Namen & Neues
16.000 Quadratmeter Leerstand: Boulevard Berlin baut Läden zu Büros um
Veröffentlicht am 16.06.2022 von Boris Buchholz
88.000 Quadratmeter Mietfläche stehen im Einkaufszentrum „Boulevard Berlin“ an der Schloßstraße zur Verfügung – und davon stehen 16.000 Quadratmeter leer. Allein im Untergeschoss sind es 5000 Quadratmeter, der Foodbereich in der zweiten Etage ist weitgehend verwaist, die Schaufenster zugeklebt. „Es ist klar, dass der Eigentümer da etwas machen muss“, findet Christoph Noack, der Leiter des Fachbereichs Stadtplanung des Bezirksamts. Was der Besitzer – seit Januar gehört die Shopping-Mall einer Investorengruppe aus York Capital Management (New York City), Castlelake (Minneapolis) und Dunman Capital Partners (Frankfurt am Main) – mit dem Center vorhat, stellte Christoph Noack im Ausschuss für Stadtentwicklung den Bezirksverordneten am Dienstagnachmittag vor.
Die Lösung aller Leerstandsprobleme lautet: Läden werden Büros. Die Pläne, über die der Tagesspiegel im Januar berichtet hatte, werden jetzt konkret. Die alte denkmalgeschützte Wertheim-Fassade bleibt unangetastet. Doch dahinter, es handelt sich um Bauteil A, werden im ersten und zweiten Obergeschoss auf etwa 17.500 Quadratmetern Büros entstehen. Damit die später dort Arbeitenden ihre Werktage nicht nur in Kunstlicht verbringen, sollen einige Lichthöfe in das Gebäude geschnitten werden. Im Untergeschoss entsteht dann ein „Foodmarket“, also diverse Bewirtungsangebote, und Freizeitangebote. Was sich genau hinter „Freizeitangebote“ verbirgt, ist noch etwas unklar. In der Präsentation des Eigentümers, die das Amt den Ausschussmitgliedern vorstellte, war unter anderem eine Indoor-Kletterwand zu sehen.
Auch im Bauteil B, dort befindet sich der Elektronikhändler „Saturn“, werden im zweiten und dritten Stock Büroflächen mit Lichthöfen entstehen. Laut den Plänen sind 4700 Quadratmeter dafür vorgesehen. Im Erdgeschoss und ersten Stockwerk residiert dann weiter der Elektrohändler; auch SportScheck und Karstadt in den Bauteilen C und D bleiben im „Boulevard“ weiter Ankermieter. Aktuell haben sich etwa 100 Läden in der Einkaufswelt eingemietet; nach dem Umbau werden sie im Unter- und Erdgeschoss konzentriert zu finden sein.
Unten Läden, oben Büros. Von der Schloßstraße aus betrachtet wird sich das „Boulevard Berlin“ kaum verändern. Diskutiert wird aktuell, mehr Fahrradabstellplätze, vermutlich auch für E-Bikes, zu schaffen. Zur Schildhornstraße hin wird das Center jedoch einen neuen Charakter bekommen: In die bisher abweisende Fassade sollen Fensterflächen eingefügt werden, die innen und außen verbinden und für mehr Licht und Transparenz sorgen. „Die Schildhornstraße bekommt eine richtige Fassade“, freut sich Christoph Noack beim Vortrag im Ausschuss. Bei den vorgestellten Plänen handele es sich um „eine Vision, die wir auch ganz gut finden“. Grundsätzlich seien die geplanten Umbauten erstmal zulässig, ergänzte Stadtentwicklungsstadtrat Michael Karnetzki (SPD). Ein Bauantrag liege aber noch nicht vor, man sei im Gespräch.
„Ich glaube, zur Schildhornstraße hin ist es ein städtebaulicher Gewinn“, sagte der Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Bernd Steinhoff, in der Aussprache. Glas statt massiv wirkender Fassade, „diese Entwicklung finde ich gut“. Skeptischer bewertete Dennis Egginger-Gonzalez von der Links-Fraktion, das Vorhaben: Vor zehn Jahren habe es einen Center-Boom gegeben, jetzt scheine es einen Büro-Boom zu geben. Man könne nicht immer wieder umbauen, „das können wir uns wegen der Klimakrise nicht leisten“, im Beton würde zu viel graue Energie stecken. Wie hoch der Bedarf an Büroflächen in Steglitz sei, wollte er wissen. Immerhin werde auch das „Forum Steglitz“ ein paar Hausnummern weiter gerade in ein Mixed-Center mit vielen Büroräumen umgewandelt. „Gegenwärtig glaube ich tatsächlich, dass ein Bedarf an Büroflächen besteht“, erwiderte Stadtrat Karnetzki. Eine genaue Bedarfsanalyse könne er nicht vorlegen.
Von CDU, SPD, FDP und AfD wurde zu den Plänen zustimmend genickt. „Besser als abzureißen und neu zu bauen“, fand Mathia Specht-Habbel, die Fraktionsvorsitzende der FDP. Volker Semler von der SPD wollte wissen, ob im „Boulevard“ auch Wohnungen denkbar seien – „ich würde zwar nicht unbedingt an der Schildhornstraße wohnen wollen, aber weiter drinnen“. Das gebe der geltende Bebauungsplan nicht her, so der Stadtrat. Und wie wäre es, ein Bürgeramt oder eine Bücherei im „Boulevard“ anzusiedeln, fragten andere Ausschussmitglieder nach. Soziale Infrastruktur sei zwar prinzipiell denkbar, sagte Michael Karnetzki, aber welche? Die Ingeborg-Drewitz-Bibliothek residiere ein Einkaufszentrum weiter westlich, auch das Bürgeramt sei aktuell im Rathaus Steglitz wenige Meter entfernt gut untergebracht. Und dann ließ der Stadtrat das Stichwort „Bezirksamt“ fallen.
Interimsquartier? Ab 2024 oder 2025 soll das Rathaus Zehlendorf saniert, in Teilen abgerissen und neu gebaut werden – die gesamte 500-köpfige Belegschaft muss wohl für einige Jahre ausziehen. Noch ist kein Ersatzgebäude für die Dauer der Bauzeit gefunden. Kämen die Büroflächen im „Boulevard“ für die Zeit der Sanierung und des Neubaus des Rathauses Zehlendorf als Ausweichquartier für das Bezirksamt in Frage, hakte Carolyn Macmillan (SPD) nach. „Da bin ich missverstanden worden“, ruderte Stadtrat Karnetzki zurück. Ein Einzug des Bezirksamts in das „Boulevard Berlin“ stehe nicht zur Debatte, es handele sich um „sehr ungelegte Eier“. Torsten Hippe, Fraktionsvorsitzender der CDU, ließ nicht locker: Er wolle konkret wissen, ob es Überlegungen im Hintergrund gäbe. „Im Hintergrund wird gar nichts überlegt“, antwortete Michael Karnetzki.
Schule in der Shopping-Mall. Dann brachte Mathia Specht-Habbel noch eine andere mögliche Nutzung ins Spiel: „Wäre es möglich, dass die Oberstufe der Kopernikus-Schule in das ‚Boulevard‘ zieht?“ Die Schule in der benachbarten Lepsiusstraße platze doch aus allen Nähten. Unterstützung kam prompt vom CDU-Verordneten Ralf Fröhlich: Eine gute Idee, sekundierte er. Dass eine Schule in ein Einkaufszentrum ziehe, sei im Südwesten kein Unikum, meinte er. „Dass das geht, sieht man ja in der ‚Zehlendorfer Welle‘, da ist auch eine Schule drin.“ Das Amt nahm auch diesen Vorschlag zur Kenntnis. Die Umbaupläne „sind eine Chance“, sagte Amtsleiter Noack, schließlich heiße es ja „Handel ist Wandel“. Wie der Eigentümer auf die diversen Nutzungsvorschläge seiner Immobilie reagiert, ist nicht überliefert – ein Vertreter des „Boulevard Berlin“ schien nicht im Sitzungsaal im Rathaus Zehlendorf gewesen zu sein.
- Wissenswertes über das „Boulevard Berlin“: Die Immobilie an der Schloßstraße war zwischen 2007 und 2012 errichtet worden. Im Januar 2022 verkaufte der französische Konzern Klépierre, es ist Europas größter Mall-Betreiber, das Einkaufszentrum an die heutige Besitzer-Gruppe. Der Branchendienst „Thomas Daily“ berichtete am Jahresanfang, dass für das „Boulevard“ im Jahr 2010 noch ein Kaufpreis von 360 bis 370 Millionen Euro aufgerufen worden sei. Beim jüngsten Eigentümerwechsel hätte die Kaufsumme „nur“ noch 250 Millionen Euro betragen – den Bericht meines Wirtschafts-Kollegen Kevin P. Hoffmann lesen Sie hier.