Nachbarschaft
Veröffentlicht am 05.08.2021 von Boris Buchholz

Am Karlplatz an der Baseler Straße und Ringstraße wohnt Marina Gonzalez mit ihrem Partner und ihren zwei Kindern seit 2013. Als die 42-Jährige in Lichterfelde und Steglitz aufwuchs, gab es noch keine offiziellen Spielstraßen – die Kinder mussten sich, so gut es ging, ihren Freiraum auf der Straße suchen. Heute setzt sich Marina Gonzalez, sie arbeitet in der Kinder- und Jugendhilfe, dafür ein, dass die Baseler Straße zu einer Spielstraße für Jung und Alt wird – zumindest einmal im Monat.
Frau Gonzalez, im Herbst 2020 wurde die Baseler Straße im Rahmen eines Aktionstages zum ersten Mal zu einer temporären Spielstraße. Was hat Ihnen an diesem Ereignis am besten gefallen? Wir hatten gerade die erste Gartenbank aufgestellt und da kamen auch schon andere Menschen mit Tischen, Stühlen, Kaffee und Keksen aus anderen Häusern. Plötzlich saßen wir in netter Runde mitten auf der Straße und lernten neue Nachbarinnen und Nachbarn kennen. Die häufigste Reaktion der Anwohnenden war: „Ach, das ist aber eine tolle Idee, diesen Straßenabschnitt sollte man eigentlich regelmäßig sperren.“ Beim Aktionstag haben sich deshalb viele in unsere Liste eingetragen, die den Antrag für eine temporäre Spielstraße unterstützen. Insgesamt waren die Rückmeldungen positiv, sonst hätten wir das Vorhaben auch gar nicht weiter verfolgt.
Anscheinend haben Sie und andere dann Feuer gefangen, Sie wollen Ihre Straße regelmäßig zum Ort für Spiele und Treffen machen. Was genau haben Sie vor? Wir haben im Februar 2021 einen Antrag beim Bezirksamt eingereicht. Die temporäre Spielstraße auf dem Straßenabschnitt Baseler Straße zwischen Kadettenweg und Ringstraße soll von April bis September in Betrieb genommen werden. Und zwar an jedem ersten Freitag im Monat von 15 bis 19 Uhr. Freiwillige übernehmen während der Sperrung eine Aufsichtsfunktion. Wir haben im Vorfeld viele Anwohnerinnen und Anwohner und Gewerbetreibende rund um den Karlplatz befragt und auch die umliegenden Einrichtungen wie zum Beispiel Schulen, Schülerladen, Gemeinde einbezogen. Die Grundidee ist, öffentliches Straßenland für Bürgerinnen und Bürger unkommerziell nutzbar zu machen: zum Treffen, Spielen, sich unterhalten. Eben ein Treffpunkt für Jung und Alt. Es heißt zwar Spielstraße, der Name ergibt sich aber aus der rechtlichen Zuordnung. Unterstützung erhalten wir unter anderem vom Bündnis Temporäre Spielstraßen und dem SPD-Bezirksverordneten Rainer Ziffels.
Und wie sieht das Bezirksamt ihren Wunsch? Grundsätzlich erklärt sich das Bezirksamt offen gegenüber der Idee. Berlinweit bemüht sich die grüne Senatsverwaltung sehr um die Einrichtung von temporären Spielstraßen. Da wäre eine Ablehnung der grünen Stadträtin im Bezirk schon aberwitzig. Leider lässt das Bezirksamt unseren Antrag zur Zeit aber ruhen. Man möchte erst auf den Leitfaden des Berliner Senates warten, der einheitliche Standards und Vorgaben für alle Bezirke definiert. Damit es schneller geht, bräuchte es bei den Verantwortlichen im Bezirk den sogenannten guten Willen. Dann wäre eine Umsetzung – wie in anderen Bezirken – auch jetzt schon möglich.
Wie bewerten Sie das Agieren des Amts? Es geht dem Bezirksamt darum, sich rechtlich gut abzusichern, da Bürgerinnen und Bürger hoheitliche Aufgaben übernehmen. Gleichzeitig wurden in Berlin bereits viele neue temporäre Spielstraßen eingerichtet. Wo der politische Wille ist, da gibt auch es eine Spielstraße – die Bezirke können sich dabei von der Senatsverwaltung beraten lassen. Die Zurückhaltung ist sehr ärgerlich, war aber zu erwarten. Wir wissen um die konservativen Kräfte hier im Bezirk.
Warum sind temporäre Spielstraßen in einer Großstadt wichtig? Viele Menschen beklagen, dass es in Berlin an Engagement, Austausch und Bewegungsmöglichkeiten fehlt. Spiel- und Nachbarschaftsstraßen ermöglichen alles gleichzeitig. Sie machen die Kieze lebendiger! Aus den Begegnungen entstehen neue Spiele, Gesprächsthemen und Kontakte.
Sie leben im grünen Lichterfelde-West, Spielplätze gibt es zum Beispiel in der Curtiusstraße und an der Ringstraße – ist eine Spielstraße in der Baseler Straße wirklich nötig? Es geht hier nicht um Spielplätze. Es geht um eine kleine Nebenstraße, die für vier Stunden im Monat für Autos und Fahrräder gesperrt wird. Gerade hier in Lichterfelde ist uns der Einbezug älterer Menschen wichtig: Dass man sich mal sieht und begegnet. Kindern in ihrer Vergnügtheit beim Spielen zuzugucken. Das ist für viele eine Freude. Aber klar, das Argument des grünen Bezirks kommt immer von bestimmten Parteien. Dabei gibt es viel zu wenig inklusive Spielplätze und ausreichend Sport- und Bewegungsmöglichkeiten hier im Bezirk!
In Steglitz-Zehlendorf gibt es noch zwei weitere Initiativen für temporäre Spielstraßen: im Sprungschanzenweg und in der Ahornstraße. Haben die Bürgerinnen und Bürger dort die gleichen Probleme wie Sie? Mit der Initiative im Sprungschanzenweg sind wir eng vernetzt, da wir recht zeitgleich Anträge eingereicht haben und das Zwischenergebnis vom Amt so nicht stehen lassen konnten. Wir haben gemeinsam sowohl in der Bürgersprechstunde der grünen Stadträtin als auch in der Bezirksverordnetenversammlung nachgehakt. Die Initiative im Sprungschanzenweg ist ebenfalls gut organisiert und könnte sofort mit der Umsetzung starten. Auch mit der Initiative in der Ahornstraße sind wir im Kontakt, wir unterstützen uns gegenseitig.
Am 22. September findet wieder der europaweite autofreie Tag statt … Dieses Mal nehmen alle drei Initiativen daran teil. Da es bei uns an der Baseler Straße eine große Baustelle gibt, weichen wir wahrscheinlich in eine Nachbarstraße aus.
In den Innenstadtbezirken sind Kiezblocks und temporäre Spielstraßen akzeptierte Formen, die Kieze für Kinder und Erwachsenen attraktiver und sicherer zu machen. Warum glauben Sie, tut sich der Bezirk Steglitz-Zehlendorf so schwer? Das Hauptargument ist hier die Rechtssicherheit. Dann heißt es oft, dass bei uns weniger Einwohner pro Quadratmeter wohnen als in der Innenstadt. Das ist aber doch kein funktionierender Maßstab. Hier gibt es engagierte Bürgerinnen und Bürger, die momentan drei Spielstraßen wollen; das müsste der Maßstab sein. Natürlich könnten positive Beispiele auch eine Welle von Anträgen in anderen Gebieten des Bezirkes auslösen, aber was wäre daran schlimm? Ich denke es geht auch darum, Bürgern mehr zuzutrauen und mit ihnen im Gespräch zu bleiben. So ließen sich gemeinsam Projekte anstoßen, verbessern und anpassen.
Wenn Sie die temporäre Spielstraße durchsetzen würden, würden Sie dann nicht als nächstes dauerhafte Spielstraßen etablieren wollen? Soweit wir informiert sind, gibt es keine dauerhaften Spielstraßen. Bitte nicht zu verwechseln mit dem blauen Verkehrsschild „Verkehrsberuhigter Bereich“. Wenn sich das Format unserer Spielstraße bewährt, könnte man die Straße natürlich auch 14-tägig oder wöchentlich sperren lassen. Wenn die Anwohnerinnen und Anwohner das wollen, warum denn nicht? Zumal der Straßenabschnitt unmittelbar umfahren werden kann, wenn er für die Spielstraße gesperrt ist.
- Wenn Sie am 22. September mitspielen und -feiern wollen: Kontakt zur Initiative „Baseler Straße“ können Sie per E-Mail unter baseler@spielstrassen.de aufnehmen.
- Foto: privat
- Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: boris.buchholz@tagesspiegel.de