Nachbarschaft
Veröffentlicht am 04.06.2020 von Boris Buchholz

Von den Finanzen zu den Pflanzen: Seit 2017 stehen die Bienen von Peter-Michael Thiemer, 68, auf dem Dach des Steglitzer Finanzamtes. Das Finanzamt hatte damals die Bienen-Idee an den Imkerverein Steglitz herangetragen, der Hobby-Imker gewann die Ausschreibung. Über seine Freude mit den Bienen führt der Lichterfelder Tagebuch online auf bienenfreundschaft.de Tagebuch.
Herr Thiemer, wie viele Bienen nutzen das Dach des Finanzamts aktuell als Start- und Landeplatz? In den Sommermonaten Mai und Juni wachsen die Bienenvölker ständig und erreichen eine Größe von jeweils bis zu 60.000 Bienen und mehr. Zwei Wirtschaftsvölker dieser Größe sind derzeit auf dem Dach und ein Ablegervolk mit vielleicht 10.000 Bienen. Es könnten also gerade etwa 130.000 Bienen sein. Aber nicht alle Bienen fliegen vom Dach los, das tun nur die älteren als Spur- oder Flugbienen. Ihr Flugradius beträgt bis zu drei Kilometer.
Und woher kommt der Pollen? Die Finanzamts-Bienen erobern die Blüten des Botanischen Gartens von oben. Im letzten Jahr hatten die Mädels unter anderem Rapspollen eingetragen, die nur von der Domäne Dahlem gewesen sein konnten. Die Spurbienen fliegen sehr früh raus und markieren die Stellen mit Pheromon, wo die Flugbienen den Nektar und die Pollen einsammeln sollen. Mit dem Schwänzeltanz zeigen die Spurbienen nach ihrer Rückkehr den Flugbienen, wo das Nektarangebot ist. Auch Wasserstellen sind wichtig für die Bienen und werden angeflogen.
Wie sorgen Sie dafür, dass die Bienenkästen in luftiger Höhe nicht samt ihrer Bewohner bei Starkwind und Sturm weggeblasen werden – immerhin ist das Gebäude sechs Stockwerke hoch? Die Bienenbeuten, so heißen die Behausungen der Insekten, stehen auf einem Holzgestell; ein Statiker hatte berechnet, dass das Gerüst mit drei Betonplatten für jede Beute zusammengebunden werden muss. So festgezurrt haben wir auch den heftigen Sturm Xavier im Oktober 2017 gut überstanden.
Eine Leserin schrieb mir über Ihre Bienen, dass sich deren Bienenfleiß wohl auch auf die Mitarbeiter ausgewirkt habe: Ihre aktuelle Steuererklärung sei in drei Wochen bearbeitet gewesen … Ich pflege mit interessierten Mitarbeitern vom Finanzamt einen guten Kontakt und gebe Bienenführungen und Erläuterungen. Ein- oder zweimal im Jahr verkaufe ich den Honig aus der Dachimkerei auch im Amt. Der Berliner Stadthonig hat gute Bewertungen, insbesondere der Lindenhonig.
Ich habe die Debatte aus dem letzten Jahr noch deutlich im Ohr: Bienensterben, Bienenkrankheiten, Angst um die Bestäuber. Wie geht es den Bienen heute? Den Honigbienen geht es dank der vielen Profi- und Hobby-Imker gut. Schlecht geht es den circa 450 Wildbienenarten, die als Solitärbienen einen schweren Stand haben. Hier kann mit guten und sinnvollen Nistkästen vom Fachmann geholfen werden. Ich habe seit zwei Jahren erfolgreich zwei Nistkästen, die von gehörnten Mauerbienen und Lehmwespen bewohnt werden. Diese Insektenarten sind auch für die Bestäubung wichtig.
Sie verkaufen seit wenigen Wochen Ihren Finanzamts-Honig samtags auf dem Ludwig-Beck-Platz – da gibt es doch aber schon einen Imker … Seit 27 Jahren verkauft Siegfried Langner auf dem dem dortigen Markt seine Honige. Nun hat er am 30. Mai im hohen Alter von über achtzig Jahren seinen letzten Tag mit dem Honigverkauf verbracht. Ich kenne ihn seit 2013 und hatte von ihm 2015 mein erstes Bienenvolk erhalten. Selbstverständlich habe ich ihm in den ganzen Jahren auf dem Markt keine Konkurrenz gemacht, das verbietet der Anstand. Nun teilte mir Siegfried mit, dass er aufhören will und ich doch den Honigverkauf mit meinen Honigen fortführen solle. Ich hoffe, dass den Kunden auch mein Honig schmecken wird. Ich verkaufe Honig aus Steglitz als Stadthonig, den aus dem brandenburgischen Wensickendorf als Landhonig und dann habe ich noch Bienen in Nordgriechenland fliegen – von dort kommt mein griechischer Waldhonig mit Prädikat Premium.
Wann haben Sie Ihre Bienen das letzte Mal so richtig beeindruckt? Die Bienen beeindrucken mich jedes Mal aufs Neue. Ein „Bien“, wie man ein Bienenvolk auch nennt, ist rastlos, es herrscht unheimliche Disziplin. Die vielen Berufe die eine Honigbiene im Sommer in ihrer kurzen Lebensphase von 35 Tagen durchlebt, sind unglaublich. Das fängt an mit dem Schlüpfen aus der Zelle: Als erstes ist die Biene Putzbiene und säubert ihre Zelle, damit die Königin mit einem neuen Ei für weitere Nachkommen sorgt. Dann wird sie Ammenbiene, Baubiene, Wächterbiene, Heizerbiene, Spurbiene und Flugbiene – und das sind noch längst nicht alle Jobs. Das fasziniert mich, deshalb müssen wir die Natur wahren und pflegen und für Artenvielfalt sorgen. – Text: Boris Buchholz
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