Nachbarschaft
Veröffentlicht am 06.06.2019 von Boris Buchholz
Er ist der erste hauptamtliche Evangelische Militärbischof in Deutschland – und er lebt in Zehlendorf: Seit 2014 ist Sigurd Rink, 58, als Militärbischof Vorgesetzter von 108 evangelischen Militärseelsorgern – und die wiederum betreuen 182.000 Soldatinnen und Soldaten in über 100 Standorten in Deutschland und im Ausland.
Herr Bischof, als jüngerer Mann haben Sie gegen die Nachrüstung der NATO demonstriert, heute sind Sie der oberste Militärseelsorger. Was ist passiert? Der Völkermord 1994 in Ruanda – damals wurden 800.000 Menschen in einem Genozid teils grausam massakriert – hat meine Einstellung völlig umgekrempelt. Ich bin heute der Meinung, die internationale Gemeinschaft muss bei extremen Verletzungen des Völkerrechts eingreifen, im Extremfall auch militärisch. Allerdings gilt auch: Die UN sollte ein Mandat dazu erteilen.
Helfen Sie mir auf die Sprünge: Ich habe ein historisches Bild im Kopf, wie ein Pfarrer die Waffen seiner Armee segnet. Gehört das immer noch zu den Aufgaben eines modernen Militärpfarrers? Gottseidank, nein, Militärpfarrerinnen oder -pfarrer segnen keine Waffensysteme, sie geben einzelnen Soldaten oder eben auch Soldatinnen seelischen Beistand, schärfen das Gewissen, halten Gottesdienste. Sie gehören nicht zur militärischen Hierarchie, sie sind darin der von allen Dienstgraden anerkannte „Andere“.
Was erleben die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz? In unserem zivilisierten Europa können sich viele Menschen das gar nicht vorstellen: Die Soldaten werden in Afrika oder Afghanistan oft mit extremer Not und Armut konfrontiert. Sie erleben Situationen, in denen sie Befehle erteilen und verantworten müssen, die im Extremfall Kameraden das Leben kosten. In den Auslandseinsätzen teilen die Geistlichen in Gesprächen manche Gewissensnot, schaffen Freiräume für die Seele. Zuhören steht dabei oben an. Wir helfen in Deutschland ganz konkret bei Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), einer durch Einsätze hervorgerufenen Störung, die das ganze Leben verändern kann.
Ein großes Problem ist für Soldaten, dass ihre Berufswelt für Außenstehende kaum nachzuvollziehen ist, verstörende Erlebnisse können zuhause nur bedingt erzählt und verstanden werden. Ja, es gibt ein weit verbreitetes Unverständnis für die Belastungen der Soldaten. Sie sind aber eine Armee, die allein durch Beschlüsse des Deutschen Bundestages eingesetzt wird, sie sind eine Parlamentsarmee. Das wird oft vergessen. Immer wieder leiden Soldaten unter einer „Moral injury“, einer moralischen Verletzung. Sie fragen nach Schuld und Versagen im Einsatz.
Sie widmen Ihr gerade erschienenes Buch der Frage, ob es einen gerechten Krieg gibt. Und, gibt es ihn? Nein, gerecht ist er nie, er hinterlässt nur Opfer. Gerecht ist nur der Frieden.
Zurück nach Zehlendorf: Nicht jedes Kind kann seinen Freunden erzählen, mein Vater ist heute gerade beruflich in Mali und kommende Woche in Afghanistan … Unsere drei Kinder sind schon erwachsen und sehr interessiert an den Reisen des Vaters. In jedem Fall gilt: Die Menschen in Zehlendorf ahnen oft gar nicht, unter welchen guten Bedingungen sie hier leben. Wir wohnen in der Kolonie des Evangelischen Diakonievereins und fühlen uns pudelwohl.
Wo spannen Sie nach einem schweren Tag aus? Grundsätzlich versuche ich, die zwölf Kilometer zum Büro am Bahnhof Zoo mit dem Fahrrad zurückzulegen. Hier laufen wir regelmäßig um den Schlachtensee und schwimmen im Sommer in der Krummen Lanke. Etwas finden wir übrigens äußerst lebenswert: Die Zehlendorfer Programmkinos, besonders das Bali-Kino am S-Bahn Zehlendorf. – Foto: KAS Berlin; Autor: Boris Buchholz
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