Nachbarschaft

Veröffentlicht am 23.04.2020 von Boris Buchholz

Susanne Riedel, 49, ist Sozialarbeiterin, Autorin, Fotokünstlerin „und manches mehr“, so steht es auf ihrer Website. Die Steglitzerin mag nicht nur den Regen, sondern auch das Wort – zusammen mit ihrem Autor-Kollegen Horst Evers beschreibt sie auf der Website krisenkalender.de ihren Corona-Alltag.

Frau Riedel, Hertha-Trainer Bruno Labbadia ist Ihr neues Vorbild: „Wenn ich groß bin“, schreiben Sie im Krisenkalender, wollen Sie auch einmal „auf weite Teile“ Ihres Gehalts verzichten können. Wie kommen Sie als Künstlerin und Autorin durch die virenverhagelten Tage? Nagen Sie schon am Tischtuch? Ich hatte diese Formulierung im Radio gehört und dachte: So ein Gehalt, bei dem man von „weiten Teilen“ sprechen kann, muss eine feine Sache sein. Im Bereich der Kleinkunst bewegen wir uns ja traditionell eher im Bereich der kleinen Brötchen als der weiten Teile und die Schließung der Bühnen setzt uns finanziell und moralisch mächtig zu. Wir behelfen uns mit Blogs und Livestreams und tun was wir immer tun: Wir hoffen das Beste. 
Schon vor der Krise wurde ich öfter mal gefragt „Kann man davon leben?“ Oder auch – mein Favorit –: „Haben Sie auch einen richtigen Beruf?“ Das mit dem Tischtuch ist also gar nicht so abwegig.

Wie kommt es, dass Sie mit Horst Evers den lustigsten Corona-Blog ins Leben gerufen haben, den ich bisher kenne? Horst Evers und ich kennen uns durch die Lesebühne „Der Frühschoppen“, die es nun schon seit unglaublichen dreißig Jahren gibt. Er und die Kollegen sind Gründungsmitglieder, ich bin seit 2018 dabei. 
Unser Blog entstand quasi von alleine: Als die Bühnen wegen Corona geschlossen wurden, fingen Horst und ich an, uns per Mail über die kuriosen Begebenheiten am Rande des Krisenalltags auszutauschen und hatten viel Spaß dabei. Es tat uns gut, das kleine Lächeln zwischendurch nicht aus den Augen zu verlieren – und das wollten wir dann einfach teilen. Der Blog ist seither frei zugänglich und nicht kommerziell aufgezogen. Wer mag, kann etwas im virtuellen Spendenhut lassen. Doch vor allem aber freuen wir uns über die vielen positiven und teils sehr kurzweiligen Rückmeldungen, die wir bekommen. Ich glaube, die Leser und wir tragen uns wohl gegenseitig ein wenig durch diese verrückte Zeit.

Obwohl Sie Ihre Steglitzer vier Wände wohl kaum verlassen, haben Sie einen guten Einblick in das Kreuzberger Alltagsleben. Gibt es Unterschiede, wie die Menschen in den beiden Bezirken mit dem Virus umgehen? In Kreuzberg ist der Mundschutz bunter, in Steglitz fällt es weniger auf, dass Leute mit einem Kissen unter den Ellenbogen aus dem Fenster lehnen. Das war hier schon immer so. 
Davon abgesehen ist es wie überhaupt oft in dieser Krise: Uns eint mehr als uns trennt.

Möchten Sie umsiedeln? Wegziehen? Nein. Ich fühle mich hier einstweilen gut aufgehoben. Lichterfelde ist ja meine Heimat, ich war schon hier als noch amerikanischen Soldaten den Teltowkanal entlang joggten, am Hindenburgdamm noch ein Kino war und bei Einfeldt lose Brausebonbons verkauft wurden. Nach ein bißchen Herumschwirren in der Weltgeschichte bin ich dann schließlich wieder hier gelandet. 
Zuweilen denke ich, Steglitz könnte mal ein bißchen aus den Puschen kommen, was buntes Leben und Kultur angeht, aber auf der anderen Seite ist da auch schon viel in Bewegung. Und damit meine ich jetzt nicht den Kreisel. Oder diese Baustelle am U-Bahnhof Rathaus Steglitz, ich meine, was wird da gebaut, ein Flughafen?

Ihr Co-Autor redet mit Möbeln, Ihnen rieselt der Putz auf den Kopf: Geht Ihnen schon nach Folge 37 des Krisenkalenders langsam die Corona-Luft aus? 
Ich glaube, es wäre geradezu unredlich zu verschweigen, dass auch einem Herrn Evers und einer Frau Riedel in diesen schwierigen Zeiten nicht immer die Sonne aus dem Hintern scheint. Auch darüber schreiben wir gelegentlich. Die Decke ist uns aber noch nicht auf den Kopf gefallen, und auch wenn der Putz leise rieselt: Es gibt viel zu erzählen.

Wem geht das Virus am meisten auf die Nerven: Ihnen, Ihren zwei Söhnen, Ihrem Mann oder Ihrem Haustier? Ein Haustier fehlte jetzt gerade noch. Wobei, wir haben Mauerbienen auf dem Balkon, das ist sehr unterhaltsam. 
Alle sind mal genervt, das bleibt nicht aus, aber wir wechseln uns dabei ganz gut ab. Die Kunst ist das Timing, anstrengend wird es erst, wenn alle gleichzeitig genervt sind, das gilt es zu vermeiden. Jeder von uns hat da inzwischen seine Strategien: Der eine geht laufen, der andere Fahrradfahren oder zum Abrauchen auf den Balkon. Ich backe und koche leider ständig, wenn ich mich abreagieren will, das muss ich langfristig mal überdenken.

Angeblich bedeutet die Virus-Zeit auch viel freie Zeit: Mit welchen Projekten gehen Sie aktuell kreativ schwanger? Erstmal freue mich wie Bolle auf das Wiedersehen mit den Kolleginnen und Kollegen der Lesebühnen, aber das wird wohl noch ein bisschen warten müssen. 
Diesen Freitag hätte außerdem meine Lesung mit Musike im Salon der Schwartzschen Villa stattfinden sollen, die Plakate waren schon gedruckt – ich hoffe sehr, diese bald nachholen zu können, seien Sie herzlich eingeladen.
 Ein zweiter Kurzgeschichtenband ist schon fertig und liegt gerade beim Verlag, ein Roman ist außerdem im Werden… Langweilig ist es also nicht. Und es wird schon werden. Nachdem wir mit Bruno Labbadia angefangen haben, will ich mal mit Lothar Matthäus schließen: 
„Wir dürfen jetzt nur nicht den Sand in den Kopf stecken.“ – Foto: Rolf Schulten
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