Kiezgespräch

Veröffentlicht am 02.02.2023 von Boris Buchholz

So voll war das Hertha-Müller-Haus an der Argentinischen Allee selten: 80 Personen hatten sich für die zweite Bürgerveranstaltung rund um den neu zu entwickelnden Denkmalpflegeplan für die Waldsiedlung Zehlendorf angemeldet, etwa 120 waren am Dienstagnachmittag gekommen. Der Saal platzte aus allen Nähten, so groß war das Interesse. Obwohl es hauptsächlich um neue Regeln und Empfehlungen für Vorgärten, Hecken, Bäume und Wege in der denkmalgeschützten Siedlung der Berliner Moderne gehen sollte, war zunächst das Innere der Häuser Thema: In der vorangegangenen Bürgerwerkstatt im November hatte das Landesdenkmalamt und die mit der Erarbeitung des Denkmalpflegeplans beauftragte Agentur ProDenkmal den Anspruch formuliert, dass der Denkmalschutz künftig auch für Teile der Innenräume der 800 Reihenhäuser der Architekten Bruno Taut, Otto Rudolf Salvisberg und Hugo Häring gelten sollte. Die Irritationen waren unter den Hauseigentümerinnen und -eigentümern groß, meinen Bericht lesen Sie hier auf Tagesspiegel Plus.

„Wir wissen nicht, was in Ihrem Haus drin ist“, der Bestand sei geschützt, versuchte Sabine Ambrosius, Referentin für das Welterbe im Landesdenkmalamt, die Gemüter zu beruhigen. „Wir werden nicht in Ihre Eigentums- und Nutzungsrechte eingreifen“, versicherte sie. Es sei ebenso möglich, bei Bedarf einen Treppenlift einzubauen oder die Treppe anzumalen.

Das Team aus der Denkmalpflege gab sich sichtlich Mühe zu deeskalieren, der Diskussion die Schärfe zu nehmen, Zugeständnisse ans Publikum zu machen. War bisher geplant gewesen, nach drei bis vier Bürgerveranstaltungen den fertigen Denkmalpflegeplan als Broschüre zu präsentieren, zeigte sich das Landesdenkmalamt einsichtig – und machte eine Kehrtwende. „Wir haben beschlossen, dass der Denkmalpflegeplan, eine Art Fibel, wie ein Bebauungsplan öffentlich ausgelegt werden soll“, sagte Sabine Ambrosius, „Sie können dann schriftlich dazu Stellung nehmen“. Dann würden die Anmerkungen gesichtet und bearbeitet werden; ob die Einwendungen und Ergänzungen noch einmal öffentlich präsentiert werden, ließ die Denkmalpflegerin allerdings offen. Auch das Format der Auslegung, in Präsenz oder im Internet, per E-Mail oder Papier-Brief, ist noch unklar. Aber immerhin, ein Punkt für die Bürgerschaft.

Fast zwei Stunden lang drehte sich dann alles um Bäume, Wege und Fahrradständer. Dabei rangen oft Denkmalschutzkonzepte, die mit historischen Fotos begründet wurden, mit der Realität fast einhundert Jahre später. Zum Beispiel dürften nach dem Entwurf des Plans in den Vorgärten im nördlichen Bereich der Siedlung nur noch Waldkiefern und Sandbirken gepflanzt werden. Geht der bereits bestehende Apfelbaum irgendwann ein, muss Birke oder Kiefer folgen – Obstbäume wären im Vorgarten nicht mehr gestattet. „Aber Birken funktionieren nicht mehr“, warf ein Anwohner ein, sie litten massiv unter den Folgen des Klimawandels. „Ist Ihnen bekannt, dass das Grünflächenamt kaputte Birken fällt und dafür Amberbäume pflanzt?“ Im Team der Denkmalpfleger wurden Köpfe geschüttelt; man werde sich mit dem Straßen- und Grünflächenamt beraten und eine Ersatzbaumart vorschlagen, „die dem Habitus der Sandbirke entspricht“.

Gartendenkmalpfleger Thomas Thränert stellte Folie um Folie vor, zu fast allen gab es kritische Kommentare und Nachfragen. Beispiel Zugangswege: Die Recherche der Denkmalpfleger ergab, dass früher die Wege zur Haustür asphaltiert waren; also müsse es heute wieder so werden. „Aber wo soll ich denn für fünf Quadratmeter Gussasphalt herkriegen“, fragte ein Besitzer eines Reihenhauses. Der Asphalt werde doch nur in großen Mengen abgegeben. „Wir werden das im Denkmalpflegeplan bedenken und Vorschläge zur Materialbeschaffung machen“, war die Antwort. „Wir bemühen uns, Materialien vorzuschlagen, die bezahlbar sind.“ Verstoße die Aufforderung, in den schlauchartigen Gärten je 40 Quadratmeter einen Baum zu pflanzen – Sandbirke oder Waldkiefer – nicht gegen das Abstandsgebot der Baumschutzverordnung? Man werde sich schlaumachen, man nehme das mit.

Als die Planenden vorstellten, dass in Zukunft in jedem Vorgarten nur noch zwei Fahrradständer erlaubt seien, wurde es wieder lauter. „Wir beklagen zu viel Autos, aber schreiben vor, dass es bloß zwei Radständer geben darf“, das sei absurd, meinte Ute Scheub vom Verein Papageiensiedlung. Sie hätten kein Auto, seien zu viert und hätten auch noch ein Lastenrad – wo solle das hin, fragte ein Anwohner. „Sie erwarten von uns, dass wir mitspielen, und wir tun das auch gerne“, merkte ein anderer an, „but be real“. Er fühle sich an „Regelungsfanatismus“ erinnert.

Es waren Fragen aus dem Alltag, die die Bürgerinnen und Bürger stellten. Nicht immer freundlich, teils auch recht aggressiv. Und doch: Theorie traf auf Praxis. Es waren berechtigte Fragen, die geklärt werden müssen, bevor neue Leitlinien in Kraft treten können. Kollisionen mit der Klimarealität sollten ebenso ausgeräumt werden, wie gegebenenfalls solche mit bestehenden gesetzlichen Vorgaben.

Dabei ist klar: Wer sich ein Eigenheim in der Waldsiedlung Zehlendorf kauft, weiß, dass er in einem denkmalgeschützten Zuhause lebt. Doch neue Regelungen – es sei gar nicht so viel wirklich neu, versuchte Sabine Ambrosius zu besänftigen – in Abstimmung mit der Bewohnerschaft zu entwickeln, ist ein komplexes und heikles Unterfangen, das lehrte auch dieser Abend. Ob die Veranstaltung im engeren Sinne eine Werkstatt war – das ist ja etwas, wo man Hand anlegt und etwas mitformt und gestaltet – darf bezweifelt werden. Eine Werkstatt mit 120 Handwerkerinnen und Handwerkern, die in der Großgruppe hämmern, schrauben und schmieden, ist allerdings auch selten funktional; da müssten kleinere Gruppen für konkrete Probleme her. So bleibt es bei Vortrag, Fragen und einer kurzen Aussprache.

Darauf, wie gut die kommende „Werkstatt“ funktionieren wird, darf man gespannt sein. Denn am 14. März stehen alle Maßnahmen der „energetischen Ertüchtigung“ zur Diskussion – von Dämmputz über Solaranlagen bis zu Wärmepumpen. Etwa zwei Wochen zuvor, am 26. Februar, stellen die Berliner Energieagentur und das Projekt Klimafreundliches Quartier (kliQ) ihren Endbericht zu den Potenzialen für den Klimaschutz in der Waldsiedlung Zehlendorf vor. Wenn die Denkmalschützer den Empfehlungen der Energieexperten durch zu hohe Auflagen den regenerativen Hahn zudrehen, ist der Klimaschutz am Dampfen.

Damit das nicht passiert, hat das Landesdenkmalamt schon zugesagt, bei der Veranstaltung am 26. Februar dabei zu sein – und vorher ihre Vorstellungen zu kommunizieren, damit man gemeinsam Lösungen finden könne. Noch ein Punkt für die Bürgerschaft.