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Eine Schulzone für die Dunant-Grundschule: Elf Sekunden Grünphase sind zu wenig

Veröffentlicht am 08.12.2022 von Boris Buchholz

Der Kontrast konnte größer nicht sein: Auf der einen Seite der Absperrbaken rauschte am Dienstagmorgen gegen 8.40 Uhr der Verkehr auf der Schildhornstraße dahin – 28.960 Autos, Lastwagen und Busse sind täglich auf der vierspurigen Straße unterwegs. Auf der anderen Seite der Barriere – spielen Kinder, sie malen auf der Straße, sind mit zwei- und vierrädrigen Gefährten unterwegs. In der Gritznerstraße fährt zwischen Schildhorn- und Treitschkestraße kein Auto, auch die Straßenränder sind von parkenden Fahrzeugen befreit. Am Dienstag war berlinweiter Aktionstag der Kampagne #100Schulzonen des gemeinnützigen Vereins Changing Cities. Die Steglitzer Dunant-Grundschule machte mit und zeigte, wie eine morgendliche temporäre Schulstraße vor dem Schulgebäude funktionieren könnte.

Schon der Schulweg der 545 Schülerinnen und Schüler der Grundschule in der Gritznerstraße 19-23 hat es in sich. Ein großer Teil von ihnen muss die Schildhornstraße überqueren, direkt an der Kreuzung mit der Gritznerstraße befindet sich eine Ampel – und die Ampelphase ist Ärgernis Nummer eins. „Die Ampel ist mit einer Ampelphase von elf Sekunden brandgefährlich“, sagt Judith von Falkenhausen vom Vorstand der Gesamtelternvertretung. Morgens würden sich die Kinder an der Ampel sammeln, „aber nur die Kinder in der ersten Reihe schaffen es gerade so bei Grün“, sagt Vater Philipp Giesecke. Ob die Schülerinnen und Schüler der zweiten und hinteren Reihen noch auf die Straße stürmen oder auf dem sicheren Gehweg blieben, hänge vom Kind ab. „Die haben ja Zeitdruck“, ergänzt Judith von Falkenhausen.

Die Forderung der Eltern: Die Ampelphase muss deutlich verlängert werden. Er werde sich darum kümmern und mit der Senatsverkehrsverwaltung sprechen, verspricht Verkehrsstadtrat Urban Aykal (Grüne). „Das muss angepasst werden, zumindest zwischen 7 und 9 Uhr sowie von 13 bis 15 Uhr“, sagt er.

Auch für das andere verkehrliche Hauptproblem der Schule hat er Verständnis: Besonders morgens stauen sich Gritzner- Ecke Treitschkestraße regelmäßig die Autofahrenden. Weil es in den engen Straßen dann vorwärts nicht mehr vorangehe, werde immer wieder rückwärts gefahren, beschreibt Judith von Falkenhausen das tägliche Geschehen. „Die Kinder können den Kreuzungsbereich nicht einsehen“, sagt sie. Die Wünsche der Eltern: An allen vier Seiten der Kreuzung sollten Zebrastreifen eingeführt werden, Bremsschwellen in der Gritzner- und Treitschkestraße könnten den Verkehr verlangsamen.

Zweigeteilter Hort. Die Kreuzung ist auch deshalb für die Schule von großer Bedeutung, weil der Schulhort an zwei Standorten untergebracht ist: Die „Sonneninsel“ befindet sich im Neubau an der Gritznerstraße, die „Oase“ hat ihre Räume in der Treitschkestraße 28-30, gegenüber vom Sportplatz Schildhornstraße. Teilweise müssen die Hortkinder mehrmals täglich die Gritznerstraße an der Kreuzung überqueren. Bei guter Witterung findet zudem der Sportunterricht auf dem Sportplatz statt; auch dann müssen die Kinder in Klassenstärke über die Gritznerstraße.

Doch beim Ortstermin scheint Stadtrat Aykal von der Idee mit den Zebrastreifen noch nicht überzeugt zu sein, denn auf beiden Seiten der Gritznerstraße sind bereits Gehwegvorstreckungen vorhanden. Um für die Kinder eine bessere Übersichtlichkeit herzustellen, „wären Sperrflächenmarkierungen hier sinnvoll“, findet er. Die Autos könnten dann nicht mehr so dicht an der Ecke geparkt werden. Ein, zwei Parkplätze würden zwar wegfallen, dafür könnten dort „theoretisch ein, zwei Fahrradbügel installiert werden“. Berliner Kissen, also Schwellen auf der Straße findet er „generell eine sinnvolle Maßnahme“. Ob sie etwas für die Treitschkestraße wären, lässt er offen. Er ist sich sicher, dass Verbesserungen für die Dunant-Kinder auch den Schülerinnen und Schülern der Kopernikus-Oberschule in der Lepsiusstraße zugute kämen. Wichtig sei, dass sich die Verkehrsprobleme durch neue Maßnahmen nicht einfach nur um einige Meter verlagern.

Darauf, dass ein Teil des Verkehrsproblems auch hausgemacht ist, weist Konrektorin Sonja Lehniger hin. Denn der Anteil der ihre Kinder zur Schule fahrenden Eltern sei „relativ hoch“. Sie verstehe, dass so manche Eltern ihren Nachwuchs nicht alleine über die vor allem morgens dicht befahrenen Straßen gehen lassen möchten. Aber wenn man sein Kind schon bringe, dann könne es doch auch schon eine Ecke vor der Schule aus dem Auto gelassen werden. Das Ziel der von den Eltern organisierten Straßenaktion unterstützt sie voll: „Wir müssen das Verkehrschaos mindern, damit die Kinder sicher zu Fuß und mit dem Rad zur Schule kommen.“ Ob das Projekt Tausendfüßler, bei dem Kinder sich zu festen Zeiten an Haltestellen im Einzugsbereich treffen und gemeinsam zur Schule gehen, etwas für die Schule sei, werde derzeit in den Schulgremien diskutiert.

Zwei Stadträtinnen, ein Stadtrat, eine Bürgermeisterin. Über mangelnde Aufmerksamkeit aus dem Rathaus konnte sich die Schulgemeinschaft nicht beschweren. Vater Daniel Soesanto, er arbeitet im Verkehrsausschuss der Schule mit, berichtet vom morgendlichen Besuch von Bildungsstadträtin Cerstin Richter-Kotowski (CDU): „Sie hat von sich aus gesagt, dass man die Straße morgens temporär vor Schulbeginn sperren könnte.“ Ähnlich habe sich auch Bezirksbürgermeisterin Maren Schellenberg (Grüne) bei ihrem Stopp vor Ort geäußert. „Sie brachte das Beispiel der ‚Rue d’école‘ aus Paris“, sagt Elternvertreterin von Falkenhausen. Auch Jugend- und Gesundheitsstadträtin Carolina Böhm (SPD) hat sich die Schulzonen-Aktion angeschaut. Sie habe in erster Linie zugehört, so der Bericht der Eltern. „Wir haben tatsächlich die geballte Steglitzer Politik-Prominenz zu Gast!“, sagt Daniel Soesanto.

Die Hoffnung an der Schule ist, dass diese Aufmerksamkeit auch kurzfristig zu ersten Verbesserungen führt. Bis dahin geht Lehrerin Sonja Lehniger nach einem bewährten Prinzip vor, wenn sie mit einer Klasse die Schildhornstraße überqueren muss: „Ich stelle die Schülerinnen und Schüler an der Ampel in Viererreihen auf – und trotzdem schaffen wir es nicht bei Grün rüber.“

  • Die Nachbarschaft: Für die Schulzonen-Aktion, sie fand zwischen 7 und 9.30 Uhr statt, mussten am Morgen zwanzig Autos von der Polizei aus dem absoluten Halteverbot umgesetzt werden. Die Eltern hatten einige Tage zuvor auf Handzetteln über die Aktion informiert; 170 Flyer wurden an den Haustüren in der Nachbarschaft geklebt. Einige Nachbarinnen und Nachbarn schauten sich das Kinder-Treiben vor der Schule auch aus der Nähe an. „Eine Anwohnerin war da und fragte, wann denn endlich das eigentlich verordnete Tempo 30 auch kontrolliert werde“, sagt Vater Philipp Giesecke dem Tagesspiegel.