Nachbarschaft

Veröffentlicht am 09.07.2020 von Lotte Buschenhagen

André Johst ist gemeinsam mit Janis Gensch Inhaber der Catering-Firma Mama & Sons und seit Anfang Juli mit einem Foodtruck für die Caritas unterwegs. Freitags versorgen die beiden in der Königsberger Straße 11 bedürftige Steglitz-Zehlendorfer*innen mit einer warmen Mahlzeit. Das Foto zeigt den Truck bei einer Ausgabe in der Kreuzberger Wrangelstraße.

Hallo André! Bis vor kurzem standest du mit deinem Wagen auf Firmenfeiern und Festivals. Nun seid ihr fünfmal die Woche für die Caritas im Einsatz – wie kam es dazu? Ja, wir haben vorher viele große Firmenveranstaltungen gemacht. Durch Corona ist bei uns jedoch alles eingebrochen. Wir standen vor einem Trümmerhaufen, auf einmal war nichts mehr da. Wir wissen auch noch nicht genau, wie wir das Jahr überstehen sollen. Aber: Wir haben das Personal und die Lebensmittel – bevor wir alle herumsitzen und nichts zu tun haben, versuchen wir, uns gesellschaftlich gut einzubringen.

Wo genau seid ihr unterwegs? Wer kommt zu euch? Wir fahren jeden Tag einen anderen Ort an, in der Regel die Hotspots, wo großer Bedarf ist. Die Caritas sucht Orte raus, wo sie weiß, dass sich viele bedürftige, wohnungslose, suchtkranke Menschen aufhalten. Sie nutzt die Essensausgabe, um den Kontakt zu den Menschen wiederherzustellen, der während der Corona-Pandemie eingeschlafen ist. Während des Lockdowns haben viele Suppenküchen zugemacht und durften nicht öffnen. Dadurch, dass Corona alles zum Erliegen gebracht hat, gab es auch keine Lebensmittelspenden mehr. Entsprechend konnten viele Suppenküchen gar keine Mahlzeiten mehr ausgeben, weil sie spendenabhängig sind. In Steglitz stehen wir bei der Integrativen Suchtberatung in der Königsberger Straße, in der Regel kommen am Freitag ca. 50 Personen. Die Beratungsstelle hat während der Corona-Zeit überhaupt nichts mehr von ihren Klienten gehört: Die brauchten unbedingt etwas, das zieht! Durch den Foodtruck können sie es schaffen, dass die Leute wiederkommen und wieder Kontakt aufbauen.

Vom Morgen in der Großküche bis zum Zuklappen des Trucks – wie sieht ein Tag bei euch aus? Ein typischer Tag beginnt bei uns so, dass wir uns anschauen, was an Lebensmitteln gespendet wurde. Danach machen wir ein kurzes kreatives Brainstorming und entwickeln den Menüplan für den Tag. Unser Ansatz ist immer, dass wir versuchen, alle Gerichte so zu konzipieren, dass alles drin ist – Proteine, Kohlenhydrate, Vitamine. Wir gehen davon aus, dass es die einzige Mahlzeit am Tag ist. In der Regel schaffen wir das auch, manchmal muss man ein bisschen erfinderisch sein. Danach wird gekocht und wir packen den Foodtruck. Wir müssen natürlich alle Hygienemaßnahmen beachten und kommen mit Maske, Handschuhen und einem Spuckschutz am Wagen. Vor Ort bauen wir auch einen kleinen Tisch mit Desinfektionsmittel und Masken auf. Meistens kommen dann schon die ersten und fragen, was es heute gibt. Dann öffnen wir die Klappe und geben Essen aus. Dazu reichen wir Brot – die meisten stecken es sich in die Hosentasche, für später. Erst, wenn wir wirklich den letzten Rest ausgegeben haben, fahren wir vom Hof.

Gibt es Klient*innen, die dir besonders im Gedächtnis geblieben sind? Ja, mehrere. Ich bin immer wieder erstaunt, denn wenn man sich die Menschen anschaut, würde man es ihnen nicht ansehen, dass Sie auf unsere Hilfe angewiesen sind. Viele von ihnen sind wie ich und du – können sich aber einfach ihr tägliches Essen nicht mehr leisten. Das war erschreckend für mich zu sehen. Auch kommen viele junge Menschen zu uns, ein Viertel der Klienten ist unter 25. Ich habe einen Mann aus Österreich kennengelernt, der 16 Jahre dort gelebt hat und vor zwei, drei Jahren nach Berlin gezogen ist. Der kam drei Mal – der hatte richtig Hunger.

Was gefällt dir am meisten an deinem Job? Wir sind es alle im Team gewöhnt, für Menschen zu catern, die eigentlich schon satt sind – denen man immer neue Trends bieten muss. Auf einmal haben wir super zufriedene und lächelnde Gesichter vorgefunden, die einfach dankbar sind, für das, was sie bekommen. Es ist total schön, was man da zurückbekommt. Alle waren supernett, egal wie sie aussahen oder ob sie betrunken waren. Viele kamen auch zurück und haben sich bei uns noch einmal bedankt.

Was würdest du dir für die kommenden Monate wünschen? Natürlich wäre der größte Wunsch, dass es keine Menschen mehr auf der Straße gibt, die bedürftig sind. Das ist so schnell nicht umsetzbar – deshalb würde ich mir wünschen, dass dieses Projekt noch länger läuft. Wir haben ein bestimmtes Spendenbudget bekommen und ausgerechnet, dass es wahrscheinlich bis Anfang Herbst reicht. Wenn der Winter vor der Tür steht, würde das Projekt aufhören und die Menschen würden ohne dastehen. Ich hab jetzt gemerkt, dass es einen unglaublich großen Teil der Bevölkerung gibt, die einfach hinten über fallen. Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen und Firmen spenden, um die Schwächsten unserer Gesellschaft mit aufzufangen.

Über Spenden freut sich das Projekt unter diesem Link. Die Klient*innen der Caritas erhalten die Mahlzeiten völlig kostenfrei, Johsts Catering-Unternehmen werden lediglich Köch*innen und Lebensmittel bezahlt.

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