Nachbarschaft

Veröffentlicht am 12.03.2020 von Boris Buchholz

Nach Nazi-Schmierereien setzte sich die Schulgemeinschaft des Dreilinden-Gymnasiums sofort zur Wehr. Erfolgreiche Willkommensklassen, World Café, Reisen nach Israel, Projekte mit Hochbetagten, politische Diskussionsveranstaltungen – das Dreilinden-Gymnasium ist ein bunter Ort, an dem Toleranz gelebt und ein friedlicher Umgang miteinander geübt wird. Doch als die ersten Lehrer und Schüler am Montag, den 2. März, das Schulgelände betraten, waren sie geschockt: Hakenkreuze und menschenverachtende Sprüche waren an die Außenwände geschmiert worden. Wie die Schulgemeinschaft schnell und entschlossen reagierte, berichtet Jens Stiller, der Schulleiter des Dreilinden-Gymnasiums.

Herr Stiller, was fanden Sie am Montagmorgen vor acht Tagen vor? „Der Schulhof war mit Hakenkreuzen, mit rassistischen, antisemitischen und sexistischen Sprüchen und Symbolen in blauer und gelber Farbe aus Spraydosen beschrieben. Besonders getroffen hatte es den Eingang zu einem Gebäudeteil, in dem unsere Willkommensklassen untergebracht waren. Dort waren auch die Sätze eines unserer Poster „Rassismus ist Gift. Rassismus tötet. Wir trauen um die Opfer von Hanau“ durchgesprüht. Das Poster hing innen hinter einer Fensterscheibe.“

Wie hat das Kollegium und wie haben die Schülerinnen und Schüler auf die braune Hetze reagiert? „Die Attacke war ein Schock, ein Tabubruch in der Welt der Schule, die Schutz und ein gutes Miteinander gewähren soll. Wir haben uns in der Aula versammelt, erst die Mittelstufe, danach die Oberstufe. Uns allen war klar: Die Sprüche müssen weg, so schnell wie möglich. Und wir wollten zeigen, dass wir für Offenheit und Toleranz stehen. In den nächsten Schulstunden haben die Schülerinnen und Schüler Dutzende von Postern gemalt, die genau diese Botschaften tragen. Damit haben wir den Schulhof, die Gänge, Türen und etliche Fenster tapeziert.“

Die Schulgemeinschaft hat sich gewehrt, Respekt. Bitte zitieren Sie, was haben die Schüler auf die Poster geschrieben? „Die Bandbreite der Anti-Rassismus-Botschaften war wirklich groß und originell. Das ging von ‚Das B in Rassismus steht für Bildung‘ bis hin zu  ‚Make racism wrong again‘.“

Wie ging es dann weiter, haben Sie die Polizei gerufen? „Die Polizei wurde morgens um 7 Uhr eingeschaltet. Der Staatsschutz ermittelt.“

Sie haben an der Schule drei Willkommensklassen und viele jüdische Schülerinnen und Schüler: Wie war bei diesen Jugendlichen die Stimmung nach den Neonazi-Schmierereien? „Nach Tränen und Wut ging es vielen nach dieser gemeinsamen Poster-Aktion deutlich besser. Wir lassen uns nicht spalten, das ist klar geworden. Einige haben sich bei ihren Lehrerinnen und Lehrern bedankt. Viele Eltern haben E-Mails geschrieben, mit denen sie die Reaktion der Schule unterstützen.“

Was haben die Schüler an diesem ganz anderen Schultag gelernt? „Gegen Hass und Bedrohung durch Einzelne gibt es eine deutliche Mehrheit, die in einer Krise zusammensteht und Zeichen setzen kann. Und jeder kann eine Haltung zeigen.“

Und was ist Ihr Resumée? „Auf unsere Schulgemeinschaft ist Verlass. Unsere Schülerinnen und Schüler sind kreative Geister, mit Herz und Verstand. Jetzt sammeln die Schülersprecher übrigens Unterschriften für die Kampagne „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“.

Wissen Sie schon, wer die Täter waren und ob sie aus der Schule stammen? „Es gibt einige Spuren. Wir wissen nicht, ob Ehemalige unter den Tätern sind oder ob sie vielleicht Unterstützer hatten. Was wir wissen ist, dass aus einem schlechten Tag für die Schule ein noch möglichst guter wurde.“ – Text: Boris Buchholz

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