Nachbarschaft
Veröffentlicht am 17.06.2021 von Boris Buchholz

Bis 1977 lebte Eckard Siedke in Zehlendorf, dann zog er nach Schlachtensee um – „aber ich fühle mich seit dem Umzug immer noch als Zehlendorfer“, sagte er im Vorgespräch. Studiert hat der heute 81-jährige Schiffsmaschinenbau. Doch im Laufe seines Berufslebens kümmerte er sich nicht nur um schwimmende, sondern auch um Kirchenschiffe. Am vergangenen Sonntag verlieh ihm Bezirksverordnetenvorsteher René Rögner-Francke für seine Verdienste um die beiden Kirchen in Zehlendorfs Mitte, die Alte Dorfkirche und die Pauluskirche, die Bezirksmedaille.
Herr Siedke, am Sonntag wurden Sie mit dem Bezirksorden geehrt: Wie haben Sie sich bei der Zeremonie gefühlt, so als frisch gebackener Ehren-Steglitz-Zehlendorfer? Es war eine sehr schöne und erfrischend kurze Feier mit gut gewählter musikalischer Umrahmung. Ich fühle mich geehrt und beschämt, denn die Ergebnisse meines Einsatzes sind nicht nur eigenes Verdienst – es haben viele Menschen ideell und materiell zum Erfolg beigetragen.
Ist es Ihr erster Orden in der Vitrine? Ja.
Was hatten Sie mit den Orgeln in der Pauluskirche zu tun? Nachdem die alte Orgel kaputt ging, musste eine neue her – es wurden dann sogar zwei. Denn eine neue „Universalorgel“ hätte ebenso viel gekostet wie zwei spezielle Orgeln, barock und französisch-romantisch. Ich war damals noch Mitglied im Gemeindekirchenrat und der einzige Ingenieur in diesem Kreis – also erhielt ich Procura für die Baubesprechungen und die Abstimmung mit dem Architekten. Ein teilweise Tage füllender Job. Zunächst mussten die Fundamente für die Orgeln geschaffen werden: Mit den ausführenden Firmen gab es viel Freude, aber auch Riesenärger. Zum Glück wurde die Finanzierung der Orgeln und der eigentliche Orgelbau von unserem Kirchenmusiker und einem eigens dafür gegründeten Orgelbauverein betreut. Es war ein Projekt für 1,6 Millionen Euro. Bis kurz vor der festlichen Einweihung mit dem Landesbischof im Jahr 2013 gab es noch Arbeiten auszuführen – der Architekt und ich waren bis zum Schluss noch gut mit Aufgaben versorgt.
Und weil Sie sich bewährt hatten, durften Sie sich auch um die Sanierung der 250 Jahre alten Dorfkirche kümmern … Die größte Herausforderung war die Sorge um den Bestand des historischen Gebäudes: Das Bohren der Löcher für die Ringanker erforderte leider doch mehr Kühlwasser für die Bohrer, dadurch war die Wassereintrag in die Wände größer als geplant. Wir hatten aber Glück mit dem Wetter und es gab genügend Zeit zum Austrocknen. Wir hatten auch noch einmal Glück: Der vermutete Schwammbefall wurde nicht gefunden. Ich bin während der Sanierungsarbeiten immer auf der Baustelle gewesen, wenn ein neues Gewerk seine Arbeiten begonnen hat und habe dann auch bei weiteren Besuchen fast alle Schäden an Ort und Stelle zu sehen bekommen. Ich kenne das Gemäuer jetzt wahrlich gut. Ein drittes Mal Glück: Trotz Problemen konnte durch gute Zusammenarbeit mit dem Architekten und den Firmen stets eine passende Lösung gefunden werden – und auch die Geldgeber waren zur finanziellen Hilfe bereit.
Ist es nicht äußerst nervig, wenn Bauprojekte nicht pünktlich zu Ende gebracht werden können? Die Alte Dorfkirche sollte ursprünglich 2018 fertig saniert und innen neu gestaltet sein – jetzt werden die letzten Arbeiten gemacht … Immerhin hatten wir noch eine zweite Kirche und konnten während der langen Bauzeit die Gottesdienste in der Pauluskirche feiern. Es ist doch so: Ein altes Bauwerk mit vielfältigen Schäden muss behutsam restauriert werden. Zum Beispiel stellten sich erst nach großflächiger Abnahme des Außenputzes heraus, wie viele Risse im Mischmauerwerk zu schließen waren. Hektik und Drängen auf Fertigstellung verführt zu wenig sorgfältiger Arbeit. Wir hatten stets gute Handwerker auf der Baustelle, die aber nicht immer zum Wunsch-Termin zur Verfügung stehen. Es herrschte ja auch Bau-Hochkonjunktur. Angebote bekamen wir erst nach langem Drängen, die Ausführung war dann zum Beispiel für März geplant, begonnen wurde aber erst im August… Man lernt Geduld.
Wenn man Ihnen die Aufsicht über millionenschwere Bauvorhaben überträgt, muss die Gemeinde viel Vertrauen in Sie haben. Was würden Sie Ihren Enkelkindern raten, wie wird man eine verantwortungsbewusste Person? Durch Interesse an der Lösung eines Problems unter Beachtung der finanziellen Rahmenbedingungen – also sparsam. Man muss auch flexibel bleiben: An einem altem Baudenkmal zu arbeiten, das ist eine Art von Entdeckungsreise.
Bis heute ist es so, dass Sie gerufen werden, wenn irgendwo in den Kirchen etwas klemmt oder das Licht nicht funktioniert. Wollen Sie nicht auch manchmal Ihre Ruhe und Zeit mit Ihrer Frau haben? Ja, aber das Übertragen von Wissen und Aufgaben benötigt noch etwas Zeit. Ich meine, dass die Sanierung mit den Restarbeiten in diesem Jahr abgeschlossen ist. Dann hat meine Frau mehr von mir.
Obwohl Sie sich jahrzehntelang für die Kirche eingesetzt haben, werden Sie nun von der weltlichen Gesellschaft geehrt. Wie erklären Sie sich das? Viele Bürgerinnen und Bürger Zehlendorfs haben immer wieder Interesse an der ADK gezeigt. Es gibt das Interesse an historischen Zusammenhängen, das Interesse am Kirchenraum und so weiter. Ich meine, die Kirche steht mitten in Zehlendorf und ist – als das älteste Bauwerk des Dorfes – auch von der vielbefahrenen Bundesstraße 1 gut zu sehen. Sie ist ein architektonisches Schmuckstück des Dorfes, an dessen Erhalt auch die politische Gemeinde größtes Interesse haben sollte.
Kirchenschiffe beiseite: Worauf freuen Sie sich diesen Sommer am meisten? Auf die Eindämmung der Corona-Pandemie, so dass wir wieder Besuch von unsern Kindern und Enkeln bekommen können.
Text: Boris Buchholz
Foto: privat
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