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Neverending Waldsee-Sorgen: Oben fast ein Idyll, unten zwei Meter stinkender Schlamm

Veröffentlicht am 01.09.2022 von Boris Buchholz

Eine Kahnfahrt, die ist lustig – wenn man nicht das Ruderblatt zu tief eintaucht. Im südlichen Teil des Zehlendorfer Waldsees fließt das Regenwasser aus der Argentinischen und Lindenthaler Allee und vom Mexikoplatz ungefiltert in den See. Abrieb der Autoreifen, Plastik, Blätter, Zigarettenkippen, tote Ratten, Blütenpollen, Schwermetalle – alles kommt mit dem Wasser mit. Im See sammelt sich der Regenwasser-Cocktail, sinkt zu Boden, wird zu Schlamm. Die Südhälfte des Gewässers ist im Schnitt 2,5 Meter tief. Die Anwohnerinnen und Anwohner haben nachgemessen: Oben auf dem See schwimmt zur Zeit eine hellgrüne Schicht Algen, darunter befinden sich etwa 50 Zentimeter klares Wasser, dann kommen zwei Meter faulender Schlamm. Wenn das Ruder die Schlammschicht durcheinander wirbelt, entfaltet der Waldsee seinen besonderen Duft – es stinkt erbärmlich.

Exkursion. Am vergangenen Montag luden der BUND, der Berliner Landesverband engagiert sich im Aktionsnetz Kleingewässer, und der Verein „Umweltschutz und Landschaftspflege für den Waldsee“, kurz Waldseeverein, zum Dialog und zur Bootspartie. Verteilt auf acht Ruderboote der Seeanlieger stieß die Armada aus Verwaltungsbeschäftigten, Bezirksverordneten, Abgeordneten, Presseleuten, Umweltschützern, Anwohnenden und neugierigen Bürgerinnen und Bürgern auf den künstlich angelegten See vor, um sich ein eigenes Bild vom Idyll über der Oberfläche und dem schlammigen Grauen darunter zu machen. Nach der Expedition kamen die etwa 70 Teilnehmenden im Garten des Haus der Jugend zusammen, um vor allem eines zu besprechen: Wie der Waldsee wieder aufgepäppelt werden kann.

Gestank und weniger Fische. Der modernde Schlamm sorge dafür, dass der See im Sommer regelmäßig beginne zu stinken, „dann können wir tagelang die Fenster nicht mehr aufmachen“, sagt Anwohnerin Iris Pribilla, sie ist auch stellvertretende Vorsitzende des Waldseevereins. Durch die Überdüngung des Waldsees mit den Mitbringseln des Regenwassers wird auch die ökologische Balance des Sees immer wieder nachhaltig gestört. Ende August ist der See mit Hornkraut unterwuchert, zugleich sorgt die Pflanze dafür, dass die Algen an der Oberfläche ideale Bedingungen für ihre Vermehrung finden. Teile des Südteils sind mit dem Boot nicht mehr zu befahren – es bleibt schlicht stecken. „Vor einigen Jahren hatten wir hier noch zwölf Fischarten, jetzt sind es nur noch sieben“, berichtete Seeanrainer Achim Zieger während er sein Boot, die „Titanic“, über die Pflanzenwälder schiebt.

Problem Nummer drei ist der fehlende Ablauf des Sees. Der Wasserablauf Richtung Schlachtensee wurde 1988 verschlossen – das „dreckige“ Waldseewasser sollte das „saubere“ Schlachtenseewasser nicht verunreinigen. „Jetzt ist der See eine Badewanne ohne Ablauf“, sagt Iris Pribilla. Wenn es stark regne, laufe der See voll. Erst 2017 kam es zur jüngsten Überschwemmung, die Gärten am Ufer standen für mehrere Wochen über einen Meter unter Wasser, 80 Bäume starben ab, Keller liefen voll. Erst nach massiven Protesten der Anwohnerschaft ließ das Bezirksamt das Wasser abpumpen – in den Schlachtensee. Von allein versickert und verdunstet pro Tag ein Zentimeter des Wasserstands. Bei Starkregen steige der Seepegel schnell um 40 Zentimeter, hat der Wannseeverein beobachtet. Regnet es in den folgenden 40 Tagen noch einmal, droht am Waldsee „Land unter“.

„Hier ist ein Patient, der steht kurz vor dem Herzinfarkt“, mahnte Iris Pribilla bei der Veranstaltung am Seeufer. Als Notfalloperation fordern die Anwohnerinnen und Anwohner vor allem zwei Maßnahmen: Der See solle in einem Teil der Südhälfte entschlammt werden – und der Ablauf zum Schlachtensee müsse wiederhergestellt werden, damit bei steigendem Pegel Überflutungen vermieden werden.

Die Finanzierung der Entschlammung ist ein Problem. Sowohl Umweltstadtrat Urban Aykal (Grüne) als auch Umweltamtsleiter Alexander Marschall beteiligten sich an der sich anschließenden Diskussion und unterstützen das Anliegen der Umweltschützer und Anrainer. Allein die Gemengelage ist verwachsen: Vor etwa zwanzig Jahren übertrug der Senat die Verantwortung für die Kleingewässer an die Bezirke – mehr Geld für Personal und Maßnahmen begleiteten die Kompetenzverschiebung aber nicht. Jetzt ist der Bezirk in der Verantwortung, eigenes Geld für die Sanierung des See habe er aber nicht, sagte der Stadtrat: „Dass die Entschlammung sein muss, ist unstrittig; es geht um die Finanzierung.“ Er sagte zu, sich „ganz klar“ für zusätzliche Mittel einzusetzen. „Es wird meine erste Maßnahme sein, mich mit allen relevanten Akteure möglichst zeitnah an einen Tisch zu setzen.“ Er strebe ein solches Treffen für Oktober an.

„Wenn es um ein paar 100.000 Euro geht, sollte das kein Problem sein“, meinte Turgut Altuğ, der umweltpolitische Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus. Im laufenden Haushalt seien so viele Mittel für den Bereich Klima bereitgestellt worden, wie noch nie. „Wenn die Bezirksverordnetenversammlung zusammenarbeitet und das Bezirksamt mitmacht, sollte es an der Landesebene nicht scheitern“, versprach der Abgeordnete. Nach Informationen des Waldseevereins würde eine Teilentschlammung zwischen 180.000 und 200.000 Euro kosten; der ausgebaggerte Schlamm musste als Sondermüll behandelt werden.

Auch der CDU-Abgeordnete Stephan Standfuß kündigte an, sich für das Ausbaggern des Waldsees stark zu machen: „Ich verspreche Ihnen, auf Berliner Ebene werde ich das Thema ab morgen begleiten und für die Bereitstellung des Geldes sorgen.“ Soviel parlamentarische Rückendeckung hatte der Waldsee selten. Im Gegenteil.

Bereits 2017 hatte das Lokalparlament auf Antrag der SPD die „ökologische Sanierung“ des Waldsees beschlossen (Drucksache 0515/V). „Es ist interessant, was alles beschlossen und dann nicht umgesetzt wurde“, kommentierte Iris Pribilla. Zuvor hatte Christian Schweer vom BUND auf den Schutz des Waldsees durch die EU-Wasserrahmenrichtlinie hingewiesen: „Auch künstliche Kleingewässer sind zu schützen.“ Und doch, seit Jahren weist der Waldseeverein auf das faulende Gewässer hin – und nichts geschah.

Das soll sich nun ändern. „Nach der Entschlammung kann man sich um den Überlauf kümmern“, sagte Umweltstadtrat Aykal. Laut Umweltamtsleiter Marschall seien die Berliner Wasserbetriebe verpflichtet „ab einer Pegelhöhe von 36,10 Meter zu handeln“. Allerdings sei es den Wasserbetrieben anheimgestellt, wie sie den Pegelstand regulieren wolle: per Pumpe oder mit einem Überlauf.

Die Anrainer befürworten eine Überlaufslösung – steigt der Wasserstand über eine bestimmte Marke, schwappt das Wasser in den Überlauf und fließt in den Schlachtensee. Müsste erst eine Pumpe besorgt werden, werde es im akuten Falle wieder schwierig – denn dann sei ja nicht nur der Waldsee geflutet. „2017 haben wir jeden Tag angerufen und E-Mails geschrieben, bis nach sechs Wochen endlich etwas passierte“, fasste eine Anwohnerin ihre Erfahrungen zusammen.

Das Problem des verunreinigten Regenwassers ist mit Entschlammung und Ablauf allerdings nicht gelöst. Bliebe nach der Baggeraktion alles wie es ist, stinkt der See spätestens in 20 Jahren wieder und müsste erneut entschlammt werden – wie bereits in den 1930er, 1950er und 1980er Jahren. Doch für eine Filteranlage am südlichen Einlauf des Sees fehlt es an Platz. Eine theoretisch denkbare Lösung wäre es, die Straßenentwässerung in das Südende des Sees ganz zu stoppen – und das Regenwasser der Argentinischen Allee umzuleiten. Ob das aber in der Praxis möglich wäre, müssten die Fachleute der Berliner Wasserbetriebe klären.

Die Kahnfahrt auf dem See hat den Schlamm aufgewirbelt und die Politik zu Zusagen veranlasst. Politikerinnen und Politiker von CDU, Grünen, SPD, FDP und Linken saßen in den Booten – und stehen jetzt im Wort.

  • Fotos: Boris Buchholz