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„Wir haben kein Vertrauen mehr": Mehr Sicherheit für Schulkinder am Ostpreußendamm gefordert
Veröffentlicht am 01.09.2022 von Boris Buchholz
„Vor der Giesensdorfer Grundschule auf dem Ostpreußendamm herrscht eine katastrophale Verkehrssituation.“ Das sagte Anne Löchte, die Sprecherin der Initiative „Sicherer Schulweg Giesensdorfer“ vor exakt zwei Jahren. An der Situation hat sich in den vergangenen 24 Monaten nichts geändert, sie ist durch die aktuellen Baustellen auf dem Ostpreußendamm – die Berliner Wasserbetriebe tauschen zwei große Abwasserdruckleitungen aus – sogar noch dramatischer geworden. „Übler kann die Verkehrssituation nicht sein“, attestiert Schulleiterin Konstanze Kiesner dem Schulweg ihrer Schülerinnen und Schüler. Vor allem die große Kreuzung von Osdorfer Straße und Ostpreußendamm bereitet Probleme: Viel Verkehr, hektische Autofahrer, unübersichtliche Situationen, kurze Grünphasen für große und kleine Fußgänger. 2018 wurde ein Viertklässler, der bei Grün über die Straße ging, angefahren und schwer verletzt. „Jeden Morgen stehen Eltern bei mir im Büro: Die Kinder sind verschreckt“, berichtet Konstanze Kiesner beim Pressetermin am gestrigen Mittwochmorgen.
Seit zehn Jahren setzt sich die Schulgemeinschaft für einen sicheren Schulweg ein. „Doch es passiert nichts und das macht mich wahnsinnig und wütend“, sagt Anne Löchte. Dabei sah es zwischenzeitlich so aus, als hätte der Druck der Schule, der drei Kitas am Ostpreußendamm, der Kirchengemeinde Petrus-Giesensdorf und vieler Bürgerinnen und Bürger etwas bewegt: Einen Einwohnerantrag für mehr Tempo 30 unterschrieben über 1700 Menschen; die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) stimmte im Februar 2021 einstimmig für den Antrag und die Ausweitung der Tempo-30-Zone auf dem Ostpreußendamm. Zuvor hatte der damalige Verkehrsstaatssekretär Ingmar Streese (Bündnis 90/Die Grünen) eine Umprogrammierung der Ampel an der großen Kreuzung „voraussichtlich 2021“ in Aussicht gestellt. Und im Mai 2021 verkündete die Senatsverkehrsverwaltung, dass die Ausweitung von Tempo 30 angeordnet werde – „bis Ende 2021“ werde diese Maßnahme umgesetzt.
Doch bis heute hat sich nichts verändert, weder wurden neue Tempo-30-Schilder aufgestellt noch wurden die Ampelphasen verändert. Den Eltern platzt der Kragen, auch die Schulleiterin ist aufgebracht: „Wir haben kein Vertrauen mehr.“ Gerne würde die Schule mit ihrem Tausendfüßler-Projekt, bei dem die Kinder gemeinsam zu festen Zeiten zur Schule gehen, beginnen. „Doch man kann Eltern erst vom Mitmachen überzeugen, wenn es einen sicheren Schulweg gibt“, sagt Anne Löchte. Konstanze Kiesner ergänzt, dass die Schule noch nicht einmal über die massiven und andauernden Baumaßnahmen direkt vor ihrem Schulhof informiert worden sei.
Hier verspricht Verkehrsstadtrat Urban Aykal (Grüne) Abhilfe. Er werde sich mit Schulstadträtin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) zusammensetzen, um einen besseren Informationsfluss zwischen seinem Straßen- und Grünflächenamt und ihrem Schulamt sowie den Schulen im Bezirk zu besprechen. „Das muss auf der Arbeitsebene geregelt werden“, sagte er beim morgendlichen Pressetermin. Die Initiative „Sicherer Schulweg Giesensdorfer“ und der Verein Changing Cities hatten anlässlich des berlinweiten Aktionstages „#100Schulzonen“ zum „kleinen“ Ostpreußendamm geladen – die Schülerinnen und Schüler hatten die kleine Stichstraße an der Schule per Kreide mit Zebrastreifen und Tempo-30-Schildern verziert. Die Situation vor der Giesendorfer Grundschule sei „beispielhaft für eine gescheiterte Schulwegsicherheitspolitik in Berlin“, hieß es in der Presseeinladung.
Stadtrat Urban Aykal hielt dagegen: „Die Schulwegsicherheit ist mein Leuchtturmprojekt“, sagte er vor Ort. Er habe gute Nachrichten mitgebracht. „Im Frühjahr 2023 wird die Grünphase angepasst“, sei ihm von der Senatsverkehrsverwaltung zugesichert worden. „Wann werden wir erfahren, wie die Ampelschaltung genau verändert wird“, fragte Schulleiterin Kiesner nach. Er werde sich erkundigen, versprach der Stadtrat. Auch die CDU-Abgeordnete Cornelia Seibeld war zum Ostpreußendamm gekommen: „Ich mache eine schriftliche Anfrage, dann haben wir es in drei Wochen Schwarz auf Weiß.“
Gemeinsame To-Do-Liste. Auch die Forderung nach mehr Tempo 30 auf dem Ostpreußendamm – BVV, Kitas, Schule und Bürgerinitiative wollen die Langsam-Fahr-Zone zwischen der Giesensdorfer Straße und dem Waltroper Weg einrichten – könnte in Erfüllung gehen. „Noch in diesem Jahr“ werde die erweiterte Tempo-30-Zone kommen, sagte Urban Aykal. An den beiden Stehtischen auf der Straße einigten sich alle Beteiligten auf folgende To-Do-Liste:
- Mehr Information: Schulen sollen besser über Baumaßnahmen informiert werden.
- Tempo 30: Die erweiterte Tempo-30-Zone soll angeordnet werden. Urban Aykal: „Noch in diesem Jahr.“
- Länger Grün: Die Grünphasen für Fußgängerinnen und Fußgänger sollen laut Senat Anfang 2023 verlängert werden.
- Abbieger: Die Rechtsabbiegesituation von der Osdorfer Straße in den Ostpreußendamm soll überprüft werden. Zur Zeit gibt es dort eine Vorrangampel für Abbieger; Eltern berichten, dass oft Autos auch bei Rot abbiegen würden – die Kinder hätten dann Grün.
- Nur Grün: Angestrebt werde es, eine Nur-Grün-Phase für alle zu Fuß Gehenden einzurichten. Alle Autos hätten in dieser Zeit Rot; Fuß- und Autoverkehr wären getrennt.
- Dialogdisplay: Ein Dialogdisplay soll vor der Schule aufgestellt werden. Urban Aykal: „Ich werde mit der Senatsverwaltung reden.“ Anne Löchte: „Wir sind bereit und willens, ein Display mitzufinanzieren.“
- Radwege einrichten: Auf dem Ostpreußendamm sollen die gesetzlich verlangten geschützten Radwege entstehen. Laut Stadtrat Aykal gebe es dazu aktuell keine Planungen, die Umsetzung dieses Punktes würde noch einige Jahre dauern.
Bei einem anderen Problem kamen die Akteure noch nicht zu einem gemeinsamen Ergebnis: Dadurch, dass aus der Osdorfer Straße links in zwei Spuren in den Ostpreußendamm abgebogen wird, käme es immer wieder zu gefährlichen Situationen für die Kinder auf dem Überweg, argumentieren die Eltern. „Doppelspuriges Abbiegen ist eine der allergefährlichsten Situationen – das gehört verboten“, meint Ragnhild Sørensen von Changing Cities.
Öffentlicher Druck. Trotz des Einvernehmens mit dem Stadtrat an vielen Punkten, blieben die Streiterinnen und Streiter für einen sicheren Weg zur Giesensdorfer Grundschule und zu den Kitas der Umgebung skeptisch. Eines haben sie in den vergangenen zehn Jahren gelernt: Worte sind das eine, Taten das andere. Deshalb wird die Initiative „Sicherer Schulweg Giesensdorfer“ nicht locker lassen, sie wird den Druck erhöhen. Ab der kommenden Woche wird die Initiative für sechs Wochen jeden Mittwoch zwischen 7 und 8 Uhr mit Bannern am Straßenrand des Ostpreußendamms stehen und auf ihre Forderungen hinweisen. Sollte das nichts bewegen, „melden wir dann jeden Mittwoch eine Demo auf der Straße an“, kündigte Anne Löchte an.
- Fotos: Boris Buchholz