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Jetzt sollen sich die Busse wieder einfädeln: Anwohner klagen erfolgreich gegen Busspur auf der Clayallee

Veröffentlicht am 08.09.2022 von Boris Buchholz

An der Station Schützallee hält der X10er gerade an. Nein, der Reporter am Haltestellen-Fahrplan will nicht einsteigen, er will zählen, danke: Die Bustüren schließen sich, das Gefährt rollt wieder auf die Busspur Richtung Zehlendorf-Mitte. Zwischen 15 und 16 Uhr fährt der X10er sechs Mal, der 115 kommt dreimal, der 623er nach Stahnsdorf hält ebenfalls dreimal an der Station. Spitzenreiter ist der 285er: Ganze sieben Busse verkehren in der Spitzenzeit auf der Clayallee. Vier Buslinien – nachts kommt noch die Linie N10 hinzu – und maximal 19 Busse pro Stunde, auf der Clayallee zwischen Argentinischer Allee und Riemeisterstraße ist einiges los.

Erst seit Mitte Juli gibt es für die Busse der BVG eine von der Senatsverkehrsverwaltung angeordnete und in ihrem Auftrag vom Bezirksamt stadtauswärts eingerichtete Busspur zwischen dem U-Bahnhof Oskar-Helene-Heim und der Zehlendorfer Welle. Doch mit dem 1,4 Kilometer langen Beschleunigungsstreifen für den öffentlichen Nahverkehr könnte bald Schluss sein: Am Dienstag entschied das Verwaltungsgericht Berlin, dass die Busspur auf der Clayallee rechtswidrig sei. Anwohner hatten gegen den Bussonderfahrstreifen per Eilantrag geklagt. Das Gericht gab ihnen Recht. Weder habe es vor der Einrichtung der Busspur auf der Clayallee eine besondere Gefahrenlage gegeben, noch sei die Frequenz der Busse für die Einrichtung einer Busspur ausreichend, argumentierte die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts. Und merklich schneller würden die Busse mit der Busspur auch nicht vorankommen.

Zu wenig Busse? Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs – und damit auch die Anordnung eines Bussonderfahrstreifens – könnten grundsätzlich nur bei einer durch die örtlichen Verhältnisse begründeten besonderen Gefahrenlage angeordnet werden, schreibt das Verwaltungsgericht zur Begründung. Zudem gelte bundesweit eine Verwaltungsvorschrift, nach der Busspuren in der Regel nur bei einer Frequenz von mindestens 20 Bussen des Linienverkehrs pro Stunde der stärksten Verkehrsbelastung eingerichtet werden sollten. Die Senatsverkehrsverwaltung habe aber bei der Anordnung der Busspur mit lediglich neun Bussen pro Stunde argumentiert; warum sie dennoch eine eigene Spur für die Linienbusse sinnvoll fand, sei nicht ausreichend begründet worden.

Anscheinend basiert die Eilentscheidung auf der dem Gericht vorliegenden Aktenlage. Eine Exkursion zur Schützallee oder zum Oskar-Helene-Heim oder ein Blick in die Fahrplanauskunft im Internet hätte zumindest die Frage nach der Frequenz der Busse eindeutig klären können. Jetzt gilt: Laut dem Gerichtsbeschluss sind die entsprechenden Verkehrszeichen sowie die Fahrbahnmarkierungen binnen einer Woche nach Rechtskraft der Entscheidung zu entfernen. Gegen den Beschluss kann jedoch Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erhoben werden. Die Senatsverwaltung prüft derzeit, ob sie Rechtsmittel einlegt. Mein Kollege Hans-Hermann Kotte berichtet hier ausführlich über die Gerichtsentscheidung und die Reaktionen auf Landesebene.

Im Bezirk traf die Entscheidung des Gerichts auf Entzücken und Entsetzen. Der Fraktionsvorsitzende der AfD, Peer Döhnert, sagte, dass es keine guten Gründe für die Einrichtung der Busspur gebe, man habe die Anwohner im Vorfeld gewarnt: „Der einzige Effekt dieser Maßnahme ist die Behinderung des Autoverkehrs.“ Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Torsten Hippe, nennt die Busspur „Unsinn“. In einer Großen Anfrage, die seine Fraktion in die Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung kommenden Mittwoch einbringt, spricht Torsten Hippe vom „grünen Kulturkampf gegen das Kfz“, von „Zwangsbeglückung“, von „politischen Willkürmaßnahmen“. Der Kernvorwurf: Mit der Busspur solle die Verkehrssituation nicht verbessert, sondern nur der Individualverkehr verdrängt werden. „Wir werden die Sache auch hinsichtlich der Haftung nicht auf sich beruhen lassen“, kündigte der CDU-Fraktionsvorsitzende gegenüber dem Tagesspiegel an und sprach von „Schadenersatzkonsequenzen“.

Einspruch. „Der Bezirk sollte Einspruch gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts einlegen und sich nicht das Zepter bei der Verkehrswende von klagenden Autobesitzerinnen und -besitzern aus der Hand nehmen lassen“, sagt dagegen Mathias Gruner. Er ist der Sprecher der Linksfraktion für den Öffentlichen Nahverkehr. Er rät dazu, im Fall der Fälle „hilfsweise“ statt der Busspur einen Radweg mit Freigabe für den Linienverkehr einzurichten. Vorbild wäre der neue Radstreifen vor dem Botanischen Garten in der Straße Unter den Eichen. Er finde es schade, „das ein einzelner Autobesitzer das Wohl aller ÖPNV-Nutzer beeinträchtigt“.

Mathia Specht-Habbel, die Fraktionsvorsitzende der FDP, rät dazu, erst einmal abzuwarten, ob der Senat Rechtsmittel einlegt. Sollte das Urteil Bestand haben, müsse sich die Senatsverkehrsverwaltung allerdings fragen lassen, „ob sie die Voraussetzungen für eine Busspur ausreichend geprüft und bewertet hat“. Zur Frage ob ausreichend Buslinien auf der Clayallee verkehren, um eine Busspur zu rechtfertigen, sagt sie: „Die Außenbezirke sind anders zu bewerten als Innenstadtbezirke, hier im Bezirk ist die Frequenz der Busse geringer als in Mitte oder Friedrichshain-Kreuzberg.“

Überraschung. Die Gerichtsentscheidung hat Bernd Steinhoff, den grünen Fraktionsvorsitzenden, überrascht. Er spricht von einer „leicht zu bemerkenden großen Busdichte“ und einem „Fehlurteil“. – „Das Eilurteil verwundert sehr, wo doch alle Ortskundigen, etwa die klagenden Anwohnerinnen und Anwohner, wissen sollten, dass hier viel mehr Busse fahren. Wir gehen von einer gegenteiligen Entscheidung im Hauptverfahren aus.“

Konkret zur Clayallee will sich die Spitze der SPD-Fraktion nicht äußern. Die beiden Fraktionsvorsitzenden Olemia Flores Ramirez und Volker Semler schrieben dem Tagesspiegel, dass ihre Fraktion „grundsätzlich für eine Stärkung des ÖPNV und damit auch des Busverkehrs“ stehe. Busse müssten verlässlicher und schneller durch die Stadt rollen als bisher. Das könne „über die Einrichtung gesonderter Busspuren sichergestellt werden“.

Hier der kurze Faktencheck für Ihre Debatte am Esstisch: Nicht der Bezirk, sondern die Senatsverkehrsverwaltung hat den Busstreifen angeordnet; die Anwohner klagten gegen den Senat. Daher kann auch nur der Senat Beschwerde einlegen und das Hauptsacheverfahren vorantreiben. Parkplätze sind durch die Busspur wenn überhaupt nur sehr geringfügig weggefallen. Die Spur wurde auf die zweispurige Fahrbahn aufgemalt; die dritte Spur, auf der die parkenden Autos stehen, wurde belassen. Das Büro von Straßen- und Verkehrsstadtrat Urban Aykal (Grüne) teilte mit, dass man noch nichts darüber sagen könne, inwieweit die Busspur den Linienverkehr genutzt oder den Autoverkehr auf der verbleibenden Fahrspur gebremst habe. „Für eine aussagekräftige Evaluierung des kürzlich angeordneten Bussonderstreifens auf der Clayallee ist der Zeitraum zu kurz“, heißt es aus dem Rathaus.

  • Was ist Ihre Meinung? Soll die Busspur in der Clayallee bleiben? Ist hier gar eine Lex Zehlendorf zu erwarten, die es generell erschweren würde, Busspuren in der Stadt einzurichten? Sie erreichen mich unter boris.buchholz@tagesspiegel.de.