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Solaranlage gut, Dämmputz schlecht: In der Waldsiedlung Zehlendorf nähern sich Denkmalschutz und Klimaschutz an
Veröffentlicht am 16.03.2023 von Boris Buchholz
Es sind gute Signale, die am Dienstagabend aus dem Gemeindesaal der Emmaus-Kirchengemeinde an der Onkel-Tom-Straße drangen: Klimaschutz und Denkmalschutz können weitgehend miteinander auskommen. Das Landesdenkmalamt hatte zur dritten Bürgerwerkstatt geladen: Für die Waldsiedlung Zehlendorf wird ein neuer Denkmalpflegeplan erarbeitet (hier mein Bericht von der Vorgänger-Veranstaltung), es ist ein Regelwerk, das festlegt, was in den denkmalgeschützten 800 privaten Reihenhäusern der Siedlung und den diversen Mehrfamilienhäusern sowie um sie herum erhalten werden muss. Und wie es erhalten werden muss. Betroffen sind etwa 4000 Menschen, die zwischen den Straßen Am Fischtal, Onkel-Tom-Straße und Holzungsweg wohnen. Das Ziel von Denkmalschützern und Stadtpolitik lautet: Die Waldsiedlung soll als siebte Siedlung der Moderne in der Stadt den Status des Weltkulturerbes erlangen.
Doch in der Waldsiedlung könnte der Denkmalschutz mit dem Klimaschutz kollidieren, ist die Befürchtung. Seit Jahren ist die Bewohnergemeinschaft im Prozess, die Waldsiedlung enkeltauglich und klimaneutral zu machen. Erneuerbare Energien, effektive Dämmmaßnahmen, weniger Verkehr, mehr unversiegelte Fläche und Umweltbildung sind wichtige Standbeine der Planung.
Seit Herbst 2021 hat sich das Plangebiet ausgeweitet, das Projekt „Klimafreundliches Quartier“ (kurz KliQ) reicht jetzt vom U-Bahnhof Krumme Lanke über die Wohngebiete am Bahnhof Onkel Toms Hütte bis zur Umgebung der Station Oskar-Helene-Heim. 50 Prozent des Quartiers stehen unter Denkmalschutz. Umso mehr brannten den Interessierten im Gemeindesaal Fragen unter den Nägeln: Können Luftwärmepumpen installiert, Solaranlagen auf das Dach gebracht, Steckdosen für E-Autos an die Fassade angeschraubt und die Fassaden mit Wärmedämmputz versehen werden? Dreimal ja, einmal nein.
„Eine Montage von PV-Anlagen auf den Dächern der Reihenhäuser ist aus denkmalpflegerischer Sicht grundsätzlich möglich“, führte Beate Neumerkel von Pro Denkmal aus. Ihr Büro erarbeitet für das Landesdenkmalamt die Grundzüge des Denkmalpflegeplans. Wichtigste Bedingung sei, dass die Anlagen vom Gehweg gegenüber nicht zu sehen sein dürfen. Deshalb werden Mindestabstände zur Dachkante ebenso vorgegeben wie eine maximale Höhe. Auch auf Vordächern, den Wintergärten, auf dem Garagendach oder dem Schuppen wären Solaranlagen möglich.
Wärmepumpen sind ebenfalls erlaubt. Luftwärmepumpen auf dem Dach müssten in der Dachmitte installiert werden, damit sie beim Blick von der Straße möglichst nicht zu sehen sind. Im Vorgarten sind die Wärmegeräte zwar ungewollt, im Garten hinter dem Haus könnten sie jedoch aufgestellt werden. Auch im Keller wären die Wärmeversorger möglich – man müsse aber sehen, wie für Zu- und Abluft gesorgt werden könne, ohne die Fassaden der schützenswerten Häuser zu durchlöchern. Apropos: Ladesteckdosen für E-Autos an der Hauswand seien dort, wo Stellplätze auf den Privatgrundstücken zugelassen sind, erlaubt; nur die Bitte: Sie sollten dezent sein.
Kontroverse beim Thema Dämmung. Zwei Drittel der Gesprächszeit am Dienstagabend, der Saal war voll, um die einhundert Gäste waren gekommen, drehte sich um das Thema Wärmedämmung – und da wurde es dann doch kontrovers. Gleich zu Beginn ihres Vortrags ließ Beate Neumerkel die Katze aus dem Sack: „Es wird so sein, dass Dämmputz an der Garten- und Straßenfassade nicht genehmigungsfähig ist.“ Lediglich an seitlichen Giebelwänden ohne Fenster und Türen könne ein hocheffektiver Aerogel-Dämmputz bis zu einer Dicke von vier Zentimetern aufgebracht werden.
Die Argumente: „Die Farbe und die Fassade der Häuser machen einen wesentlichen Denkmalwert aus“, so die Fachfrau. Weder dürfte durch einen zu dicken Putz die aus dem bisherigen Putz herausguckenden Fenster- und Türelemente „verschluckt“ werden. Noch dürfe das Erscheinungsbild der Häuser verändert werden. Der bisherige Putz sei ein Mineralischer Glattputz, der in einer Stärke von 20 bis 25 Millimeter aufgebracht worden sind. Der Dämmputz aber wäre dicker, bis zu vier Zentimeter; die herausstehenden Elemente der Fassade würden eingeebnet.
Es entbrannte eine Diskussion um Millimeter. Es gäbe neuere, dünnere Dämmputze, die höchstens einen Zentimeter auftrügen, wurde aus der Zuhörerschaft argumentiert. Natürlich wolle man nicht, „dass die Fenster im Putz versenkt werden“, sagte eine engagierte Anwohnerin. Und ja, „es ist eine neue Sache, aber es ist auch eine neue Situation“, meinte sie im Blick auf den Klimawandel.
„Kein Fachwerk aus Kunststoff.“ Zwei weitere Begründungen für das Verbot des Dämmputzes brachte Björn Schmidt vom Landesdenkmalamt vor. Zum einen gehe es bei Denkmalen um Materialgerechtigkeit: Man solle in einhundert Jahren noch sehen können, wie vor zweihundert Jahren gebaut wurde. „Wir wollen auch kein Fachwerkhaus, dessen Fachwerk aus Kunststoff besteht“, sagte er. Zum anderen bereiten den konservatorischen Konservativen neue Materialien Sorgen. „Für uns ist der Dämmputz eine Neuerung, wie wird er altern, wird er patinieren, wie entwickelt sich die Farbe?“ Man wisse es nicht, „das ist für uns ein Risiko“.
Alternativ zur Außendämmung schlagen die Denkmalschützer vor, dass innen gedämmt werden könne: 80 Millimeter Dämmmaterial habe einen ähnlichen Effekt wie die Dämmung außen. „Bei acht Zentimetern können wir unsere Heizanlage komplett erneuern“, warf ein Reihenhausbewohner ein. Zudem ergäben sich bei einer Innendämmung oftmals Probleme mit dem Raumklima, Schimmelbildungen würden dann die Folge sein. Beate Neumerkel gab ihm Recht: „Wenn ich innen dämme, müssen andere Ausstattungen gegebenenfalls entfernt werden.“ Zur Wahrung des Raumklimas empfiehlt sie, auf Handwerker mit Expertise in diesem Bereich zuzugehen. „Dann wohnen wir auf einer Baustelle“, „das macht doch keiner“, „wenn ich neue Heizkörper besorgen muss, wird das zu teuer“, „wir verlieren Wohnfläche“ – das Gemurmel und die Unmutsäußerungen im Saal waren im Laufe der Debatte vielfältig.
Allerdings: Die Dämmung von Dach, Kellerwänden, Kellerdecke und -boden sind laut dem Entwurf des Denkmalpflegeplans zulässig. Eine Anwohnerin, die zugleich Architektin ist, verteidigte die Haltung des Landesdenkmalamts. Auch eine nur ein Zentimeter dickere Außenhaut verändere das Erscheinungsbild, war sie sich sicher. Ihr Haus sei energetisch weit vorne, von den Türen über die Fenster bis zum Dach: „Ganz ehrlich, innen zu dämmen, das habe ich auch nicht gemacht – aber alles andere.“
Die Denkmalschützer brachten eine Modellrechnung mit in die Versammlung: Würden man bei einem fünf Meter breiten Reihenmittelhaus der Siedlung alle genehmigungsfähigen Dämmmaßnahmen durchführen, könnten bei der Beheizung im Vergleich zu einem energetisch nicht ertüchtigtem Haus 84 Prozent der Energie eingespart werden. In der Folge käme es zu einer Reduktion des CO2-Austoßes um 4320 Kilogramm pro Jahr. Wohlgemerkt: Bei dem Rechenbeispiel wären die Außenwände des Modellhauses von innen gedämmt.
5120 Tonnen CO₂. Erst vor zwei Wochen hatte die Berliner Energieagentur im Auftrag des Vereins Papageiensiedlung den Endbericht einer Potenzialuntersuchung für das gesamte KliQ-Projektareal vorgelegt. Wesentliche Erkenntnisse waren unter anderem, dass der größte Wärmeverlust der Häuser über die Außenwände erfolgt. Es heißt im Bericht: „Wird eine Dämmung von wärmeübertragenden Außenbauteilen – hier insbesondere Außenwände – unterlassen, wird auf rund ein Drittel des Einsparpotenzials oder rund 18.000 Megawattstunden pro Jahr verzichtet.“ Aus Sicht der Energiefachleute besteht für das Quartier, das klimafreundlich werden möchte, am meisten CO₂-Einsparpotenzial beim Wärmeschutz der Ein- und Zweifamilienhäuser: 5120 Tonnen CO₂ könnte weniger emittiert werden.
Beim Punkt Dämmung wird es weiter Konflikte zwischen Denkmal- und Klimaschutz geben. Die Aussicht besteht, dass sich in der Zukunft die Baumaterialien weiterentwickeln, und Dämmputz von außen dann auch aus der Sicht der Schützer der Kulturgüter unserer Stadt tragbar wird.
An vielen anderen Punkten steht der Denkmalschutz der Reduzierung der CO₂-Emissionen jedoch nicht im Weg. Die Expert:innen der Berliner Energieagentur sehen bei der Photovoltaik im KliQ-Quartier allein auf den Reihenhäusern ein weiteres CO2-Einspar-Potenzial von 2980 Tonnen pro Jahr. Den größten Bedarf, klimafreundlich zu werden, hat übrigens die Mobilität. Hier wäre eine Reduktion um 5390 Tonnen möglich, wenn weniger Autoabgase in die Zehlendorfer Luft geblasen würden. Doch das hat – bis auf die Lademöglichkeiten für E-Autos – mit dem Denkmalschutz nur am Rande zu tun.
Zum Schluss: Die Zusammenarbeit zwischen dem Landesdenkmalamt, Pro Denkmal, dem Verein Papageiensiedlung und der nicht-organisierten Bewohnerschaft hat sich im Laufe des Beteiligungsprozesses immer weiter verbessert. Zur Präsentation der Berliner Energieagentur waren auch die Denkmalschützer:innen geladen, es gab zwischen den verschiedenen Veranstaltungen Gespräche zur Abstimmung im kleinen Rahmen. Die Präsentation, die am Dienstagabend gehalten wurde, wurde den Bewohner:innen der Waldsiedlung einen Tag zuvor zur Verfügung gestellt, sodass man sich vorbereiten konnte.
Zur Zukunft: Sabine Ambrosius, die Referentin beim Landesdenkmalamt für das Welterbe, erläuterte den weiteren zeitlichen Ablauf: Jetzt werden die Anmerkungen aus der Veranstaltung in den Entwurf des Denkmalpflegeplans eingearbeitet, dann wird das Papier allen Interessierten zur Verfügung gestellt. „Wir machen wie in einem Bebauungsplanverfahren eine öffentliche Auslegung“, kündigte sie an. Den ganzen Mai über könnten weitere Einwendungen, Kritik und Lob an das Amt geschickt werden. Dann werde ausgewertet – und im Juli soll der neue Denkmalpflegeplan fertig sein.