Nachbarschaft

Veröffentlicht am 27.02.2020 von Boris Buchholz

Auf der Berlinale ist sie gleich zwei Mal auf der Leinwand zu sehen: Sie spielt bei der Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ mit und ist außerdem die Hauptfigur Nora im Film „Kokon“, der in der Sektion Generation 14plus gezeigt wird. Lena Urzendowsky, sie ist 20 Jahre alt, ist nicht nur bereits mit einem Grimme-Preis und dem Deutschen Schauspielpreis ausgezeichnet, sie ist auch Lichterfelderin.

Frau Urzendowsky, Sie sind auf der Berlinale gerade schwer beschäftigt: Was sind für Sie entspannende Berlinale-Momente? Also, diese Berlinale habe ich eigentlich ausschließlich spannende Momente! Der Spannendste war die Premiere von „Kokon“. Ich war selten so aufgeregt, was eigentlich verrückt ist, wenn man es sich genauer überlegt. Eigentlich müsste man pure Freude empfinden: So viele Menschen wollen den Film sehen, an dem man monatelang gearbeitet hat und wo so viel Liebe und Gedanken und Energie von einem drinstecken. Gleichzeitig ist so eine Premiere aber genau deshalb auch ein Moment von großer Verletzlichkeit. Sehr spannend finde ich auch immer, wenn das Programm veröffentlicht wird! Ich liebe es, alles zu verschlingen und mir akribisch Listen zu machen mit den Filmen, die ich vermutlich nur zur Berlinale zu Gesicht bekomme.

Der Liebes- und Coming-of-Age-Film „Kokon“ war der erste, für den Sie richtig Zeit hatten: Kurz vor Drehbeginn hatten Sie das Abitur gemacht. Würden Sie sich jetzt als hauptberufliche Schauspielerin definieren? Ich habe Schauspiel bisher nicht studiert, korrekterweise wäre ich also eine Darstellerin… Ich habe sehr viele Interessen und möchte mich in meinem Leben unbedingt noch in einigen Bereichen ausprobieren. Gleichzeitig hatte Schauspielerei immer etwas Magisches für mich und egal wie sehr ich über andere Berufsfelder nachdenke, ich kann es nicht lassen, immer wieder alles dafür zu tun, spannende Rollen spielen zu dürfen. Trotz der verschiedenen Dreharbeiten war ich nach dem Abi etwas Reisen. Ich liebe es zu reisen und zwar am liebsten mit dem Zug, denn das ist am umweltfreundlichsten [sie lächelt].

Seit 2014 stehen Sie vor der Kamera. Wie kam es dazu, dass Sie Schauspielerin wurden? Im Friedrichstadt-Palast hat eigentlich alles begonnen. Bei einem Weihnachtsmusical für Kinder, ich selbst war etwa fünf, bei dem ich erstmals andere Kinder auf der Bühne sah und beschloss, dass ich das unbedingt ausprobieren möchte.

Ihr Familienleben stelle ich mir hochkulturell vor: Ihre Mutter ist Sängerin, Ihr Vater schreibt, Ihr Bruder Sebastian ist ebenfalls Schauspieler. Was haben Ihnen Ihre Eltern in die Wiege gelegt, das Ihnen den Weg ins Spielen geebnet hat? Natürlich ist es ein Geschenk, wenn man mit Büchern und Musik und interessanten Gesprächen aufwachsen darf. Bestimmt hat das meinen Geschmack geprägt und meinen Blick geschult. Viel wichtiger ist aber für mich, dass mir früh beigebracht wurde hinzuschauen, zu beobachten und über das Gesehene nachzudenken. Da kann eine U-Bahn-Fahrt genauso inspirierend sein wie ein Film oder ein Theaterstück. Damit dann aus der Inspiration etwas Künstlerisches werden kann, war es für mich aber wichtig, an die Hand genommen zu werden, um für mich zu entscheiden, was das Wesentliche aus all dem ist. Und da habe ich natürlich viel von meinem familiären Umfeld gelernt und übernommen.

Aus gut unterrichteten Kreisen habe ich erfahren, dass Sie nach einer neuen Wohnung suchen: Warum wollen Sie Lichterfelde verlassen? In erster Linie ziehe ich bei meinen Eltern aus, weil ich zwanzig bin und es nun wirklich an der Zeit ist. Letztes Jahr habe ich viel in anderen Städten gedreht; da hat sich eine eigene Wohnung kaum gelohnt – nun ziehe ich tatsächlich bald mehr ins Zentrum. Das ist aber ziemlich unabhängig vom Kiez bei der momentanen Wohnungssituation in Berlin. Ich bin einfach nur froh, etwas Schönes gefunden zu haben!

Bitte bringen Sie die folgenden Begriffe in die Reihenfolge ihrer Bedeutung für Sie: Film, Freunde, Finanzen, Freiheit, fantastisch viel Ruhm, Familie. Ich bin zwanzig und überdenke Werte und Wünsche momentan viel und ständig. Darüberhinaus fände ich es auch sehr schade, wenn so fragile und von vielerlei Umständen abhängige Wichtigkeiten sich jemals festfahren. Mein Leben ist doch kein Multiple-Choice-Test!

Zurück zur Berlinale: Welche internationalen Regie-Größen sind bereits auf Sie zugekommen? Lockt die Karriere in Hollywood? Ich finde Erwartungen etwas sehr anstrengendes. Alles was ich möchte, ist spielen und mich ausdrücken und Charaktere studieren und Themen künstlerisch verdichten, damit die Menschen darüber nachdenken oder sich berühren lassen. Klar wäre das toll in Hollywood und es wäre eine Lüge, wenn ich die stillen Momente der traumhaften Hoffnung leugnen würde. Aber dabei geht es mir eher um Wertschätzung und um das Abenteuer, in der großen weiten Welt zu drehen und gesehen zu werden.

Ihr Gefühl: Wie groß sind die Chancen, dass „Kokon“ am Samstag einen gläsernen Bären erringt? Ich kann mit voller Inbrunst und Begeisterung sagen, dass ich „Kokon“ liebe und stolz auf diese Arbeit bin. Alle Departments haben ihr ganzes Herzblut in diesen Film gesteckt und das überträgt sich auf mich und wie ich finde auch auf die Leinwand. Die Berlinale und die Sektion, in der wir laufen, ist aber international. Unsere Themen mögen in Deutschland zwar wichtig sein, verglichen zu politischer Verfolgung, Krieg, Mundverbot oder Diskriminierung vermittelt er aber vielleicht eher die Botschaft, sich und diese ulkige Welt voller eigensinniger Individuen zu akzeptieren und vielleicht gar zu lieben. Das mag banal und nach Küchenphilosophie klingen, aber vielleicht ist das manchmal genau der richtige Ansatz, um die vielen Grausamkeiten dieser Welt etwas besser zu verstehen. Und Verständnis ist ein guter Anfang für Veränderung. – Foto: Marco Krueger, Text: Boris Buchholz

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