Nachbarschaft

Veröffentlicht am 05.11.2020 von Carlotta Cölln

Sich selbst als Künstler*in bezeichnen? Schwierig. Vor allem wenn man jung ist und Kunst von vielen schon definiert und gelebt wurde, vielleicht schon Jahrzehnte zuvor. „Kunst ist ein sehr intellektueller Begriff.“ Otto Claus Windmöller hat gerade „Corona-Abi“ am Arndt-Gymnasium gemacht, liest zur Zeit Mark Twain und war einer der 10 beteiligten Künstler*innen des Spiritus Magazins. Seit einem Jahr schreibt er Texte, seit einem halben Jahr malt er.

Das Magazin, an dem er sich beteiligte, stellt sich genau dieser Frage: Was passiert an Kunst in einem noch so jungen Alter. Die jungen Menschen schreiben von sich als „Künstler*innen“ immer bewusst in Anführungszeichen. Das Spiritus-Magazin verzichtet auf deskriptive Texte und auch auf erfahrene Hilfe: Alles wurde selbst produziert, das Magazin finanziert sich ohne Startbudget durch Rückfinanzierung. Ins Leben gerufen und produziert haben das Magazin Anton Krude und Jonathan Joosten. Windmöller erzählt, Anton sei aufgewacht und hätte die Idee im Kopf gehabt. Aus einer Idee wurde Realität. Das Magazin stellt 10 Künstler*innen dar, inklusive der beiden Herausgeber. Jede „Künstler*in“ hat mehrer Seiten zur freien Verfügung, es gibt keinen eingrenzenden Rahmen, es geht schlicht um Präsentation.

Auch er selbst will sich nicht geradeheraus als Künstler bezeichnen. „Es ist schwierig als Jugendlicher zu sagen, ja ich bin jetzt Künstler.“ Die Bezeichnung Künstler sei weniger eine Art und Weise, wie man sich präsentiert, so Windmöller, sondern eine Art und Weise, wie man aufgenommen würde. Und als Jugendlicher sei man eben im gesellschaftlichen Rahmen noch nie als Künstler aufgenommen worden. „Ich bin letztendlich nur eine Stimme von vielen, die das, was ich mache, als Kunst bezeichnen kann, oder eben auch nicht.“ Auch die Definition, wann etwas Kunst ist oder sein darf, sieht er in dem deskriptiven Blick des Zuschauers bzw. Konsumenten. „Sobald jemand sagt, das ist Kunst, dann ist es Kunst, es gibt auch Sachen, wo ich persönlich sagen würde, das hat keinen Kunstwert für mich: Aber das tut ja eigentlich nichts zur Sache.“

Kunst von jungen Menschen kann anderes sein: „Junge Leute denken oftmals etwas unreifer oder impulsiver. Der Wille zum Ausprobieren ist tendenziell größer. Das kann sich auch auf die Kunst auswirken. Aber Gerhard Richter hat sich sein ganzes Leben ausprobiert.“ – „Wir denken uns in fünfzehn Jahren ‚Oh Mann‘, was war denn da los – Erwachsene sind bereits in der Position das zu denken.“ Bei jenen Erwachsenen käme das Magazin allerdings sehr gut an, Spiritus feierte ein Launch-Event im Gropius-Bau, bei dem er auch eine Lesung gab.

Windmöllers Teil des Magazins ist einer der wenigen mit Text und der einzige, der den Text auch in den Mittelpunkt seiner „Kunst“ rückt. Sein Text will gelesen werden. Ganz am Anfang stellt er auf der ersten Seite prominent der Leser*in die Frage „Wie viel Zeit verbringst du mit der Zeit, die du hast?“ Was er darauf antworten würde? „Wahrscheinlich wie alle zu wenig. Als ich heute nach Hause gekommen bin, hab ich eine Stunde Netflix geschaut, ich hätte auch lesen oder gegen die Wand gucken können.“ Zeit, so sagt er, sei ein Paradoxon. Das Natürlichste und Unnatürlichste zugleich. „Zeit ist ein erfundenes Instrument des Menschen, zur Vereinfachung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Zeit ist aber auch das, woraus Natürliches überhaupt entstehen kann“.

In den anderen Texten, die zusammen mit seiner abstrakten Malerei zu eine übertextliche Dimension finden, widmet er sich sehr persönlichen Themen. Er schreibt über zufällige Beobachtung, zieht Querverweise. „Ganz viel entsteht da eigentlich nur durch die Leute um mich herum.“ Wenn er über etwas schreibt oder malt, weiß er nicht, was am Ende dabei rauskommt, der Prozess selbst sei auch ein Teil des Endergebnisses. „Ich mache das nicht, um anderen etwas präsentieren zu können oder mich auszudrücken. Jeder soll machen, was er will und ich mach eben, was ich will. Ob es den Leuten am Ende gefällt, tut da nicht so viel zur Sache.“

Zeit zumindest gab es auf Grund von Corona genügend. Eigentlich wäre er in Südamerika, wie viele junge Menschen ist er aber in Berlin geblieben. Steht die Zeit also still? Ist man als junger Mensch gebremst, mitten im Anfang seines Lebens? Zumindest habe diese Zeit des Stillstandes dazu geführt, dass jeder da sein konnte und das Magazin ist dadurch auch schneller zustande gekommen. „Ich konnte vieles nicht machen, was ich geplant hatte, dadurch habe ich aber auch vieles gemacht, was ich nicht geplant hatte.“

„Sportlich-Schnell“ wäre es auch nie ohne den Pandemie-bedingten Freiraum zu Stande gekommen. Es handelt sich um ein „Medien-Sammelsurium“, dass Windmöller angefangen hat. Gesammelt werden impulsive Medien jeglicher Art: Musik, Malerei, Text. „Manchmal auch so richtig dumme Sachen.“ Alles ginge in Richtung „moderner Streetstyle“, immer verbunden mit einer gewissen Ästhetik. Das Projekt, dem er keine normativen Grenzen setzt, wächst. „Ich hätte vielleicht aber auch nette Menschen in Südamerika kennen gelernt.“ (Foto: beliebiger Fotoautomat in Berlin)

Wenn Sie eins der Spiritus-Magazine ergattern wollen, geht das online oder in ausgewählten Buchhandlungen. Und wenn Sie etwas Streetstyle-Stoff  haben, schicken sie es doch hier hin, dann wird es weitergeleitet.
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Dieser Text stammt aus dem Tagesspiegel-Newsletter für Steglitz-Zehlendorf – darin geht es diese Woche um Asbest-Ärger an der Clayallee, U-Bahnträume nach Lankwitz und Mexikoplatz und vieles mehr.
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