eingerichtet, selbst die AfD fand, „das könnte eine gute Idee sein“ – erst Ende 2020 war die Stelle damals noch vom schwarz-grünen Bezirksamt gestrichen worden. 12.000 Euro mehr stehen für die Untersuchung von Milieuschutzgebieten zur Verfügung, zusätzliche 4000 Euro erhält das Kulturamt für Veranstaltungen.
Trotz der relativ bescheidenen Ausgabewünsche von Grünen, SPD und FDP macht der Bezirk in den beiden kommenden Jahren Miese: Zu Beginn der Haushaltsberatungen betrug das Defizit im von Bezirksbürgermeisterin Schellenberg vorgelegten Entwurf für dieses und kommendes Jahr jeweils über zwölf Millionen Euro – nach einem Sitzungsmarathon des Haushaltsausschusses konnte das Defizit in beiden Jahren unter die Zehn-Millionen-Euro-Grenze gedrückt werden. Die CDU hatte daran allerdings keinen Anteil. Im Gegenteil.
Die Hauptstreitpunkte in der über dreistündigen Haushaltsdebatte waren Schulsanierungen, Straßenbäume und Parkscheinautomaten. Erst warf Torsten Hippe der Bezirksbürgermeisterin persönliches Versagen vor, weil sie es im Jahr 2020 nicht geschafft habe, mit ihrem Hochbauamt über zwei Millionen Euro in Schulen und bezirklichen Gebäude zu verbauen – der Senat hatte dieses Geld für Sanierungen bereitgestellt. Weil es ihr nicht gelungen sei, fünf wichtige Stellen im Amt zu besetzen, seien die zwei Millionen Euro unverbaut geblieben, so die Analyse der CDU. Das Geld floss dann unter anderem in die Sozialleistungen des Bezirks (auch dort gab es 2020 ein Defizit). Die frische Forderung der CDU: Die zwei Millionen Euro für die Schulsanierung müssten im aktuellen Haushaltsplan wieder zur Verfügung gestellt werden. Woher dieses Geld kommen sollte, erklärte Torsten Hippe allerdings nicht.
Schulden. Stattdessen – und dass ist in der Geschichte der Bezirks-CDU ein Paradigmenwechsel – wollen die Christdemokraten mehr Schulden machen. Stichwort Straßenbäume: Seit Jahrzehnten sieht sich die CDU als Baum-Partei, seit Jahrzehnten wurden allerdings auch unter CDU-Führung – 50 Jahre stellten die Christdemokraten die Bürgermeister und eine Bürgermeisterin im Südwesten – jährlich im Bezirk mehr Bäume gefällt als nachgepflanzt. Die seit vergangenen Dezember erstmals grün-geführte Bezirksregierung hat sich in der Zählgemeinschaftsvereinbarung verpflichtet, jedes Jahr 1500 neue Bäume zu pflanzen. Im Haushalt sind nun pro Jahr etwas über drei Millionen Euro für die Unterhaltung von Grünanlagen und Friedhöfen vorgesehen. 300.000 Euro mehr als 2021, vor einem Jahr standen nur etwa 2,7 Millionen bereit. In den Haushaltsberatungen stockten die Ampel-Fraktionen noch einmal auf, 25.000 Euro pro Jahr wanderten zusätzlich in den Grünanlagen-Fonds.
Das ist der CDU zu wenig. Im Haushaltsausschuss wollte sie von Umwelt-, Straßen- und Grünflächen-Stadtrat Urban Aykal (Grüne) wissen, wie viel Geld nötig wäre, um alle Grünflächen und Friedhöfe im Bezirk gut in Schuss zu halten und den Landschaftspark Glienicke wieder zu eröffnen – frei nach dem Motto „Wünsch dir was“. Der Stadtrat blieb diese Hausnummer schuldig. Er sei mit seinem Amt dabei, ein bezirksweites Konzept für Entsiegelung und Regenwasser zu erarbeiten, erklärte er in der Sitzung der BVV: „Straßenbäume sind keine Zimmerpflanzen.“ Er wolle nicht, dass jetzt Bäume gepflanzt würden, die nach 15 Jahren wieder eingehen, weil ihre Wurzeln keinen Raum fänden. Deshalb brauche ein fundiertes Konzept Zeit. Solange wollte die CDU nicht warten und beantragte, dass zwölf Millionen Euro zusätzlich für die Grünpflege zur Verfügung gestellt würden. Das Geld solle aus den Pauschalen Minderausgaben kommen – sprich zwölf Millionen Euro neue Schulden.
Auch bei den veralteten Parkscheinautomaten des Bezirks gerieten CDU und Ampel-Fraktionen aneinander. Wie hier berichtet will das Bezirksamt 2022 und 2023 ingesamt eine Million Euro in neue Automaten für die Parkraumbewirtschaftung rund um die Schloßstraße investieren – die alten Geräte sind 20 Jahre alt, sind störanfällig, gehen kaputt, Ersatzteile gibt es nicht mehr, sie müssen per Hand gewartet werden. Für die CDU sind das keine Gründe: Denn irgendwann könnte die automatierte Parkraumüberwachung eingeführt werden, dann wären die neuen Automaten ja überflüssig.
Diesen Zahn zog Verkehrsstadtrat Urban Aykal der CDU jedoch. Selbst wenn in mehreren Jahren die Parkzonen digital überwacht werden würden, „werden die Parkscheinautomaten immer noch gebraucht, die Parkscheine werden anders sein“, sagte er. Die Basis der neuen Technik sei, dass die Autokennzeichen auf dem Parkschein erfasst wären, so dass eine automatisierte Überwachung möglich werde. Dann müssten die Mitarbeitenden des Ordnungsamts nicht mehr die Parkraumbewirtschaftsungszonen bestreifen und könnten an anderen Orten eingesetzt werden, zum Beispiel in den Parks.
„Kaum sind Sie nicht mehr dabei, ist bei Ihnen die fiskalische Vernunft etwas über Bord gegangen“, fasste Lukas Uhde von den Grünen seinen Eindruck von der Debattenbeiträgen der CDU zusammen. „Ich bin bei ungefähr 15 Millionen Euro, die Sie auf die pauschalen Minderausgaben draufschlagen wollen.“ Es sei schon eine große Herausforderung mit dem bestehenden Defizit im Haushalt umzugehen – weitere 15 Millionen Euro Schulden seien nicht auszugleichen.
Haushalt beschlossen. Am Ende der Debatte lehnten Grüne, SPD, FDP und Linke alle Änderungsanträge der CDU ab. Bei der nächtlichen Abstimmung über den Haushalt stand die Mehrheit der Ampelfraktion dann der gesamten Opposition gegenüber: Neben der CDU und der AfD (der Entwurf sei von gestern, der Ukraine-Krieg und steigende Energiepreise seien nicht berücksichtigt) stimmte auch die Linke gegen den Finanzplan. Weder seien neue Stellen für das Bürgeramt eingeplant worden, noch gebe es zusätzliche Angebote für Obdachlose oder den Versuch, neue Einnahmequellen zu erschließen – eine Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung sei dafür ein probates Mittel, sagte Linken-Fraktionsvorsitzende Pia Imhof-Speckmann.
Von den Haushaltsberatungen 2022 wird vor allem eines in Erinnerung bleiben: Das Tischtuch zwischen Grünen und CDU ist wohl endgültig zerrissen – fortan werden die ehemaligen Eheleute getrennte Wege gehen.