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Omas und Schüler besuchten das Konzentrationslager Ravensbrück: „Ich finde es so schrecklich, was Menschen anderen Menschen antun“

Veröffentlicht am 25.05.2022 von Boris Buchholz

„Ich finde es einfach gut, dass die Schüler mit den Omas gemeinsam kommen“, sagt Frank Trüe vom pädagogischen Team der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. „Es entsteht mehr Verständnis für- und miteinander, und das brauchen wir, um so etwas“ – der 66-Jährige zeigt auf das Gelände des Konzentrationslagers – „nicht wieder passieren zu lassen.“ In der gemischten Gruppe, die er und seine Kollegin Ricarda Rogalla am vergangenen Freitagvormittag durch die Gedenkstätte geführt hatte, hätten sich alle Generationen zu Wort gemeldet, eine Scheu habe es nicht gegeben, die jungen Leute hätten „auch gesagt, wie sie sich gerade fühlen“. Sein Fazit: „Für mich war es extrem geil: Diese unterschiedlichen Fragen auf den verschiedensten Ebenen haben mir gefallen.“

Vier Stunden vor dem Gespräch in der Gedenkstätte: 22 Schülerinnen und Schüler der 10a der Evangelischen Schule Steglitz und 21 Mitglieder der Stadtteilgruppe Südwest von „Omas gegen Rechts“ steigen gegenüber vom Steglitzer Kreisel in den gecharterten Reisebus – ein Opa und der Tagesspiegel-Berichterstatter sind auch an Bord. Gleich wird klar: Alle Teilnehmenden an der Fahrt duzzen sich; Junge wie Alte. Den Besuch im ehemaligen Frauen-KZ bei Fürstenberg/Havel hatten die Omas gegen Rechts schon länger geplant – „dann kam die Idee auf, dass wir nicht alleine fahren wollen“, erzählt die 67-jährige Ina, eine der vier Organisatorinnen der Fahrt. Da einige Lehrerinnen Mitglied der Gruppe sind und Kontakte in die Evangelische Schule Steglitz bestehen, wurden Kontakte geknüpft, die 10a wollte mit ihrem Religionslehrer Robert Bukowsky mitkommen.

Der Wunsch der Omas gegen Rechts: Eigene Erfahrungen weitergeben und ins Gespräch kommen. „Wir wollen als Zweitzeugen tätig sein“, sagt Ina, „wir haben ja viel von unseren Familien mitgenommen – viele waren ja damals Täter, mein Vater war Soldat.“ Etwa 30 Mitglieder hat die Stadtteilgruppe der Omas, zwischen 62 und 86 Jahre seien die Frauen alt. Nicht jede hat wirklich Enkel, und auch Opas sind in der Gruppe willkommen. „Wir wollen zeigen, dass wir nicht hinter dem Ofen oder vor dem Fernseher sitzen, sondern etwas bewegen wollen“, sagt Oma-Sprecherin Franziska, 62, durch das Mikrofon bei der Vorstellung im Bus. Sie nennt eine lebendige Erinnerungskultur, den Widerspruch zu rechter Hetze und den Kampf für Minderheitenrechte als Kernziele der Omas. „Wir sind zwar faltig, aber nicht verbissen.“ Auch die 10a stellt sich vor. Klassensprecherin Melina lobt ihren Lehrer – „cooles Hemd, Herr Bukowsky“ – und sagt über die Klasse: „Wir sind auch ganz in Ordnung, vielleicht sind wir manchmal etwas zu lebendig.“

Vorne sitzen die Seniorinnen, hinten im Bus die Jugendlichen – und zugegeben, hinten ist es lauter. Doch im Gespräch sind die Schülerinnen und Schüler ernsthaft, machen sich Gedanken. Nils, 15, erwartet von der Fahrt in die KZ-Gedenkstätte, „dass man dann weiß, wie es ungefähr gewesen ist“. Von einem Lehrer etwas erzählt zu bekommen oder ein Buch zu lesen, sei das Eine – aber es real zu sehen, sorge bestimmt für „einen anderen Blickwinkel und krasse Gedanken“, sagt Anouk, 16. Finja hat bereits die Gedenkstätte Sachsenhausen besucht: „Ich fand es sehr bedrückend, vor allem die Kammer, wo die Menschen vergast und verbrannt worden sind.“ Das Leid der Menschen sei schwer vorstellbar. „Wir sind sehr behütet aufgewachsen, das Schlimmste, was wir kennen, ist die Pandemie“, reflektiert die 15-Jährige. Frida, 16, freut sich auf den Austausch mit den Omas, „eigentlich voll cool“.

Das finden die Omas auch. Nach der Führung wird beim Mittagessen in der Jugendherberge neben der Gedenkstätte am Tisch der Alten Zwischenbilanz gezogen. Franziska war beeindruckt davon, wie eine Schülerin bei der Führung selbstbewusst gefragt habe, was die Gefangenen eigentlich gemacht hätten, wenn sie ihre Tage bekommen hätten. Die Antwort von Frank Trüe habe gelautet: Durch die menschenverachtenden Bedingungen, die schlechte Ernährung, die harte Zwangsarbeit und die überall herrschende Gewalt, sei die Menstruation meist ausgeblieben. Eine Schülerin hatte Monika, 73, anvertraut, dass sie Angst vor dem Besuch habe: „Ich habe gesagt, dass sie mit uns reden soll.“ Bisher sei der Austausch zwischen den Generationen für sie noch etwas zu kurz gekommen, fand allerdings die ebenfalls 73-jährige Brigitte.

Am Nachmittag waren Arbeitsgruppen geplant, die Omas hatten sich auf Themen wie „Widerstand“ oder das Gedenken an lesbische Gefangene und Zwangsprostituierte – aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück wurden Frauen in insgesamt zehn Bordelle der SS geschickt – vorbereitet. Doch die Jugendlichen wünschten sich mehr Zeit für Gespräche unter sich und Besuche in den verschiedenen Ausstellungen der Gedenkstätte.

Einzig die Arbeitsgruppe zu den lesbischen Opfern und Zwangsprostituierten fand sich zusammen – über den neu eingerichtetet Gedenkort für die lesbischen Frauen, eine zerbrochene Gedenkkugel und den harten Kampf im Vorfeld berichtet meine Kollegin Jana Demnitz hier auf tagesspiegel.de. Das dreiteilige gläserne Mahnmal für die Sexarbeiterinnen war in der Arbeitsgruppe das Hauptthema von Marion, 72: Sie erzählte den Schülerinnen und Schülern von ihrer Begegnung mit der Künstlerin, von Überlebenden des Holocausts wie der Hamburgerin Esther Bejerano. Erinnern heiße zu handeln, zitiert Marion die Überlebende und fügt an ihre jüngeren Zuhörerinnen und Zuhörern gewandt hinzu: „Auch das, was wir hier tun, ist handeln.“ Esther Bejerano starb 2021.

Später im Bus, auf der Rückfahrt, erzählen Omas wie Jugendliche vom Tag in der Gedenkstätte. Brigitte ist begeistert: „Wir sind zusammen mit einer Schülerin durch das Haus des ehemaligen Lagerkommandanten gelaufen, eine Stunde lang, es war großartig.“ Auch Luca, 16, und Lukas, 15, haben sich die Wohnhäuser der Lagerleitung angesehen, sie liegen auf einer Anhöhe etwas oberhalb des KZs. „Wenn man sich vorstellt, die haben da oben mit ihrem Morgenkaffe in der Hand auf die Inhaftierten runtergeschaut, dann ist das schon echt krass“, findet Luca. Es habe dort auch Gespräche mit zwei Omas gegeben, über das KZ, über Krieg, über die Ukraine. „Und dann haben die uns gefragt, ob wir im Krieg für unser Land kämpfen würden“, sagt der 16-Jährige, „das hängt von der Lage ab“. – „Bei einem Angriff werden wir nicht mithelfen, bei der Verteidigung schon“, springt Lukas ein. „Wir haben aber auch über alternative Energien und Atomkraftwerke gesprochen“, ergänzt sein Freund.

„Es zu sehen, ist viel schlimmer.“ Auch wenn auf der Rückfahrt nach Steglitz die Sitzordnung die gleiche geblieben ist – die Alten vorne, die Jungen hinten –, hat der Besuch in Ravensbrück beeindruckt. Eine Szene auf dem Rückweg zum Bus: „Wir müssen nicht über die Wiese latschen“, mahnte Anouk ihre Freundin Tabea, „wir wissen nicht, wer hier ermordet wurde.“ Der 16-jährige Delali findet es schrecklich, „dass Menschen das anderen Menschen angetan haben“. Grundsätzlich verändert habe der Besuch seine Überzeugungen jedoch nicht – „ich wusste schon voher, wie schlimm Antisemitismus und jedweder Hass gegen andere Menschen ist“. Von einem Lehrer etwas erzählt zu bekommen, oder es in einem Buch zu lesen, sei das eine, findet Ilias, 15, „doch es zu sehen, ist viel schlimmer“. – „Ich habe bei der Führung interessiert zugehört“, sagt Frida, „mehr als sonst“. Sie freut sich, dass sie sich mit den Omas unterhalten habe, das hätte sie gar nicht gedacht.

Auch für die Omas gegen Rechts stand am Ende der gemeinsamen Fahrt ein sehr positives Fazit. „Wir sind unserem Anspruch, Erinnerungskultur zu stärken, gerecht geworden“, findet Oma-Sprecherin Franziska. Die Veranstaltung sei gelungen, „man kann viel aus ihr lernen“. Der Kontakt zwischen Omas und Jugendlichen hätte noch größer sein können, „beim nächsten Mal machen wir es noch besser“. Zwischen den Omas kursieren schon Folgepläne: Projektttage an Schulen, Patenschaften mit Klassen, ein Besuch der Stasi-Gedenkstätte in Hohenschönhausen. „Wir Südwest-Omas sind wirklich richtig aktiv“, sagt Brigitte.

Noch einmal ein Blick zurück nach Ravensbrück. Etwas Verstörendes hat Frida beobachtet, sie erzählte davon auf der Rückfahrt: „Es war ein schöner Ort mit einer bedrückender Geschichte.“ Ein schöner Ort? Ja, der zentrale Gedenkplatz direkt am Schwedter See ist idyllisch angelegt und gelegen. Grüne Wiesen, Bäume, ein weiter Blick über den See, ein Motorboot – auf der anderen Seite liegt postkartentauglich die Stadt Fürstenberg, die alten Häuser, die hohe Kirche. Auch von der Stadt aus hat man einen schönen Blick über den See, man sieht das ehemalige Konzentrationslager. Die Mär, die Deutschen hätten von den Morden und Lagern nichts gewusst, zerbricht auch hier. Und das, was wie ein bald blühendes Hochbeet entlang der Lagermauer aussieht, ist ein Massengrab: Hier haben die SS-Männer und die Lager-Aufseherinnen die Asche der Ermordeten verstreut.