Nachbarschaft
Veröffentlicht am 02.05.2019 von Boris Buchholz

Die Amtsbezeichnung von Eileen Moritz (54) lautet korrekt „Beauftragte für Menschen mit Behinderungen in Steglitz-Zehlendorf“. Vermutlich würde sie viel lieber „Botschafterin für mehr Miteinander im Bezirk“ heißen, denn das gleichberechtigte Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung im Südwesten ist ihr Kernanliegen. Am Freitag, 3. Mai, finden Sie sie auf der Straße: Von 10 bis 17 Uhr wird auf dem Teltower Damm der Aktionstag „bunt verbindet“ gefeiert – Sie sind eingeladen.
Frau Moritz, was sind bei dem Straßenfest am Freitag Ihre persönlichen Highlights? Bei dem Straßenfest folgt ein Highlight auf das andere. Ich freue mich so, dass Jugendliche aus verschiedenen Schulen in einem Workshop mit Graf Fidi einen Rap-Song zu Inklusion komponieren und ihn dann spontan um 12 Uhr auf die Bühne bringen. Mich macht aber auch froh, dass wie im letzten Jahr alle vier Bezirksstadträte teilnehmen und sich einem Quiz „Wer wird Inklusions-Profi?“ stellen. Und weil bekanntlich die Liebe und dann vielleicht auch wichtige Botschaften durch den Magen gehen, dürfen die vielfältigen, bunten Inklusionsstullen nicht fehlen. Und ganz ehrlich gesagt – die ZUKSI-Band war schon im letzten Jahr ein echter Kracher!
Warum ist das Fest auch und gerade für Menschen interessant, die keine Behinderung haben? Interessant sind Feste immer, wenn Essen, Musik, Menschen und gute Stimmung da sind – all das hat unser Fest. Ich finde alle Menschen haben ein Recht darauf, von den Lebenswelten und -erfahrungen von Menschen mit Behinderungen zu profitieren. Noch immer kommen Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit kaum vor. Bei uns stehen sie auf der Bühne und arbeiten in den umliegenden Geschäften, was allen Gästen und Beteiligten gemeinsame Erfahrungen ermöglicht. Menschen, die keine Behinderung haben, erleben darüber hinaus, wie selbstverständlich und komfortabel es ist, wenn niemand ausgeschlossen wird. Denn es gibt einen barrierefreien Zugang zur Bühne, barrierefreie Toiletten, Gebärdensprachdolmetscher, große Akzeptanz und mehr – eben vieles, was auf anderen Festen oft fehlt.
Was hat sich in den letzten zehn Jahren positiv für Menschen mit einer Behinderung verändert, was können wir feiern? Seitdem wir eine öffentliche Diskussion über die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland haben, können wir ein größeres Selbstbewusstsein vieler Menschen mit Behinderungen feiern. Nun geht es nicht mehr darum, sich anzupassen und so normal wie möglich zu sein. Jetzt geht es um Chancengleichheit, sich für die eigenen Rechte einzusetzen und das Leben selbstbestimmt und stolz zu leben.
Allerdings wird bei dem Aktionstag – er findet im Rahmen des Europäischen Protesttags für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen statt – auch gemahnt: Wie inklusiv ist der Bezirk? Die größten Baustellen, die an mich herangetragen werden, lassen sich nicht immer auf der bezirklichen Ebene lösen. Dabei geht es um Wohnungslosigkeit, Arbeitslosigkeit, um die gesundheitliche Versorgung und vor allem um Barrierefreiheit. Für den Bezirk würde ich mir allerdings einen Aktionsplan wünschen, durch den sich alle Abteilungen im Bezirksamt und auch andere gesellschaftliche Akteure darüber bewusst werden, von welchen bezirklichen Angeboten Menschen mit Behinderungen noch immer ausgeschlossen sind oder nicht berücksichtigt werden und wie das abzuwenden wäre. Für die Erarbeitung dieses Aktionsplanes steht auch der Beirat für Menschen mit Behinderung mit seiner Expertise zur Verfügung.
Mobilität ist für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben von großer Bedeutung, deshalb kommen unter anderem BVG und Flixbus mit ihren Bussen zum Fest und bieten Mobilitätstrainings an. Wie werden Menschen mit Behinderungen in ihrer Mobilität behindert? Erstaunlicherweise geht es tatsächlich oft immer noch um so „simple Dinge“ wie Bordsteinabsenkungen, barrierefreie Ampelkreuzungen und zu kurze Ampelphasen. Berlin ist, was die Mobilität für Menschen mit Behinderung betrifft, eine der besten Städte, die ich kenne. Allerdings sind defekte Fahrstühle, wie auch oft bei uns am S-Bahnhof Zehlendorf, ein riesiges Problem. Wegen des häufigen Ausfalls des Fahrstuhls komme ich mit dem Auto ins Büro, obwohl ich eine gute S-Bahnverbindung habe. Was auch schwierig ist, sind die eingeschränkten Zeitangebote der Mobilitätshilfedienste. Für Abendveranstaltungen oder beispielsweise die botanische Nacht können sie nicht zur Verfügung stehen. Aber ohne Unterstützung können viele Menschen, die auf den Mobilitätsdienst angewiesen sind, nicht mehr teilhaben … Vollkommen überrascht hat mich, dass mir viele Menschen auch von Problemen rund um das Thema „Parken“ berichten.
Und wie gehen Sie mit diesen Anliegen um? Ich bin begeistert, dass wir in Zusammenarbeit mit dem Beirat und dem Ordnungsamt im August einen gemeinsamen Fokus-Tag haben werden: Dann beleuchten wir, welche Erschwernisse es für Menschen mit Behinderungen im Straßenverkehr gibt.
Wenn Bürgerinnen und Bürger Sie ansprechen, was sind die häufigsten Anliegen und Wünsche? Menschen, die schon länger mit Behinderung leben, haben oft gute Strategien, sich im Unterstützungssystem zurecht zu finden. Was manchmal bedrückend ist, sind die vielen Anrufe von Menschen, bei denen die Behinderung neu hinzukommt. Sie berichten von ihrer Odyssee jemanden zu finden, der für ihre Anliegen zuständig ist. Aufgrund von Vorurteilen verlieren sie oft, obwohl sie jung sind, ihre Arbeit oder müssen aus ihren Wohnungen ausziehen, weil diese nicht mehr zugänglich sind. Fühlten sie sich bisher nützlich und der Gesellschaft zugehörig, berichten sie dann oft fassungslos, wie herablassend sie behandelt werden und wie schwer es ist, ihr bisher selbstbestimmtes Leben weiter zu führen.
Foto: Anett Kirchner