Kiezgespräch

Veröffentlicht am 28.07.2022 von Antje Scherer

Was sind Themen, die den Bezirk derzeit umtreiben? Das habe ich – so als Besuchsnachbarin – die Bürgermeisterin gefragt. Hier ihre Hitliste:

1. Ukraine, weil: Im Bezirk wurden viele Geflüchtete privat aufgenommen und einige Gastgeber:innen kämen nach Wochen oder Monaten allmählich an ihre Grenzen.

2. Verkehrswende, weil: viele ein- und auspendeln und das Thema Parkplätze ein Aufreger ist.

3. Trockenheit, weil: Steglitz-Zehlendorf grün ist – der Bezirk hat die meisten Bäume in Berlin, viele Bezirksbewohner:innen haben Gärten.

Was sagen Sie, liebe Leser, lieber Leser, dazu? Sind das auch Ihre Themen? Oder brennen Ihnen ganz andere Sachen unter den Nägeln? Das würde mich wirklich interessieren.

Post von Ihnen gab es auf alle Fälle reichlich auf zwei Fragen, die mein Kollege Boris Buchholz in seiner letzten Ausgabe vor dem Urlaub aufgeworfen hatte: Das war zum einen das Thema Energiesparen. Gefragt hatte er Sie: Muss die Bezirksverwaltung mehr tun? Wo und wie könnte auf Straßen, in Parks und Rathäusern sowie anderen öffentlichen Gebäuden Energie gespart werden?

Geschrieben hat unter anderem Jamila Dybe. Obwohl sie selbst extrem umweltbewusst lebt (u.a. kein Auto, keine Spülmaschine), sieht sie nicht unbedingt Mitmenschen in der Pflicht, die weniger konsequent sind. Statt die Lösung „nur beim Bürger“ zu suchen, regt sie an, die ihrer Meinung nach „übertriebene Beleuchtung“ von Schaufenstern zu überdenken und SUVs und E-Roller am besten komplett abzuschaffen (zur Illustration hat sie gleich eine ganze Parade von im Weg herumliegenden und -stehenden Rollern mitgeschickt, die sie auf ihrem Weg zur Arbeit fotografiert hat – vielen Dank dafür!). Das Thema treibt auch Peter Schick um, der hohe Geldbußen für auf Gehwegen abgestellte E-Roller fordert, sowie u.a. auf bessere Wärmedämmung bezirkseigener Gebäude sowie mehr Tempo-30-Zonen und Kreisverkehre setzt. Christian Golze wäre schon zufrieden, schreibt er, wenn in alle öffentlichen Gebäude im Bezirk Lichtschalter aus – und Bewegungsmelder eingebaut würden.

Noch viel mehr Post gab es zum Thema Straßennamen, das scheint ja ein wirklich heißes Eisen zu sein! Es geht um die Frage, ob die Iltisstraße in Dahlem nach Nora Schimming benannt werden soll. Und generell, ob es richtig ist, dass vor allem die Anwohnenden über einen neuen Straßennamen befinden sollen? Zur Erinnerung: Iltis war ein Kanonenboot; Nora Schimming eine Botschafterin Namibias, Bürgerrechtlerin und Politikerin. Sie hat in den 1960er-Jahren an der FU studiert.

(Wieder) ins Gespräch gebracht wurde das Thema von Christian Walther und Aljosha Saribaf. Beide fordern in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität, der „OSI-Zeitung“, die Umbenennung der Iltisstraße. Die Debatte um eine mögliche Umbenennung wird seit zwei Jahrzehnten geführt. Erst 2021 wurde eine Informationsstele zu den Namen Iltis, Taku und Lans in Dahlem aufgestellt (Wilhelm Lans war Kapitän der Iltis; nach dem chinesischen Fort, das im Juni 1900 vom Kanonenboot Iltis beschossen wurde, heißt die Takustraße).

Die Antworten, die bei uns eingetrudelt sind, lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: pro Iltis, pro Schimming und pro Status quo (ist-doch-egal-was-auf-dem-Schild-steht).

Ausdrücklich für eine Umbenennung spricht sich zum Beispiel Hanns Schumacher aus, in den 1990er-Jahren deutscher Botschafter in Namibia. Er schreibt: „Ich unterstütze den Vorschlag von Herrn Walther und anderen! (…) Als Namibia am 21. März 1990 unabhängig wurde, hatte ich erstmals Gelegenheit, als Pressesprecher unseres verstorbenen Außenministers Hans-Dietrich Genscher, in Windhoek mit Nora Schimming-Chase zusammenzutreffen. Wir waren voller Respekt und Bewunderung für diese politisch ausgleichend engagierte, belesene Frau (…) Sie hat die Auszeichnung mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (…) mehr als verdient (…). Junge StudentInnen aus aller Welt sollten bei der OSI Immatrikulation in der Iltisstraße 1 nicht an deutsche Kanonenboote der Kolonialzeit erinnert werden, Erinnerungsstele hin oder her. Berlin ist so stolz auf sein Image als liberale Weltstadt. Eine wichtige Straße in Berlin zu benennen nach einer integren, großartigen Kämpferin für bilaterale deutsch-namibische Versöhnung wäre Ausdruck dieses Selbstverständnisses.“ Ähnlich äußerte sich Henning Melber, ehemaliger Forschungsdirektor des Nordic Africa Institute, der uns aus Schweden schrieb.

Die FDP-Fraktion in der BVV Steglitz-Zehlendorf sieht dagegen eine Umbenennung als „kontraproduktiv“. Aus Sicht der kulturpolitischen Sprecherin Katharina Concu gehe es beim Thema Straßenumbenennung um die Frage, ob wir uns zu unserer Geschichte bekennen. „Die 2011 errichtete Info-Stele zur Taku-, Lans- und Iltisstraße macht eine kritische Auseinandersetzung des Geschehenen möglich und distanziert sich deutlich von einer Ehrung des Bootes und seines Kommandanten.“, heißt es in einer Pressemitteilung.

Zu Gelassenheit ruft indes Jörn Sack auf. Er habe Jahre im FU-Viertel verbracht, ohne sich je zu fragen, wer oder was mit Iltis gemeint sei. Die in Berlin „grassierende Umbenenneritis“ sei zu einer Seuche geworden. „So wird man doch seine Geschichte nicht los! Im Gegenteil, man kehrt sie unter den Teppich“, meint er. Er glaubt: „Solcher ‚Schildersturm‘ ist die beste Nahrung für Rechtsradikale, die die Verärgerung der Bevölkerung über die Umbenennungen aufgreifen.“ Und macht ein Gegenangebot: Warum nicht eine neue Straße nach Nora Schimming benennen, fragt er, oder eine, die es in Berlin doppelt gibt, was sowieso ständig zu Verwechslungen führe?

Ina Czyborra plädiert vor allem dafür, die Entscheidung nicht den Anwohner:innen zu überlassen, sondern den gewählten Bezirksverordneten. Es gebe im Fall der Iltisstraße kaum betroffene private Anlieger:innen, dagegen überwiege das öffentliche Interesse an einer Straße direkt am U-Bahnhof, viel frequentiert durch die FU und Museumsbesucher, deutlich.

Ganz herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für – teilweise sehr lange und sehr reflektierte – Mails an die Redaktion genommen haben! Demokratie funktioniert nun mal nicht ohne Teilhabe und Auseinandersetzung. Ich finde es toll, dass so viele Leser:innen bei Ihnen im Bezirk sachlich mitreden und mitgestalten wollen.

Bei rund 300.000 Bewohner:innen gibt es ziemlich sicher noch ziemlich viele andere heiße Themen. Schreiben Sie uns doch, dann haben Boris Buchholz und ich nach dem Urlaub gleich Gesprächsstoff in der Teeküche – und bald neues Lesefutter für Sie.