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Stadtteilmütter und Tarifvorsorge: „Kürzungen auf dem Rücken der Kinder, Jugendlichen und Familien“

Veröffentlicht am 28.11.2024 von Boris Buchholz

Angeblich würden die Bezirke nicht von den Kürzungen des Landeshaushalts betroffen sein, so lautet ein Versprechen des Senats. Wo überall gespart werden soll, lesen Sie hier. Doch die Realität sieht anders aus. Zwei Beispiele sind die Jugendarbeit und die Stadtteilmütter.

„Es kommt zwar immer mehr Licht in die Kürzungsliste, nur das Dunkle wird dadurch nicht heller, leider“, sagt Jugendstadträtin Carolina Böhm (SPD) dem Tagesspiegel. Von den Kürzungen seien in der Hauptsache die Jugendverbandsarbeit, die Angebote für queere Jugendgruppen und die Verstärkungsmittel aus dem Jugendgewaltgipfel betroffen – aus den Verstärkungsmitteln seien im laufenden Jahr die erweiterten Öffnungszeiten an Wochenenden in den Freizeiteinrichtungen, Angebote wie der Mitternachtssport und Streetwork-Angebote finanziert worden. „Diese Angebote sind in ihrer Substanz bedroht.“

„Bei den Stadtteilmüttern ist das Problem sehr viel verschärfter“, sagt die Jugendstadträtin. Das Landesprogramm Stadtteilmütter steht mit einem Minus von zwei Millionen Euro auf der Streichliste, das sind 20 Prozent des Etats. Stadtteilmütter sind wichtige Kommunikationspartnerinnen für die Integration von migrantischen Neu-Berlinerinnen und -Berlinern. Im Tagesspiegel-Interview berichtet Stadtteilmutter Eitan Hussien, wie sie Familien hilft, „Deutschland zu verstehen“ (hier zu lesen).

„Wir sind bezüglich der Stadtteilmütter in tiefer Sorge!“, sagt Simone Will, die Geschäftsführerin des Nachbarschaftsvereins Mittelhof, dem Tagesspiegel. Insgesamt sind vier Stadtteilmütter beim Mittelhof beschäftigt: Eine Mitarbeiterin wird über das Landesprogramm finanziert, drei weitere, die in Gemeinschaftsunterkünften tätig sind, werden vom Bezirk gefördert. „Wir wissen nicht, was in 2025 noch zu halten sein wird.“ Sollte die 20-prozentige Kürzung auch den Bezirk erreichen, müssten Stunden gestrichen werden – was nicht praktikabel ist. „Da es sich in der Regel ohnehin um prekäre Beschäftigungsverhältnisse handelt, ist eine Stundenkürzung aber für die einzelne Stadtteilmutter nicht verkraftbar.“

„Das ist sehr belastend und bereitet schlaflose Nächte“, sagt die Koordinatorin der Mittelhof-Stadtteilmütter, Katrin Specht, am Telefon. „Wir wissen nicht, ob und wie sich die Kürzungen auswirken und ob es die Träger in Steglitz-Zehlendorf betrifft.“ Fest steht, dass die Zeit drängt: „Es ist Ende November und die Verträge laufen Ende Dezember aus.“

Auch das Diakonische Werk Steglitz und Teltow-Zehlendorf ist derzeit ratlos – und besorgt. Hier sind zwei Stadtteilmütter angesiedelt. „Außer vom Hörensagen und aus Presseberichten wissen wir nichts Belastbares“, sagt Geschäftsführerin Laura Stradt. Nur so viel: „Dieses Jahr stehen wir extrem unter Zeitdruck.“

Sowohl Mittelhof als auch das Diakonische Werk weisen noch auf einen anderen Streichposten hin: Der Senat hat die 50 Millionen Euro, die im Haushalt für die gestiegenen Tariflöhne bei den freien Trägern gedacht waren, komplett gestrichen. Sprich: Die freien Träger müssen bei Projekten, die vom Land finanziert werden, die Löhne erhöhen – doch der Senat droht, die sozialen Projekte mit den Zusatzkosten alleine zu lassen. „Wenn die Tarifvorsorge wegfiele, müssten wir bei allen Projekten im Zuwendungsbereich Personalanpassungen vornehmen“, sagt Diakonie-Geschäftsführerin Stradt. Das beträfe in ihrem Haus zum Beispiel Stadtteilmütter, Integrationslotsen, soziale Beratungen und Familienzentrum. Und auch Mittelhof-Koordinatorin Katrin Specht sagt: „Wir können dann nicht alle Stadtteilmütter halten.“

Noch einmal zurück zur Jugendstadträtin: „Seit Montag ist auch klar, dass ebenfalls sämtliche Mittel für die Landesstrategie zur Prävention von Kinder- und Familienarmut gestrichen wurden“, berichtet Carolina Böhm dem Tagesspiegel. Die Projekte seien vor Ort von den Bezirken umgesetzt worden, „das ist ebenfalls ein herber Schlag“. Sie schließt mit einem Appell: „Wenn Sie unsere Forderungen nach einer Rücknahme der Kürzungen auf dem Rücken der Kinder, Jugendlichen und Familien unterstützen, würde ich mich sehr freuen!“

  • Kürzungsnews: Schulsozialarbeit. „Auch das Landesprogramm der Schulsozialarbeit wurde etwas gekürzt“, sagt Carolina Böhm. Die Chance, die bisher als Ausnahme vom Bezirk finanzierten Schulstationen an das Landesprogramm abzugeben, stufe sie als „unwahrscheinlich“ ein. „Wir werden sie natürlich weiterhin im Bezirkshaushalt halten wollen“, ergänzt sie. Von Kürzungen bei den bezirklichen Schulstationen sei keine Rede, „wir haben ja einen beschlossenen Doppelhaushalt als Bezirk“.
  • Kürzungsnews: Soziale Stadt. Auch Stadtentwicklungsstadtrat Patrick Steinhoff (CDU) hat die Kürzungsliste studiert und eine mögliche Auswirkung für seinen Bereich festgestellt: Die Mittel für das Städtebauförderprogramm „Soziale Stadt“ werden um circa zehn Prozent gekürzt. „Die Thermometersiedlung ist Bestandteil des Programms und es könnte im kommenden Jahr etwas schwieriger sein, in der Priorisierung von Einzelmaßnahmen nach oben zu rutschen“, so Patrick Steinhoff. Die Fertigstellung des neuen Gemeindezentrums oder die Herrichtung der öffentlichen Flächen am Stangenpfuhl seien aus seiner Sicht von den Kürzungen nicht betroffen. Sein Fazit: „Kein Beinbruch, aber es könnte etwas schwieriger werden, die ein oder andere Idee umzusetzen.“