Nachbarschaft

Veröffentlicht am 29.11.2018 von Boris Buchholz

Sven ist nicht mehr da. Der obdachlose Mann, der jahrelang am Trafohäuschen im Elisabeth-Bergner-Park an der Ecke von Schildhorn- und Paulsenstraße gewohnt hatte, ist tot. Vor zehn Tagen sei er ins Krankenhaus gekommen, eine Lungenentzündung munkelt man in der Nachbarschaft. Am Mittwoch, 21. November, ist er gestorben. Seit letzten Donnerstag brennen am Trafohäuschen Grablichter.

Nachbarn haben auf der Bank am Trafohäuschen Blumen niedergelegt, Tannenzweige, viele Kerzen brennen, auf einem Foto schaut Sven freundlich in die Kamera, seine Schneidezähne oben fehlen. „Du warst ein toller Mensch!“ und „Ruhe in Frieden“, hat Anwohner Roman im Namen seiner Familie neben ein anderes Bild geschrieben, dass im Bilderrahmen an der Wand des Häuschens hängt. „Ich versuche herauszufinden, wann Sven bestattet wird“, teilt ein anderer Nachbar, I.D., auf einem Zettel mit, „sicher haben auch andere Menschen den Wunsch, ihm das letzte Geleit zu geben.“ Zur Zeit suche das Landeskriminalamt nach Angehörigen, schreibt I.D.; sollte die Polizei keine Familie ermitteln, würde das Bezirksamt die Bestattung organisieren. Wer etwas über den Beerdigungstermin wisse, möge einen Zettel auf die Bank legen, bittet der Schreiber (oder die Schreiberin).

Anwohner Ernst Karbe erinnert sich: Zwar sei es schwierig gewesen, ein Gespräch mit Sven zu beginnen, mehr als ein „Hallo“ sei nicht zurückgekommen. Doch „er gehörte dazu, wie alle anderen“. Manchmal habe er Sven in ein Buch vertieft im Park getroffen. Ein Kind aus der Nachwuchs-Fußballmannschaft von Stern 1900, die Leser Karbe ehrenamtlich trainiert, habe ihm erzählt, dass es dem Mann im Park Pfandflaschen gebracht habe. Die ganze Mannschaft kam am Trafohäuschen zusammen und legte für Sven eine Gedenkminute ein.

In eigener Sache: An Menschen zu erinnern, die keine Angehörigen haben oder zu haben scheinen, ist nicht leicht: Sind bei einem Todesfall keine Angehörigen zu ermitteln, veranlasst das Gesundheitsamt die Bestattung. In den vergangenen Monaten hat der Tagesspiegel in allen Bezirken versucht, mehr über Menschen zu erfahren, die vom Amt bestattet werden. In den meisten Fällen verwiesen die Behörden auf die Persönlichkeitsrechte der Verstorbenen. Namen und weitere Lebensdaten dürfe das Steglitz-Zehlendorfer Gesundheitsamt nicht herausgeben, wurde mir beschieden, „selbst wenn – wie wir annehmen – die Verwendung im Sinne einer wertschätzenden Würdigung des Verstorbenen wäre“.

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: boris.buchholz@extern.tagesspiegel.de.