Namen & Neues

Sonder-BVV: Weg frei für das Streamen der Sitzungen und ein Turm-Wunder

Veröffentlicht am 01.12.2022 von Boris Buchholz

Es war eine Sitzung mit Wegweisendem und einem Wunder – am Dienstagabend fand eine außerordentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) statt. Erst das Wegweisende: Die Bezirksverordneten haben mehrheitlich einer neuen Geschäftsordnung zugestimmt, in der das Streamen der BVV-Sitzung geregelt ist. Sobald die Technik installiert ist und läuft, soll nun jede BVV ins Internet übertragen werden. Der Südwesten bekommt das lokale Parlamentsfernsehen, an der Bezirksdemokratie teilzunehmen, wird deutlich erleichtert. Nun sind die Regeln definiert, eine Mutmaßung darüber, wann die erste gestreamte Sitzung stattfinden wird, stellte am Dienstagabend im Rathaus Zehlendorf jedoch niemand an. Jetzt müssen das BVV-Büro und das Bezirksamt die Wünsche der Lokalpolitiker umsetzen.

Die Geschäftsordnung war auch der Grund, warum es zur Sondersitzung des Lokalparlaments gekommen war: Weil sich die Bezirksverordneten durch die Mehrheit aus Grünen, SPD und FDP die Frist gesetzt hatten, bis 30. November ein neues Regelwerk mit Streaming-Paragraphen (die Geschäftsordnung wurde auch an diversen anderen Stellen verändert, sie wurde in die Gegenwart geholt) beschließen zu müssen, drohte die alte Geschäftsordnung auszulaufen. Als die CDU die im zuständigen Ausschuss erarbeiteten Spielregeln des hohen Hauses wieder in den gleichen Ausschuss zurückverwies, drohte den Lokalpolitikern die Zeit auszugehen. Also traf man sich am Dienstag, die nächste reguläre Sitzung findet bereits am kommenden Mittwoch, 7. Dezember, statt.

Turm-Affäre. Spannender als die Debatte um die Parlaments-Spielregeln war die Entscheidungsfindung rund um den Einwohnerantrag der Schulgemeinschaft des Arndt-Gymnasiums. Das Schulamt hatte vor, eine Mobilfunkantenne auf dem Turm der Schule zu genehmigen, die Telekom hatte einen entsprechenden Antrag eingereicht. Doch vorab gesprochen hatte Bildungsstadträtin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) nicht mit der Schule. Erst lehnte die Schulkonferenz das Mobilfunkansinnen ab, dann lief die Schulgemeinschaft Sturm und wehrte sich: Ein Einwohnerantrag wurde formuliert, 1518 Menschen unterzeichneten den Wunsch, den Schulturm mobilfunkfrei zu halten. Im Juni wurde der Antrag der BVV vorgelegt.

Und im gleichen Monat lenkte Cerstin Richter-Kotowski im Dahlemer Antennenstreit ein: Sie habe den Telekom-Antrag abgelehnt, erklärte sie. Aber: Im Laufe der Debatten hatte sie erfahren, dass die Schule regelmäßig auf den Schulturm steige – für das Turmblasen, um die Falken zu beobachten oder zu Schulfesten. Weil es jedoch keinen zweiten Fluchtweg vom Arndt-Turm gebe, sperrte die bezirkliche Schulverwaltung den Turm. Seit dem 20. Juni darf der Turm nur noch zu Wartungszwecken betreten werden. Das Mobilfunk-Anliegen war durch Amtshandeln erledigt, die Turmwut nahm durch das amtliche Verbot allerdings noch zu. Und über den Einwohnerantrag war bis Dienstag nicht entschieden worden.

Aus vier Zeilen wurden 22. Weil die Bezirksverordneten von Grünen, SPD und FDP nicht einem in der Sache überholten Einwohnerantrag gegen die Mobilfunkanlage zustimmen wollten, veränderten sie den Antrag: Aus ursprünglich vier Zeilen wurden 22, aus „wir wollen keine Antenne auf dem Turm“ wurde „wir bekennen uns zum Ziel des 5G-Ausbaus“ (meinen Kommentar zum Umgang mit Einwohneranträgen finden Sie hier). – „Uns haben die ohne jegliche Rücksprache vorgenommenen fundamentalen Abänderungen, die ja sogar den Titel umfassten, ausgesprochen befremdet“, sagte der 16-jährige Schüler Moritz Rohland am Dienstagabend vor den Bezirksverordneten. Er ist der Initiator des Einwohnerantrags und einer der drei Vertrauenspersonen. Sei es der Schulgemeinschaft zunächst darum gegangen, den Turm frei von der Mobilfunkanlage zu halten, stehe jetzt die Aufhebung des Betretungsverbots im Vordergrund. Soweit die Vorgeschichte.

Jetzt kommt das erwähnte Dienstags-Wunder. Der Linken-Verordnete Dennis Egginger-Gonzalez fasst es so zusammen: „Jetzt haben wir die verrückte Situation, dass sich die CDU, deren Stadträtin das Feld eröffnet hat, als Schutzheiliger des Bürgerwillens gibt.“ Denn Torsten Hippe, CDU-Fraktionschef, kritisiert zum einen den von den Ampel-Fraktionen veränderten Bürger-Antrag und gibt auf der anderen Seite die Verantwortung für die Turmschließung an die Bauaufsicht ab – für sie ist Stadtrat Michael Karnetzki (SPD) zuständig. „Die Entscheidung über die Begehbarkeit hängt nur am Bauamt“, sagt Torsten Hippe.

Das stimme nicht, kontert Stadtrat Karnetzki. Denn das Betretungsverbot wurde von der Schuldezernentin ausgesprochen; erst vier Wochen später sei sein Amt einbezogen worden. Nichtsdestotrotz: Jetzt liegt die Frage, ob Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler und Besucherinnen und Besucher auf den Turm Klettern dürfen, bei der Bauaufsicht. Und die legt die Muster-Hochhaus-Richtlinie an den Turm an: Ohne zweite Rettungsmöglichkeit dürfe der Turm nicht betreten werden.

Der verlängerte Einwohnerantrag wurde am Dienstag beschlossen; die ersten beiden Absätze mit den Stimmen von Grünen, SPD und FDP, der dritte Absatz sogar einstimmig von allen Fraktionen: Das Bezirksamt solle die Begehung des Turms „gegebenenfalls unter Auflagen“ gewährleisten. Spätestens jetzt ist die Lösung der Turm-Affäre zur Sache von Bauaufsichtsstadtrat Karnetzki geworden. Ein politisches Wunder.