Kiezgespräch

Veröffentlicht am 17.09.2020 von Boris Buchholz

Leserin Julia Müller aus Steglitz ärgert sich: Als sie abends mit ihrem Mann auf einer Restaurantterrasse an der Ecke von Stinde- und Albrechtstraße saß, staunte sie nicht schlecht. Ein Auto verließ an der Ampelkreuzung die Fahrbahn und rollte auf dem Bürgersteig drei Häuser weit, eine Distanz von sechzig bis siebzig Metern. Dann parkte der Fahrzeuglenker in zweiter Reihe auf dem Bürgersteig – zur Straße versperrt eine Laterne und ein Baum den direkten Weg. Zusammen mit einem anderen Ehepaar stellte Julia Müller und ihr Mann die Insassen zur Rede (eine Familie mit zwei kleinen Kindern): „Keinerlei Unrechtsbewusstsein. Sie dürften das.“ Schließlich wird die Polizei gerufen – und die Autofahrer werden freundlich ermahnt. Keine Anzeige, kein Knöllchen. Denn parken dürfe man hier, so die Polizisten, und dass das Auto über den Bürgersteig gerollt sei, habe man ja nicht gesehen. „Ich bin sprachlos“, schreibt die Leserin, „nein, eigentlich eher richtig wütend“. Nach ihrer Schilderung werde in der Albrechtstraße täglich auf dem Bürgersteig geparkt, immer wieder werde der Gehweg zur Ersatzfahrbahn: „Ich selber habe erlebt, wie ein Kind auf dem Fahrrad auf dem Bürgersteig fast umgefahren wurde.“

Ich hatte Sie letzte Woche gefragt, was Sie als Fußgänger am meisten im Südwesten stört – die Resonanz und der Unmut waren groß. Für Leser Gernot Gerlach sind Radfahrer, die auf dem Gehweg rollen, das größte Ärgernis. Den Fußweg zwischen Steglitzer Damm und Albrechtstraße hinter dem Hochhaus „nutzen Radfahrer so selbstverständlich, als wäre es ein ausgewiesener Radweg. Das ist der aber nicht!“ Da der Weg abschüssig sei, sausen viele Radler geräuschlos gen Lankwitz – und erschrecken die Gehenden. „Man muß schon ein sehr dickes (Gemüts-) Fell haben, um davon unbeeindruckt zu bleiben.“

Rotlichtmuffel. Im Bismarckviertel gibt es an der Bergstraße eine Bedarfsampel für Fußgänger – die für Radler nicht zu gelten scheint. „Von Radfahrern wird das kirschrote Lichtzeichen nur zu gerne übersehen“, berichtet Leserin Annegret Ortling. Die Rotmuffel seien ausschließlich Männer, habe sie festgestellt. Die beiden „Spitzenkommentare“ der „Zweiradführer“ seien: „Für Radfahrer gilt in Berlin die Straßenverkehrsordnung nicht“ und „Laufen Sie doch woanders“. Aber Frau Ortling hat Humor. Sie verabschiedet sich mit den Worten: „Ich geh jetzt mal los – auf zu nächsten Abenteuern.“

Spielstraße heißt Schritt fahren. Auf der westlichen Seite des Dahlemer Weges gibt es keinen Bürgersteig, hier befindet sich eine ausgewiesene Spielstraße. Doch: „Fahrradfahrer, Paketzusteller, Gewerbefahrzeuge und PKW fahren mit beträchtlicher Geschwindigkeit direkt an den Grundstücksgrenzen beziehungsweise an den Ein- und Ausgängen vorbei“, berichtet Leser Dieter Freund. „Von Schrittgeschwindigkeit kann keine Rede sein.“ Er hat mir ein Informationsblatt der Polizei beigelegt: In Spielstraßen hätten Fußgänger Vorfahrt, steht dort. Aber: „Polizeiliche Kontrollen finden schon seit langem nicht mehr statt.“

Ein Problem mit Radfahrern hat auch Leserin Dagmar Meier: „Ich bin 67 Jahre alt und gehbehindert.“ Manchmal gehe ihr rechtes Bein einfach einen Schritt nach rechts, und manchmal wolle das linke Bein ungewollt nach links. „Die Radfahrer sausen so dicht an mir vorbei, dass ich jedes Mal eine halbe Herzattacke bekomme, wenn sie von hinten kommen, denn man hört sie nicht“, beschreibt sie ihre Erfahrungen. „Ganz schlimm“ finde sie es in den Parks, die sollten doch zur Erholung da sein, „aber genau das Gegenteil ist der Fall, Stress“.

Mehrere Leser wünschen sich mehr Zebrastreifen. Zum Beispiel am Siemensdamm auf der Höhe von Edeka. „Die Kundschaft mehrerer Geschäfte – vielfach ältere oder behinderte Menschen – aus dem etwa einen Quadratkilometer großen Wohngebiet südöstlich der Siemensstraße muss diese stark befahrene Straße mit erheblichem Risiko überqueren“, schreibt Harald Spengler; ein Zebrastreifen würde helfen. Das findet – zwar an anderer Stelle – auch Eva Bringmann: Sie macht sich für eine Querungshilfe über den Jungfernstieg in Lichterfelde-Ost in Höhe der Bahnhofstraße stark. Zwar seien die Gehwege abgesenkt und weiß markiert, so dass „die zahlreichen Senioren aus den Senioren- und Pflegezentren, die es hier gibt, mit ihren Rollatoren beziehungsweise Rollstühlen barrierefrei die Straße überqueren könnten“ – aber die Straße sei oft zu stark und schnell befahren (trotz Tempo 30): „Ich lade Sie ein, sich zum Beispiel Mittwoch und Samstag zur Marktzeit auf dem Kranoldplatz anzugucken, wie verängstigt viele Senioren an diesem ‚Übergang‘ warten.“

Hier einige weitere Auszüge aus der Mailbox (es sind so viele Zuschriften, dass ich einen Extra-Newsletter bräuchte, um alle zu präsentieren):

Curtius- Ecke Drakestraße: „Die Linksabbieger aus der Curtiusstraße drängeln ungeduldig alle noch auf der Straße befindlichen Fußgänger weg. Besonders gefährlich: Hier überqueren auch viele Ältere und Kinder die Straße.“ (Der Hinweis kam von Leserin Britta Königshaus.)

Gehwegfahrer in der Curtiusstraße: „Ich habe heute kurz vor 9:30 Uhr im Bereich der Curtius-Apotheke circa fünf Minuten auf dem Gehweg gestanden und in dieser Zeit sind sechs Radfahrer auf dem Fußweg an mir vorbeigefahren.“ Michael Göhler

Hindenburgdamm – Radfahrer auf dem Fußweg: „Wenn ich aus der Haustür trete, muss ich vorsichtig nach beiden Seiten schauen ehe ich den Bürgersteig betrete. Neuerdings kürzen auch Motorroller den Weg bis zur nächsten Einfahrt auf dem Bürgersteig ab.“ Karin Huppmann

Tempo-30-Flicken in der Königin-Luise-Straße: Mehr Sicherheit durch weniger Geschwindigkeit, fordert Kathrin Hübert. „Die Königin-Luise-Straße in Richtung Clayallee hat ab der Kreuzung Thielallee / Pacelliallee mehrere Tempo-30-Abschnitte, jeweils vor den dortigen Schulen. Zwischen diesen Abschnitten gibt es jedoch einen Tempo-50-Abschnitt. Der ist, wie ich finde so kurz, dass es sich kaum lohnt, kurz von 30 km/h auf 50 km/h zu beschleunigen, um dann nach vielleicht 100 Metern wieder auf 30 runter zu bremsen. Warum also nicht die ganze Straße mit 30 km/h?“

Wenig Raum für Fußgänger in Zehlendorf-Mitte: „Mir fällt auf, dass – ganz allgemein – Fußgängern in Zehlendorf-Mitte wenig Raum zugestanden wird. Das beginnt mit den doch recht engen Verhältnissen auf der Einkaufsmeile Teltower Damm, wo man oft umeinander herumkurven muss, ist ganz schrecklich unter der S-Bahn-Brücke Richtung stadtauswärts, wo man im Prinzip im Gänsemarsch laufen muss, damit man nicht den Fahrradfahrern in die Quere kommt (die dort bergab total schnell werden!), bergan in der Machnower ähnlich, und geht weiter in der Berlepschstraße wo man als Fußgänger auf beiden Seiten auf einen schmalen Streifen beschränkt wird, weil Autos auf dem Gehweg unter den Bäumen parken dürfen und das auch zahlreich tun.“ Sabine Zimmermann

Die letzte Leser-Zuschrift für heute: „Ich habe – als alte Frau und Fußgängerin – mehr Angst vor Radlern als vor Autos“, schreibt Frau Schneider. „Ich wohne neben einer Grundschule und erlebe täglich, wie die Kinder rücksichtslos über die schmalen Bürgersteige brettern, unterstützt von ihren Müttern, die es offenbar nicht mehr für nötig erachten, ihre Kinder zu erziehen.“ Aber die Leserin gewinnt der Situation aus Positives ab: „Ich muss im eigenen Interesse versuchen, sportlich zu bleiben, um rechtzeitig zur Seite springen zu können, damit ich nicht im Krankenhaus lande.“

Werte Frau Schneider und allen anderen, die mir Meinungen und Anregungen gesandt haben, herzlichen Dank! Wenn Sie mir schreiben wollen, ich bin ganz Auge (Sie schreiben mir ja): boris.buchholz@tagesspiegel.de. – Text: Boris Buchholz
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Hier meine Themen aus dem aktuellen Tagesspiegel-Newsletter für Steglitz-Zehlendorf -eine Auswahl.

  • Alle Parkplätze sollen weg: SPD will mehr Ladezonen in der Schloßstraße einrichten
  • Am 21. September wird heftig über die Reaktivierung der Stammbahn diskutiert
  • Leser berichten, was sie als Fußgänger im Südwesten am meisten stört
  • Geistervilla bleibt vorerst Geistervilla: Für das Haus in der Schmarjestraße 14 bereitet das Amt ein weiteres Interessenbekundungsverfahren vor
  • Ulrich Otto will Lankwitz essbar machen
  • Neues aus der Rathaus-Kirche: Ruhende Bauarbeiten am Kreisel, temporäre Spielstraße, größerer Kranoldmarkt waren Themen in der BVV
  • „Steglitz-Zehlendorf kann und muss mehr für den Klimaschutz tun“: Gastbeitrag von Fridays for Future Steglitz-Zehlendorf
  • Revolutioniert ein Lankwitzer die Arbeitskultur? Pendeln war gestern, Schreibtischhopping ist heute
  • „Kopfsalat“: Steglitzer Fotografin zeigt wie man Obst und Gemüse mit der Maskenpflicht vereint
  • Linda, Therese und die Blaue Anneliese: Die Domäne Dahlem lädt zur Kartoffelernte
  • Rap, Respekt und Superspreader: Am Samstag startet der Aktionstag Kinder & Jugendliche für Zivilcourage
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