Nachbarschaft

Veröffentlicht am 25.06.2020 von Boris Buchholz

Sie ist Steglitzerin und Tumor-Forscherin an der Charité, sie wurde 2011 für Bündnis 90/Die Grünen in das Lokalparlament von Mitte gewählt (2017 schied sie wieder aus) und sie hat zwei Kinder. Für ihre jüngste Tochter hat Franziska Briest, 38, zu Beginn der Coronavirus-Pandemie ein Bilderbuch geschrieben und gemalt.

Frau Briest, worum geht es in ihrem Wissenschafts-Thriller für Kinder, dem Buch „Schnupfenmonsterschnupfen“? Das Buch erzählt von einer Schnupfenmonsterschnupfenwelle – in Anlehnung an die Pandemie – aus Sicht des frechen Bösewichts. Alles beginnt damit, dass Schnupfi, das neugierige Virus, aus Langeweile von Nase zu Nase wuselt, als aus ihm plötzlich elfzig hundert neue Schnupfenmonster werden. Und diese vielen kleinen Monster wandern dann weiter auf Gegenständen und durch Küssen, Reden und Niesen von Mensch zu Mensch, bis alle mit furchtbarem Schnupfen im Bett bleiben müssen. Nur die Heldin des Buches, das Mädchen Shelli Schneuz, bleibt zu Hause und weiß, dass Händewaschen kleinen Schnupfenmonstern den Garaus macht. Natürlich gibt es am Ende kein Virus-Gemetzel, sondern kleine Seifenblasen, die Schnupfi kitzeln, bis es vor Lachen leise zerplatzt.

Sie haben das Buch für ihre dreijährige Tochter Edda geschrieben – wie hat es ihr gefallen, dass es gerade ein Kind war, Shelli Schneuz, die einen Weg wusste, das Schnupfenmonster zu besiegen? Unsere Tochter wächst sehr selbstbewusst auf, da wir als Familie Wert darauf legen, dass alle Mitglieder in Entscheidungen eingebunden werden. Insofern ist es für sie gar keine große Sache, dass Kinder mit ihren Ideen Einfluss auf bestimmte Prozesse haben können. Leider stellt sich die politische Lage, gerade jetzt während der Pandemie, genau gegensätzlich dar, weil die Bedürfnisse und Interessen der Kinder in viele Entscheidungen nur unzureichend einbezogen werden. Aber im Reich der Fantasie können auch kleine Kinder große Dinge bewegen.

Und die praktische Umsetzung? Wie oft täglich waschen Sie und Edda sich im vierten Corona-Monat mit „elfzig hundert“ Seifenblasen die Hände? Tatsächlich hat das Buch den primären Zweck, nämlich meiner Tochter zu erklären, was gerade passiert und warum wir Abstand halten, Händewaschen und viel zu Hause bleiben, komplett erfüllt. Sätze wie „Der Spielplatz hat leider wegen Schnupfi geschlossen“ halfen uns täglich durch den „neuen“ Alltag. Und es gibt auch weniger Diskussionen beim Händewaschen. Ich weiß von einer Kita, die hat Schnupfi-Bildchen auf die Seifenspender geklebt und motiviert dadurch zum Händewaschen. Generell glaube ich aber, dass Kinder gar nicht die Hygienemuffel sind und sich deutlich schneller auf die aktuellen Umstände eingestellt haben als viele Erwachsene. Meine Kolleginnen und Kollegen sind natürlich Fans vom Buch und haben auch schon ihre Kinder und Nichten oder Neffen damit versorgt. Angesprochen werde ich vor allem von Pädagoginnen und Pädagogen, die das Buch in ihre Arbeit einbeziehen. Es freut mich natürlich, wenn Fachleute positive Kritik äußern.

Wenn ich durch die Stadt fahre, würde ich mir wünschen, Sie wären hauptberuflich Schriftstellerin: Welches Buch müssten Sie wohl schreiben, um wieder mehr Menschen zu animieren, die Schutzmasken in Bus, Bahn und Laden zu tragen? Um das zu erreichen, müsste es wohl ein Drehbuch sein. „Harry Potter und die Quarantäne des Schreckens“, „James Bond – Intubation“ oder „Snotting Hill“ fielen mir da ein. Aber: Ich denke, es mangelt nicht an Information. Eher am fehlenden Bewusstsein, dass die Pandemie noch lange nicht vorbei ist und dass auch in Berlin immer noch fast täglich Menschen daran sterben. Und vielleicht an einem Faltblatt, wie man Masken auch mit Brille richtig trägt, ohne die Sicht zu verlieren.

Sie forschen an der Charité an Blut- und Tumorzellen: Wie fühlen Sie sich bei der Aussicht, Ihre Kinder nach den Ferien wieder „wie früher“ in die Schule und Kita zu schicken? Obwohl ich keine Virologin bin, mache ich mir keine großen Sorgen, sondern freue mich darauf, da ich diesen Schritt aus vielen Gründen für überfällig halte. Einerseits gibt es natürlich immer noch einen Bedarf an Forschung, gerade im Bereich Kinder. Anderseits wurden natürlich auch in den letzten Monaten weltweit Daten über Sars-CoV-2 bei Kindern erhoben. Sicher ist eigentlich nur, dass wir uns wissenschaftlich noch keine abschließende Meinung bilden können. Damit bleibt die Entscheidung vor allem eine politische. Und hier denke ich, dass neben der virologischen Betrachtungsweise auch soziologische, pädagogische, psychische und wirtschaftliche Komponenten stärker in die Abwägung pro oder contra Normalbetrieb einbezogen werden müssen. Es gibt wenige Bereiche des Lebens, die ich für so systemrelevant erachte, wie die Bildung und seelische Gesundheit unserer Kinder. Aber ich stelle mich natürlich auch bei meiner Projektplanung darauf ein, dass jederzeit ein Zurück zum Homeoffice möglich ist, weil temporäre Schließungen das erfordern.

Ihr Buch muss ja ein Renner sein, aktuell, positiv, aufklärend und gut zu verstehen: Ihre Sommerreisekasse sollte durch die Tantiemen reich gefüllt sein: Wo geht es denn hin? [Lacht.] Die Reisekasse bleibt die einer Wissenschaftlerin im Öffentlichen Dienst und ist völlig auseichend für unseren Urlaub an der Ostsee. Mir war es wichtig, möglichst viele Kinder zu erreichen, aber die Abwicklung und den Vertrieb kann ich nicht alleine stemmen. Da nun Print-on-Demand-Verlage höhere Druckkosten haben, habe ich meinen Eigenanteil auf einen symbolischen Euro reduziert. Vermutlich hätte sonst auch das Finanzamt ein paar Fragen an mich. Und ich habe alle bisher ausgezahlten Einnahmen direkt an eine Stiftung gespendet, die sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagiert. Es würde sich auch komisch anfühlen, wenn ich mich an einem Ereignis, das weltweit so viele Tote fordert, bereichern würde.

„Schnupfenmonsterschnupfen. Eine Virus-Geschichte für kleine Händewascher“ von Franziska K. Briest ist als Book on Demand erschienen und kostet im Web oder beim Buchhändler Ihres Vertrauens als Softcover 8,99 Euro (mit harten Buchdeckeln dürfen Sie 17,49 Euro auf die Ladentheke legen).

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: boris.buchholz@tagesspiegel.de

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+++ Die Themen der Woche:

  • Charité-Forscherin Franziska Briest hat ein Corona-Kinderbuch über das Händewaschen geschrieben: Die Fortsetzung für Erwachsene könnte „Harry Potter und die Quarantäne des Schreckens“, „James Bond – Intubation“ oder „Snotting Hill“ heißen
  • Brücken-Domino am Teltowkanal: Erst wird die Bäke- und dann die Knesebeckbrücke erneuert
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