Namen & Neues

2500 Wohnungen, Parks, Straßen, Schule, Kitas: Der Entwurf des Bebauungsplans für Lichterfelde-Süd liegt aus

Veröffentlicht am 18.08.2022 von Boris Buchholz

Stadtentwicklungsstadtrat Michael Karnetzki (SPD) freut sich, die Groth-Gruppe ist erleichtert: Zehn Jahre nach der ersten öffentlichen Informationsveranstaltung zum Neubaugebiet am S-Bahnhof Lichterfelde-Süd ist nun endlich der Entwurf des Bebauungsplans fertig – bis zum 16. September kann das umfangreiche Planwerk im Rathaus Zehlendorf und auf der Beteiligungsplattform mein.berlin eingesehen werden. Im Rahmen der öffentlichen Auslegung sind die Bürgerinnen und Bürger aufgefordert, Stellungnahmen zum Bauvorhaben abzugeben. Der Investor rechnet damit, dass der B-Plan 6-30 spätestens Anfang 2023 von der Bezirksverordnetenversammlung beschlossen wird. Dann könnten Bauanträge gestellt und die Arbeiten am ersten Bauabschnitt begonnen werden.

Eine neue Kleinstadt. Wie seit Jahren berichtet soll auf dem ehemaligen US-Truppenübungsplatz Parks Range am Stadtrand unterhalb der Thermometersiedlung eine neue Kleinstadt entstehen: 2500 Wohneinheiten – 420 Reihen- und Doppelhäuser und etwas unter 2100 Miet- und Eigentumswohnungen – will der Investor, die Groth-Gruppe, errichten. Drei neue Kitas sind ebenso geplant wie eine neue Grundschule, Einkaufs- und Gewerbeflächen, ein zentraler Stadtplatz, ein Nachbarschaftstreffpunkt, ein Jugendzentrum und eine Gedenkstätte, die an das Kriegsgefangenenlager Stalag III D erinnern soll (siehe auch Termine). Straßen werden gebaut und verlegt, die Kreuzung Osdorfer Straße Ecke Landweg wird auf Kosten der Groth-Gruppe für 3,1 Millionen Euro  umgebaut. Parkplätze und Parkanlagen müssen angelegt werden. Unter dem Schulsportplatz ist ein Feld mit Erwärmesonden zur Beheizung der Einfamilienhäuser vorgesehen; Fassaden sollen begrünt, Blockheizkraftwerke und Solaranlagen installiert werden. Auf insgesamt 39 Hektar soll gebaut werden, etwa 6000 Menschen werden später im neuen Quartier wohnen.

Es ist das größte und anspruchvollste Bauprojekt im Südwesten seit Jahrzehnten. Entsprechend komplex und seitenstark ist das Planwerk, das der Öffentlichkeit präsentiert wird. Allein die Begründung des Bebauungsplan umfasst 237 Seiten, der Umweltbericht ist 429 Seiten stark (hinzu kommen noch 17 Anlagen). Der Bericht zum Artenschutz zählt 921 Seiten – allerdings ohne die 31 Anlagen über zum Beispiel Zauneidechsen, Fledermäuse, Feuerfalter und Heuschrecken (hier finden Sie auch die Auflistung der auf dem Baugebiet angetroffenen Vögel, das ist das Dokument 0206_t1-03-2). Im Vergleich sind die Verkehrsgutachten mit insgesamt 290 Seiten aber nur einer Anlage fast schon ein Leichtgewicht. Wald, Einzelbäume, Lärm, Energie, Denkmal, Einzelhandel – zu jedem dieser Teilgebiete und noch zahlreichen weiteren werden Unterlagen bereitgestellt. Ein ganzes Proseminar Studierender hätte wohl ein Semester damit zu tun, wirklich alle Informationen zu studieren.

Sie haben aber nur bis Mitte September Zeit, sich ein Bild zu machen und Einwände und Stellungnahmen zu formulieren. Daher mein erster Tipp: Am meisten Überblick gewinnen Sie bei der Lektüre der Begründung des Bebauuungsplans und der beiden städtebaulichen Verträge – ja, auch die notariell beglaubigten Vereinbarungen zwischen Investor und Bezirk sind komplett und mit allen Anlagen veröffentlicht.

Tipp Nummer zwei: Gehen Sie problem- und themenorientiert vor und lassen Sie sich von der Masse der Informationen nicht erschlagen und entmutigen – es ist eine Entdeckungsreise. Hier beispielhaft einige Konfliktthemen:

  • Lichterfelder Weidelandschaft. Seit Jahren wird über das Vorhaben gestritten: Zum einen hat sich seit dem Abzug der US-Streitkräfte auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz ein einmaliger Naturraum entwickelt – die Lichterfelder Weidelandschaft. Wie viel davon soll zur Bebauung frei gegeben werden? Jetzt steht fest: Ein Teil des „Hotspots der Biodiversität“ wird bebaut, doch der Großteil der Weidelandschaft soll dauerhaft erhalten werden. Mit dem Bebauungsplan verpflichtet sich die Groth-Gruppe, „die Sicherstellung der nachhaltigen, dauerhaften Pflege der wertvollen Weidelandschaft … für mindestens 25 Jahre“ (Seite 219 der Begründung). In Bezirk und Land gibt es parallel Bestrebungen, die Weidelandschaft unter Naturschutz zu stellen.
  • Ein anderer Streitpunkt sind die Sozialwohnungen, die die Groth-Gruppe errichten muss. Bezirk und Investor haben den städtebaulichen Vertrag am 31. Juli 2018 abgeschlossen; einen Tag später hätte der Bauherr im Verhältnis zur Anzahl der Geschosswohnungen nicht 25 Prozent, sondern 30 Prozent als Sozialwohnungen bauen müssen. Im aktuellen Plan sind exakt 539 Sozialwohnungen zugesagt – ein Anteil von knapp 26 Prozent. Die SPD gibt sich trotz Kritik am Zustandekommen des Vertrags damit zufrieden: „So entsteht für rund 6000 Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen neuer Wohnraum“, schreibt die SPD-Fraktion in einer aktuellen Pressemitteilung. Das sieht die Linksfraktion anders: Den „erheblichen Mangel an Mietwohnungen, die man sich leisten kann“ im Bezirk, würden nur die 539 Sozialwohnungen lindern, findet Pia Imhof-Speckmann, die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Die „420 Einfamilien- und Reihenhäuser und 1540 hochpreisigen Miet- und Eigentumswohnungen“ würden wenig dazu beitragen, den Wohnungsmarkt für Normalverdiener zu entspannen. Wie hoch die Mieten sind, die später in Lichterfelde-Süd verlangt werden, ist offen. Allerdings: Im städtebaulichen Vertrag (§ 20c, Absatz 7) ist vorgesehen, dass auch Genossenschaften und Baugruppen vom Investor berücksichtigt werden müssen.
  • Warum wird die neue Grundschule direkt an der Anhalter Bahn gebaut? Gab es Alternativen? Ab Seite 45 in der Begründung erklärt das Bezirksamt seine Standortwahl. Ob Sie die Argumente teilen oder nicht, entscheiden natürlich Sie.
  • Verändert das Neubaugebiet das Klima in der Thermometersiedlung? Das ist keine Glaubensfrage, sondern wird im Gutachten „Klimaökologische Auswirkungen des Bauvorhabens ‚Neulichterfelde‘ in Berlin“ (Dokument 0900) behandelt. Dort findet sich unter anderem die Aussage, dass die „Verminderung des Kaltluftvolumens um mehr als 10 Prozentpunkte“ in Teilbereichen Lichterfelde-Süds als „als ‚hohe vorhabenbedingte Auswirkung‘ eingestuft werden [kann]“ (Seite 22). Doch, heißt es auf Seite 23 weiter, „sind die geplanten baulichen Veränderungen nicht groß genug, um eine nennenswerte Verschlechterung der klimaökologischen Situation in der angrenzenden Wohnbebauung während windschwacher Sommernächte auszulösen“. Da werden sich die Bewohnerinnen und Bewohner der Thermometersiedlung in den aktuellen Tropennächten protestierend im Bett hin- und herwerfen – das Gutachten wurde übrigens im kühlen März 2021 geschrieben.

Die Liste ließe sich fortsetzen: Reichen die Straßen der Umgebung für den zusätzlichen Autoverkehr der neuen Bewohnerschaft aus (mehr oder weniger befriedigende Antworten geben die Verkehrsgutachten 0400 und 0401)? Wo sind die Sozialwohnungen im Quartier eingeplant (Anlage 18 des städtebaulichen Ergänzungsvertrags)? Was hat es mit dem Erdwärmefeld auf sich (sehr interessant, Anlage 24)? Und verzichtet das Neubaugebiet auf Gas (bisher nicht, mehr in den Energiekonzepten 0800 und 0801)?

70 Millionen Euro an Bürgschaften. Auch die Höhe der Sicherheitsleistungen, die der Bezirk mit dem Investor vereinbart hat, werden im städtebaulichen Ergänzungsvertrag benannt. Für den Bau der Grundschule muss die Groth-Gruppe 6,078 Millionen Euro zur Seite legen, für den Waldausgleich muss eine Bürgschaft über 1,23 Millionen Euro nachgewiesen werden. Für Grünflächen ist eine Bürgschaft über sechs Millionen Euro vereinbart, für Straßen und Plätze sind es 25,6 Millionen. Insgesamt muss der Bauherr bei Inkrafttreten des Bebauungsplans 24 Bürgschaften über etwa 70 Millionen Euro an das Bezirksamt übergeben.

Keine öffentliche Veranstaltung. An der Lektüre zumindest eines Teils der Unterlagen zum Bebauungsplanentwurf kommen interessierte Zeitgenossen nicht vorbei. Denn eine öffentliche Informations- oder Diskussionsveranstaltung zum größten bezirklichen Bauprojekt seit Jahrzehnten wird es nicht geben. Stadtentwicklungsstadtrat Michael Karnetzki verweist auf die Ausstellung der Planunterlagen, die am 21. Mai in der Thermometersiedlung stattgefunden hat (hier mein Bericht auf Tagesspiegel Plus). „Weitere Veranstaltungen des Amtes während der Offenlegung sind jetzt nicht geplant“, sagte er am Mittwoch dem Tagesspiegel. „In der jetzigen Phase sehe ich für niemanden einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn durch weitere Veranstaltungen.“ Jetzt hätten alle Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, Ihre Anregungen und Einwendungen zum B-Planentwurf abzugeben – und sich durch tausende Aktenseiten zu kämpfen.

  • Wo Sie die Unterlagen bis zum 16. September finden: Online sind alle Informationen zum Bebauungsplan 6-30 auf der Bezirkwebsite berlin.de/ba-steglitz-zehlendorf abrufbar. Dort steht auch ein Online-Formular für Ihre Stellungnahme zur Verfügung.
  • Falls Sie lieber analog lesen: Im Rathaus Zehlendorf (Fachbereich Stadtplanung, Kirchstraße 1/3, Bauteil E, 2. Etage, Raum E218) können Sie den B-Plan Montag bis Mittwoch zwischen 8.30 und 16.30 Uhr, donnerstags von 8.30 bis 18 Uhr und freitags bis 15 Uhr einsehen.