Nachbarschaft
Veröffentlicht am 16.12.2021 von Boris Buchholz
Sie ist 21 Jahre alt, nach dem Abitur legte sie ihren „vollen Fokus“ auf den Leistungssport – mit Erfolg: Anfang Dezember wurde Julia Büsselberg bei der Segelweltmeisterschaft in der Bootsklasse Ilca-6 (früher hieß sie Laser Radial) in Oman Fünfte. Sie wohnt in Friedenau, seitdem sie zwölf Jahre alt ist, trainiert sie im Verein Segelhaus am Wannsee. Neben dem Sport hat sie eine weitere Leidenschaft – die Logik. „Eher nebenbei“ studiere sie an der Fernuni Hagen Mathematik und Informatik, sagte sie im Vorgespräch.
Frau Büsselberg, herzlichen Glückwunsch zum fünften Platz bei der Weltmeisterschaft. Sie sind erst seit ein paar Tagen wieder in Berlin – was ging Ihnen auf dem Rückflug von Oman durch den Kopf? Erst einmal herzlichen Dank für die Glückwünsche. Eigentlich wollte ich auf dem Rückflug schlafen, weil wir ja die komplette Nacht unterwegs waren. Das hat nicht so gut funktioniert. Vorher war der ganze Nachmittag mit Bootsrückgabe, Siegerehrung und einer spannenden Busfahrt zum Flughafen viel zu aufregend. Stattdessen hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Anfangs habe ich noch mit mir gehadert, dass ich selber ein noch besseres Ergebnis als Platz fünf vermasselt habe. Es wäre durchaus möglich gewesen.
Das letzte Mal war eine deutsche Seglerin in Ihrer Klasse 2007 besser… Ja, Platz 5 ist eine super Leistung. Während ich also nicht schlafen konnte und ein Filmchen schaute, kamen die Glücksgefühle erst richtig bei mir an. Je näher wir Berlin kamen, desto aufgeregter wurde ich, wie ich denn am Flughafen empfangen werde. Vorher sind nur ein paar Hinweise durchgesickert.
Und, wie war der Empfang? Es war ein kleinerer Kreis als ich befürchtet hatte. Meine Eltern, der zweite Vorsitzende meines Vereins und eine Fotografin haben auf mich und meinen Trainer gewartet. Die meisten Fans konnten sich so kurzfristig nicht freischaufeln. Trotzdem war mit lauter Musik die volle Aufmerksamkeit des Ankunftbereichs bei uns. Ein wenig peinlich – aber es hat mich riesig gefreut.
Ihr Verein Seglerhaus am Wannsee jubelte Ihnen schon aus der Ferne zu: Sie seien in der Weltspitze angekommen. Was sind denn im kommenden Jahr Ihre Pläne? Das kommende Jahr hat als Highlights wieder „nur“ jeweils die Welt- und Europameisterschaft zu bieten. Der Plan ist es, bei beiden Events an den Start zu gehen. Um ähnlich erfolgreich wie jetzt oder noch sogar noch besser abzuschneiden, wird viel Training auf dem Wasser und an Land stattfinden. Im Oktober geht es dann nach China zur WM und im November nach Frankreich zur EM. Wirklich heiß wird es aber erst im Jahr darauf, in dem dann die ersten Startplätze für die Olympischen Spiele in Paris / Marseille bei der WM in Den Haag vergeben werden.
Sie sind heiß auf Olympia, Sie wollen 2024 nach Paris? Ich hoffe doch, dass ich für Paris gehandelt werde. Immerhin ist das mein großer Traum und mein erklärtes Ziel – und ich glaube mit dem Ergebnis jetzt bei der WM, aber auch mit der ganzen Saison 2021, durchaus ein realistisches.
Erfolg kann nicht nur süchtig, sondern auch viel Druck machen. Wie gehen Sie mit den vielen Erwartungen um? Erfolgssüchtig ist, glaube ich, jeder Sportler. Das ist ganz klar. Was den durch Erfolg ausgelösten Druck angeht, versuche ich locker zu bleiben. Es ist ja auch ein schönes Gefühl, wenn viele Menschen an einen glauben. Das freut mich mehr, als dass es Druck auslöst. Den Druck mache ich mir dann eher mit meinen eigenen Erwartungen. Daher setze ich mir meistens Handlungsziele und keine Ergebnisziele. Damit komme ich persönlich besser zum Ziel.
Wie sind Sie zum Segeln gekommen? Durch meine Eltern. Früh durfte ich auf ihrem Boot die Pinne halten. Irgendwann wollte ich dann alleine segeln und habe dann mit neun Jahren einen Kurs im Havel-Club gemacht. Mit den ersten Regatten wuchs schnell mein Ehrgeiz und ich erkannte, dass ein Training unter der Woche notwendig ist, um dann am Wochenende erfolgreich zu sein. Also wechselte ich zum Verein Seglerhaus am Wannsee.
Leidenschaft prägt: Haben Sie denn noch Freunde, die nicht segeln? Natürlich habe ich viele Freunde, die auch segeln und die ich auch über diesen Weg kennen gelernt habe. Freunde, die nicht segeln, habe ich aber auch.
Die meisten Menschen verstehen unter Segeln auch einen geselligen Sport; Sie sitzen aber immer alleine in Ihrem 4,23 Meter langen Boot. Finden Sie das gut? Ja, das Bild vom gemütlichen Kaffeesegler vermittelten meine Lehrer früher auch immer. Alleine zu segeln, ist aber trotzdem ein Teamsport. Erfolgreich ist man nämlich nur, wenn man mit seinem Team und insbesondere mit seinem Trainer gut zusammenarbeitet. Und zusätzlich sind wir viel in Trainingsgruppen national aber auch international unterwegs. Da genieße ich es richtig, tagsüber ein paar Stunden „alleine“ auf meinem Boot zu sein.
Jetzt schwärmen Sie mal, was ist denn so großartig am Segeln? Segeln an sich ist ein toller Sport, egal auf welchem Level. Man ist draußen an der frischen Luft und kämpft gegen die Elemente der Natur. Mich persönlich reizt der Wettkampf mit anderen, weil man unter körperlicher Höchstleistung auch permanent Entscheidungen treffen muss. Wenn man viele richtige Entscheidungen treffen konnte, landet man in der Regel vorne. Dabei ist jede Situation letztendlich einmalig – auf dem Wasser ist es einfach zu komplex mit Wind, Wellen, Strömungen und den anderen Booten. Außerdem lernt man unglaublich viele nette Menschen und auch wirklich schöne Orte kennen.
Zugegeben, aber teuer ist der Sport ja auch: Boot, Ausrüstung, Vereinsbeiträge, Liegeplatz, das von den anderen erwartete Kaltgetränk in der Club-Gastronomie. Ist Segeln ein Sport für Jede und Jeden? Jeder kann segeln, der Interesse hat. Am Anfang braucht man nicht viel, außer einen Bekannten, der noch nach Mitseglern sucht. Es ist natürlich leichter, wenn man in eine Segelfamilie geboren wird und sich von Anfang an auf dem Wasser zu Hause fühlt. Letztendlich ist es aber egal, ob man eine super wetterfeste Hochseesegeljacke oder eine normale Regenjacke anhat. Akzeptiert wird man so oder so.
2023 werden in Berlin die Special Olympics ausgerichtet, auf dem Wannsee finden die Segelwettbewerbe statt, Ihr Verein wird der Segel-Stützpunkt. Tut der Segelsport genug, um Menschen mit Beeinträchtigungen gleichberechtigt den Zugang zu ermöglichen? Grundsätzlich ist ein Hafen ja ein ebenerdiger Ort der Begegnungen und ich treffe unterwegs auch auf viele moderne Steganlagen, die barrierefrei sind. Das ist schon mal der richtige Weg. Außerdem gibt es ein paar hochinteressante Bootsklassen: Zum Beispiel die 2.4mR, bei der Menschen mit und ohne Beeinträchtigung gegeneinander antreten können und jeder das Boot an seine individuellen Bedürfnisse anpasst. Eine bessere Integration kann ich mir nicht vorstellen. Es ist daher sehr schade, dass Segeln aus den Paralympischen Spielen rausgestrichen wurde und ich würde mich freuen, wenn sich das 2028 wieder ändert. Vorher werde ich die Special Olympics beobachten.
Noch einmal zu Ihren Zukunftsplänen: Wann werden Sie denn vom Segelsport als Profi leben können? Oder ist es schon so weit? Das ist eine gute Frage. Wer Interesse hat, mich, eine ehrgeizige und junge Sportlerin, auf meiner Reise nach Paris zu unterstützen, kann sich gerne bei mir melden. Segeln auf internationalen Wettkämpfen ist nämlich leider nicht preiswert. Aber ich hoffe, noch weitere Partnerschaften aufbauen zu können und dann erfolgreich in Marseille anzukommen. Vom Segeln tatsächlich zu leben, ist gar nicht mein Ziel. Das gelingt in Deutschland auch nur einer Handvoll Personen. Nach meiner Leistungssportkarriere möchte ich im medizinisch-technischen Bereich arbeiten und das Segeln weiter als Hobby betreiben.
Letzte Frage – und die Antwort kann sich auch auf das Land beziehen: Wo schalten Sie in Steglitz-Zehlendorf am liebsten ab? Der Wannsee ist tatsächlich mein Lieblingsort in Steglitz-Zehlendorf. Auf dem Wasser, gerne auch auf einem größeren Boot, einfach dahin zu gleiten, ist einfach ein schönes Gefühl. Ansonsten gehe ich auch gerne spazieren und folge der Uferpromade vom Flensburger Löwen Richtung Pfaueninsel.
- Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: boris.buchholz@tagesspiegel.de