Namen & Neues
Steglitz-Zehlendorf ist Entwicklungsland: Angebote für ältere Schwule, Lesben und Transmenschen fehlen
Veröffentlicht am 27.06.2024 von Boris Buchholz
Es kann eine gute Idee sein, zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus Tempelhof-Schöneberg eine Veranstaltung durchzuführen. Es kann aber auch bedeuten, dass man merkt: Der Nachbarbezirk ist Meilen voraus und Steglitz-Zehlendorf ist in Sachen Teilhabe von Lesben, Schwulen und queeren Menschen im Berliner Vergleich ein Entwicklungsland. Mit diesem Gefühl dürften am Dienstagnachmittag die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Veranstaltung „Alter und queer“ das Nachbarschaftsheim Schöneberg in Friedenau verlassen haben. Die Seniorenvertretungen von Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof-Schöneberg hatten die Diskussionsveranstaltung organisiert, sie fand im Rahmen der 50. Berliner Seniorenwoche statt, etwa 45 Interessierte aus beiden Bezirken kamen.
Wie wollen Schwule und Lesben, Trans- und bisexuelle Personen alt werden? Wie müssen sich Pflegeeinrichtungen verändern, um den Bedürfnissen der queeren Nachbarinnen und Nachbarn gerecht zu werden? Sind die Freizeiteinrichtungen fit genug, Schwulen und Lesben eine offene und sichere Teilhabe zu ermöglichen? Es gelte der älteren Generation gerecht zu werden, die noch erlebt habe, dass sie staatlich diskriminiert wurde, sagt Ann-Kathrin Biewener, die Beauftragte für queere Lebensweisen aus dem Nachbarbezirk, zur Begrüßung. Was sei mit der queersensiblen Pflege, fragt sie.
„Was ist, wenn man weiblich gelesen wird, aber man männliche Geschlechtsorgane hat?“ Können die Pflegerinnen und Pfleger damit angemessen umgehen? Offene Frage, die eine spannende Diskussion versprachen. Ein Grußwort aus Steglitz-Zehlendorf gab es übrigens nicht – eine Queer-Beauftragte hat der Südwest-Bezirk nicht.
Elsa Paus von der Schwulenberatung saß auf dem Podium und berichtete vom Qualitätssiegel Lebensort Vielfalt: Das Siegel können Hospize, Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser oder Tagespflegestätten erwerben und damit nachweisen, dass sie queer- und migrationssensible Arbeit verrichten. Obwohl Steglitz-Zehlendorf der Bezirk mit der ältesten Wohnbevölkerung Berlin ist, hat sich bisher nur ein Unternehmen zertifizieren lassen; es ist die CuraDomo Pflegedienst GmbH aus Schlachtensee. Dass auch in Steglitz-Zehlendorf Nachfrage besteht, ist unbestritten. Nach Schätzungen des niedersächsischen Sozialministeriums gibt es in Deutschland etwa 1,8 Millionen lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche (LSBTI*) Senior:innen im Alter von über 60 Jahren. Einige davon leben im Berliner Südwesten.
Aber hier sind die Angebote für queere Alte mager. In der Freizeitstätte Süd am Teltower Damm gibt es schon länger einen schwul-lesbischen Stammtisch. Ein zweiter hat sich im Maria-Rimkus-Haus in Lankwitz etabliert. Allerdings berichtet Seniorenvertreterin Nora Eckert, sie ist zugleich im Bundesverband Trans* aktiv, dass relativ wenige Menschen die beiden Angebote wahrnähmen (mein Interview mit der Autorin und Aktivistin lesen Sie hier).
Diese Erfahrung hat auch Christiane Ströhl gemacht, sie ist im Sozialamt Tempelhof-Schöneberg für die Seniorenarbeit zuständig. Während der regulären Öffnungszeiten gebe es in den neun bezirklichen Seniorenfreizeiteinrichtungen wenig Interesse an queeren Angeboten. Gute Erfahrungen hätte das Amt mit der Raumvergabe nach den Öffnungszeiten an Vereine und Gruppen aus LSBTI*-Community gemacht. Aber: „Eine Identifizierung mit den Freizeiteinrichtungen kann nur durch gemeinsame Veranstaltungen entstehen“, sagt sie. Ihr Chef, Sozialstadtrat Matthias Steuckardt (CDU), steht sofort auf und verspricht: „Wir werden in den Freizeiteinrichtungen so richtig den Christopher Street Day feiern und ein ordentliches Zeichen setzen.“ Der CSD findet am 27. Juli statt.
Es sei nicht die Lösung, „eine einzelne queere Veranstaltung zu machen“, ergänzt Jutta Brambach, sie arbeitet unter anderem im Dachverband Lesben und Alter mit. Vielmehr müsse das gesamte Haus für Vielfalt stehen, die bunte Gästeschar müsse sich willkommen fühlen, ohne schief angeguckt zu werden. „Wenn Menschen alt sind, sollten sie nicht immer wieder ihr Leben erklären müssen – das hat mit würdevollem Alter nichts zu tun.“ Die Diskutierenden auf dem Podium und im Saal sind sich einig: Beides ist nötig – spezielle Angebote und gelebte Vielfalt bei allen Veranstaltungen und Gruppen. „Ich möchte nicht der Exot sein, ich möchte dazugehören“, so Nora Eckert. Dafür sei es wichtig, sagt Jutta Brambach, „dass sich in den Bezirken, in den Einrichtungen, etwas verändert“.
Und diese Veränderung muss nicht von den Schwulen und Lesben ausgehen. „Es kann nicht nur Aufgabe der Community sein, für uns zu sorgen“, mahnt Nora Eckert. Es sei ein gesamtgesellschaftliches Anliegen. Das sieht Jutta Brambach genauso: „Die Initiative geht eigentlich immer – zu fast 100 Prozent – von uns aus.“ Nora Eckert wünscht es sich anders, sie will, dass queere Menschen sichtbar sind. „Sichtbarkeit heißt, dass ich mitgedacht werde“, erklärt sie.
Schulungen und Queer-Beauftragte. Was kann getan werden, damit Steglitz-Zehlendorf den Status des Entwicklungslandes verlässt und zu Tempelhof-Schöneberg aufschließt? „Wie schafft man es, dass die Bezirksverwaltung wach wird“, fragt Nora Eckert zurück. Verpflichtende Schulungen und Fortbildungen für die Beschäftigten des Bezirksamts könnten eine Antwort sein, findet Elsa Paus. Und Mathilde Kannenberg, die Vorsitzende der Seniorenvertretung Steglitz-Zehlendorf, geht davon aus, dass die Veranstaltung selber „sicherlich zur Verständigung beitragen wird“.
Und sie kommt auf den Beginn der Veranstaltung zurück: „Wir haben bis heute keine Queer-Beauftragte“, sagt die Vorsitzende der Seniorenvertretung. Würde es ein solches Amt geben, hätte die Bezirksverwaltung eine Ansprechstelle, dort könnten die Fäden der Regenbogen-Gemeinschaft zusammenlaufen, dort könnten Weiterbildungen organisiert werden. Auf dem Papier des Zählgemeinschaftsvertrags sind sich Grüne, SPD und FDP auch einig: Im Büro der bezirklichen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten solle eine zusätzliche Stelle geschaffen werden, heißt es im Vertrag von 2021. Doch in der Praxis ist zur Ampel-Halbzeit von dieser Stelle weit und breit noch nichts zu sehen.
- Vernetzung unter dem Regenbogen. Nora Eckert hat mit anderen Interessierten den Runden Tisch queeres Steglitz-Zehlendorf gegründet. Noch suchen sie nach weiteren Mitdenkern und -streitern. Das Ziel des Runden Tisches ist es, vorhandene Einrichtungen im Bezirk bei der Öffnung für queere Menschen zu unterstützen und gegebenenfalls neue Angebote zu kreieren. Wer diesen Prozess begleiten und gestalten will, sende eine E-Mail an queer.steglitz.zehlendorf@gmail.com.