Namen & Neues

Unattraktiv! Das Pflegestudium muss besser finanziert werden, findet die Evangelische Hochschule

Veröffentlicht am 04.05.2023 von Boris Buchholz

Pflegekräfte sind knapp – laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft könnten im Jahr 2035 etwa 307.000 Pflegerinnen und Pfleger im deutschen Gesundheitswesen fehlen. Doch obwohl der Bedarf groß ist, hapert es bei der akademischen Nachwuchsgewinnung – und das liegt wohl nicht am Desinteresse potenzieller Pflegerinnen und Pfleger, sondern vor allem am mangelnden Geld. Denn Fachkraft für Pflegeberufe können Sie auf zwei Arten werden: Entweder Sie machen eine Ausbildung und werden von der ersten Minute bei Ihrem Arbeitgeber mit einem Azubigehalt belohnt. Oder Sie machen ein Pflegestudium. Und müssen sehen, wie Sie Ihr Leben finanzieren.

„Ich bin alleinerziehend mit zwei kleinen Kindern und gehe zur Finanzierung meines Studiums nebenbei noch arbeiten“, sagt Ariane Karzek (im Bild links). „Das stellt mich insbesondere wegen der Praxisstunden im Studium und der unterschiedlichen Kurse, die wir belegen müssen, vor große organisatorische Herausforderungen.“ Die 37-Jährige studiert als Quereinsteigerin an der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB) am Teltower Damm in Zehlendorf.

Von den 4600 Pflichtstunden im Studiengang Bachelor of Nursing sind mindestens 2300 Praxisstunden – 50 Prozent ihres Studiums verbringen die Studierenden im pflegerischen Schichtdienst. „Im Gegensatz zur beruflichen Ausbildung wird jedoch keine der geleisteten Pflichtstunden vergütet“, schrieben Studierende der EHB, der Charité und der Alice Salomon Hochschule schon 2021 in einem Brandbrief an die Politik. Abends, nachts oder am Wochenende müsse deshalb gejobbt werden; das Ergebnis seien 50- bis 70-Stunden-Wochen, es sei „eine enorme emotionale, körperliche und finanzielle Belastung“. Entsprechend hoch sei die Abbruchquote: „In einigen Jahrgängen schon nach einem Jahr an die 50 Prozent.“

Bald zwei Jahre nach dem Hilferuf der angehenden Pflegeexpertinnen und -experten hat sich an der Situation kaum etwas geändert. „Ich arbeite regelmäßig am Wochenende und in den Semesterferien, um mir das Studium zu finanzieren, neben den Praxiseinsätzen ist das sehr herausfordernd“, sagt Tabea Berndt (21), sie ist im zweiten Semester des Studiengangs an der EHB. „Ich finde es schwierig, dass wir im Studium keine finanzielle Unterstützung bekommen wie beispielsweise die Hebammen.“ Da sie außerhalb von Berlin wohne – „da ich in der Stadt keine günstige Wohnung finde“ – habe sie zudem einen Fahrweg von bis zu zweieinhalb Stunden, „ich stehe morgens um 4 Uhr auf, um pünktlich zu den Seminaren zu kommen“.

„Das Pflegestudium in Berlin ist ernsthaft gefährdet, da ein solides Finanzierungsprogramm für die praktische Ausbildung fehlt“, sagt auch Sibylle Baluschek, die Pressesprecherin der Evangelischen Hochschule. Immer weniger junge Menschen fingen mit dem Studium an oder brechen frühzeitig wieder ab. Auch aktuell „können nicht alle angebotenen Studienplätze belegt werden“. Solange es keine Vergütung für die Studierenden gäbe, sei mit einer Verbesserung der Ausbildungszahlen nicht zu rechnen.

Sven Lück ist Professor und Leiter des Studiengangs Bachelor of Nursing am Teltower Damm. „Für den Fortbestand des Pflegestudiums ist eine geklärte Finanzierung zwingend notwendig.“ Zwar befinde sich aktuell auf der Bundesebene ein Referentenentwurf in der Anhörung, doch müsse Berlin dringend die Initiative ergreifen und die Mittel für das Studium auftreiben. Bildung ist Landessache.

Professor Lück sieht noch einen zweiten Aspekt, der junge Leute vor dem Pflegeberuf fernhält: In Deutschland sei es nicht gelungen, für die gesellschaftliche Anerkennung der Pflege zu sorgen; trotz aller Klatschkonzerte während der Pandemie. „Für viele junge Menschen ist die Pflege als Beruf nicht attraktiv und wird in die Berufswahl nicht mit einbezogen, sei es wegen der schlechten Bezahlung, der hohen Belastung aufgrund des Personalschlüssels oder einfach wegen der fehlenden Anerkennung des Berufsfelds“, so der Studiengangsleiter.

Schnuppertag. Dass die Pflege dennoch eine wichtige, vielfältige, interessante und fachlich spannende Berufswahl ist, will die EHB am Freitag, 12. Mai, beweisen: Zum Internationalen Tag der Pflege lädt die Uni zum „Pflegerausch“, einem Tag der offenen Tür. Werfen Sie einen Blick in die Übungsstation, das Skills-Lab, der Hochschule und erfahren Sie, wie man mit einem Lifter umgeht. In einem Alterssimulationsanzug kann am eigenen Leib erfahren werden, wie sich das Leben der höheren Semester anfühlt – und wo dann die Schwierigkeiten im Alltag liegen. Über die Legalisierung von Cannabis wird ebenso diskutiert wie über den Umgang mit Schmerzen. Und: Welche Rollen und Aufgaben übernehmen akademisch qualifizierte Pflegende? Von 14 bis 18 Uhr ist der Campus geöffnet, der Eintritt ist kostenfrei. Eingeladen sind nicht nur potenzielle Studierende, sondern auch an Pflege Interessierte und Anwohnerinnen und Anwohner.

  • Foto: EHB / Sibylle Baluschek