Nachbarschaft

Veröffentlicht am 21.07.2022 von Boris Buchholz

Die Wohnstraßen rund um den Kamenzer Damm sind ihr Revier: Seit Februar ist Nele Petzold Gebietskoordinatorin und mobile Stadtteilarbeiterin in der Lankwitzer Großsiedlung. Das Ziel: Die Nachbarschaft soll vernetzt und unterstützt, das Quartier aufgewertet werden. Die Politikwissenschaftlerin beendet zur Zeit ihren Master in Sozial- und Kulturanthropologie, sie wohnt in Friedenau. Was die Aufgaben der 27-Jährigen bei der „Gebietskoordination Kamenzer Damm“ sind, erklärt sie im Interview.

Frau Petzold, heute eröffnet in Lankwitz das „Strand und Plansch“. Was ist das? Das „Strand und Plansch“ ist ein circa 50 Quadratmeter großer aufgeschütteter Strand mit fünf verschieden großen Planschbecken inmitten der Siedlung am Kamenzer Damm. Es ist wie ein kleines Freibad vor der eigenen Haustür. Dabei möchten wir ein bisschen Urlaubsstimmung, Erholung und Abkühlung für die Menschen im Kiez anbieten. Zu Strand und Plansch sind alle eingeladen, die entweder im Sand buddeln, sich im Schwimmbecken abkühlen wollen oder nur ihre Füße reinhalten möchten. Es ist natürlich auch ein toller Ort, um einfach nur etwas Kaltes zu trinken und sich mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern, Freundinnen und Freunden und Nachbarinnen und Nachbarn auszutauschen und zu treffen. Strand und Plansch ist täglich vom 21. Juli bis zum 3. August geöffnet. Betreut wird der Strand von Hauptamtlichen sowie von Ehrenamtlichen aus dem Gebiet.

Warum gehört es zur Aufgabe der Gebietskoordination, einen Ort zum sommerlichen Chillen zu schaffen? Das Schöne ist, dass es ein Ort des sommerlichen Chillens ist, aber gleichzeitig noch sehr viel mehr. Es ist Naherholung, Begegnungsort und Sommerurlaub alles zusammen. Da die Nachbarschaft zusammenkommt, wird auch das nachbarschaftliche Miteinander gestärkt, genauso wie ein Gefühl von Gemeinschaft. Wir freuen uns, dass sich viele Ehrenamtliche aus der Siedlung beteiligen und bei dem Projekt mitwirken. Auch das stärkt den Zusammenhalt untereinander und fördert soziales Engagement.

Sie erwähnten gerade, dass sich die Nachbarschaft einbringt und Gehör findet: Was wollen die Menschen zwischen Kamenzer Damm und Belß- und Wichurastraße denn? Von den Menschen, mit denen wir in Kontakt sind, wissen wir, dass sie sich mehr Begegnungsorte wünschen. Orte, an denen man sich auch wirklich mit seinen Nachbarinnen und Nachbarn mal treffen und sich aufhalten kann. Außerdem werden mehr Kulturangebote gewünscht, sowie mehr Angebote für Familien und Kinder. Zudem gibt es ein großes Interesse an ökologischen Themen. Oft kann man diese Wünsche auch gut in Projekten miteinander verknüpfen. Wie zum Beispiel in unserem mit Anwohnenden gebauten Nachbarschaftsgarten: Er ist nicht nur ein Ort zum Gärtnern, sondern mittlerweile auch ein Treffpunkt und definitiv auch ein Wohlfühlort. Gemeinschaftlich wurde dafür ein jahrzehntelang unbenutzter Fußballkäfig umgestaltet. Die Idee für den Nachbarschaftsgarten kam direkt von einem Anwohner. Solche kollektiv durchgeführten Aktionen und die direkte Umgestaltung der Siedlung verbindet die Menschen.

Warum ist die Arbeit der Gebietskoordination wichtig? In meinen Augen bietet die Arbeit der Gebietskoordination das perfekte Zwischenmaß von „vor Ort persönlich mit den Menschen sprechen“ und „wir sind gut vernetzt mit Akteuren und dem Bezirk“. Ich sehe die Arbeit als eine Schnittstelle zwischen der individuellen Bürger-Ebene und der institutionellen Ebene. Durch unser Budget und unseren Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen können wir die Bedürfnisse und Wünsche der Anwohnerinnen und Anwohner oft in etwas Praktisches umwandeln. So wird die Siedlung gestärkt und das soziale Leben gestaltet – und zwar so, wie es sich die Nachbarschaft in ihrem Wohnraum vorstellt.

Es gab ja schon einige Projekte: Der „Dunkle Weg“ von der Ludwig-Bechstein-Grundschule zur Malteser Straße leuchtet, es gab ein Fest im Gemeindepark. Beobachten Sie mehr Miteinander im Kiez? Durch die vielen Projekte, die sich durch die ganze Siedlung ziehen, wird unsere Arbeit und die damit verbundenen Möglichkeiten immer sichtbarer. Die Aktion „Licht an! Es wird bunt in Lankwitz“, die vom Nachbarschaftshaus Wannseebahn initiiert und durchgeführt wurde, hat für viel Aufmerksamkeit und für eine positive Resonanz gesorgt. Die bereits bestehenden Projekte regen zum Nachdenken über die Siedlung an. Diverse Projekte bieten die Möglichkeit, dass sich auch ganz neue Leute miteinbringen, aktiv werden und die Menschen von nebenan kennenlernen.

Die grundlegenden Probleme im Kiez – viele Menschen leben in den Wohnblocks auf engem Raum, Angebote für Freizeit, Kultur und Jugend gibt es kaum – sind durch die Gebietskoordination kaum zu beheben. Gleicht Ihre Aufgabe nicht einer Sisyphos-Aufgabe? Ich sehe und empfinde die Arbeit keineswegs als Sisyphos-Aufgabe. Auch schon vor der Gebietskoordination gab es Akteure und Institutionen, die in der Siedlung wirkten und aktiv waren und immer noch sind. Jeder auf seine Art und Weise und alle mit einem etwas anderen Schwerpunkt. Die Gebietskoordination knüpft an die bereits bestehenden sozialen Strukturen an und erweitert die Angebote. Die Siedlung am Kamenzer Damm hat definitiv viele Bedarfe oder Angebotslücken, was die von Ihnen genannten Bereichen angeht. Aber dennoch passiert schon viel, die Gebietskoordination unterstützt und vernetzt da sehr viel miteinander. Auch arbeite ich fast nie allein, sondern bin in sehr engem Kontakt mit anderen sozialen Trägern wie zum Beispiel dem Nachbarschaftshaus Wannseebahn, die auch im Rahmen des Programms „Stärkung Berliner Großsiedlungen“ mit sozialkulturellen Projekten am Kamenzer Damm aktiv sind.

Müssen Sie und all die Mitarbeitenden der anderen Projekte zur Quartiersentwicklung in der Stadt die Fehler der Stadtentwicklung vergangener Zeiten ausbessern? Die Veränderungen und Projekte, die sich die Menschen wünschen, sind sehr zukunftsorientiert. Dieser Motivation und Einstellung möchte ich mich gern anschließen. Ich konzentriere mich nicht darauf, ob wir etwas ausbessern müssen, sondern viel mehr darauf, wie wir die zukünftigen Pläne, die für die Siedlung anstehen, gerecht und lebenswert meistern und mitgestalten können. Außerdem hoffe ich, dass jetzt die betreffenden Bezirksstadträte uns genug Aufmerksamkeit und Gehör schenken, sodass die Anliegen und Bedenken, die es zum Teil von den Anwohnerinnen und Anwohnern gibt, mitgedacht und beachtet werden.

Wie ist denn die Zusammenarbeit mit den großen Vermietern am Kamenzer Damm wie Vonovia, Degewo oder der Berliner Baugenossenschaft? Unsere Arbeit kann nur in Zusammenarbeit wirklich effektiv sein. Vonovia hat uns zum Beispiel einen alten Fußballkäfig zur freien Verfügung gestellt, in dem der Nachbarschaftsgarten ist und wo auch „Strand und Plansch“ stattfindet. Gleichzeitig ist uns auch bewusst, dass alle Wohnungsunternehmen eine große Verantwortung für den Wohnraum der Menschen haben. Diese Verantwortung soll nicht durch unsere Projekte geschmälert werden.

Und wie läuft es mit dem Bezirksamt? Unser Ansprechpartner im Bezirksamt ist die sozialraumorientierte Planungskoordination (SPK), wir arbeiten regelmäßig zusammen. Wir freuen uns darauf, dass diese Kooperation in Zukunft hoffentlich noch enger wird; die SPK befindet sich aktuell noch im Auf- und Ausbau.

Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie an Ihre Arbeit rund um den Kamenzer Damm denken? Das sind drei Dinge: Erstens mit den Menschen weiterzuarbeiten, die sich bereits jetzt wahnsinnig aktiv für ihre Siedlung engagieren. Zweitens Menschen, die uns noch gar nicht kennen, von all den Möglichkeiten, Aktivitäten und Projekten zum ersten Mal zu erzählen. Und als drittes, der Moment, wenn ein Wunsch erfüllt oder ein Anliegen umgesetzt ist und ein konkretes und sichtbares Ergebnis vor einem steht.

Sie scheinen von den Lankwitzern ja sehr beeindruckt zu sein… Beeindruckend und inspirierend sind die Menschen auf jeden Fall. Einige Aktive trifft man bei jeder einzelnen Veranstaltung oder Versammlung. Es ist unglaublich schön zu sehen, wie engagiert und hingebungsvoll sich einige Menschen für ihre Siedlung mit ihrer Zeit, Energie und Kraft einsetzten. Diese engen Kontakte machen unsere Arbeit besonders schön und vertraut. Dann macht man einen gemeinsamen Kiezspaziergang, teilt das erste geerntete Radieschen aus dem Nachbarschaftsgarten oder spielt zusammen Gummitwist.

Oder man geht gemeinsam ins Kino: Das Open-Air-Kino vor der Paul-Schneider-Gemeinde ist gestartet. Wie gut besucht war denn die Premiere? Die Premiere des Open-Air-Kinos musste zweigeteilt werden, weil wir am ersten Termin aufgrund von Sturm und angesagtem Regen nur die Band „Chameleon Jazz Trio“ spielen lassen konnten. 60 Besucherinnen und Besucher waren da, mit Picknickdecken und bester Laune. Bei der eigentlichen Filmpremiere am 15. Juli, es wurde „Tschick“ gezeigt, kamen circa 40 Anwohnende. Es war schön zu sehen, wie sich kleine Gruppen verabredet haben und gemeinsam zu den Veranstaltungen kamen. Initiiert wurde das Freilichtkino vom Nachbarschaftshaus Wannseebahn, die evangelische Paul-Schneider-Gemeinde und die Gebietskoordination halfen mit. Am 12. August zeigen wir den nächsten Film; ich weiß aber noch nicht, welcher es sein wird.

Was ist sonst in den kommenden Monaten auf dem Programm? Das Gemeindeparkfest steht wieder vor der Tür, worauf ich mich schon sehr freue. Es findet am Samstag, 27. August, von 14 bis 18 Uhr statt. Außerdem planen wir für den Herbst, an der Wedellstraße eine Wildblumenwiese anzulegen. Die Wiese soll dazu dienen, die Insektenvielfalt zu fördern. Und auch hier sollen sie die Menschen der Siedlung begegnen: Die Wiese muss regelmäßig gegossen und betreut werden, dafür gibt es bereits Freiwillige, die sich engagieren möchten. Des Weiteren sind regelmäßige Quartierstreffen und Musikveranstaltungen geplant (mehr zu den Aktivitäten hier).

Wenn Ihnen in der Mudrastraße eine Wohnung im siebten Stock angeboten werden würde, würden Sie nach Lankwitz ziehen? Tatsächlich habe ich darüber schon einige Male nachgedacht. Ich arbeite bereits jetzt sehr eng mit den Menschen zusammen. Um eine gewisse und gesunde Distanz zu behalten, würde ich keine Wohnung in der Mudrastraße annehmen.

  • Foto: Stadtteilzentrum Steglitz
  • Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: boris.buchholz@tagesspiegel.de