Nachbarschaft

Veröffentlicht am 27.04.2023 von Boris Buchholz

Davide Chisari, 43, schwärmt von den Blutorangen seiner Heimat: Seit sechs Jahren betreibt der gebürtige Sizilianer – „ich bin unter dem Ätna geboren“ – zusammen mit seiner Lebensgefährtin Jana Oehmke, 38, ein Streetfood-Unternehmen. Der Wagen von „Daviduzzu Sicilian Streetfood“, das „Daviduzzu“ bedeutet „kleiner Davide“, steht regelmäßig auf dem Wochenmarkt am Karl-August-Platz in der Nähe der Wilmersdorfer Straße. Seit vergangenem April hat das Paar aus Lichterfelde auch in die Eis-Wirtschaft Fuß gefasst: Ihnen gehört das Eiscafé „La Pallina“ am S-Bahnhof Botanischer Garten. Früher befand sich hier die Eisdiele „Lauter Eis“ von Katharina Laute; im Frühjahr 2022 verkaufte die Vorbesitzerin ihren Laden. Im Interview erläutern der Koch und die Hotelfachfrau und Wirtschaftswissenschaftlerin, was es mit „La Pallina“ auf sich hat.

Frau Oehmke, Herr Chisari, was bedeutet „La Pallina“?
Jana Oehmke:
Die „pallina di gelato“ ist die „Eiskugel“.

Wie kam es, dass Sie die Nachfolge von „Lauter Eis“ angetreten sind?
Jana Oehmke:
Wir hatten Katharina Laute und ihren Laden kennengelernt und gehört, dass sie verkaufen wollte. Eigentlich waren wir gar nicht auf der Suche nach einem Eisladen, spielten aber schon länger mit dem Gedanken einen Laden mit festem Standort zu betreiben. Da wir uns hier gleich zu Hause fühlten, beschlossen wir, den Treffpunkt für den Kiez zu erhalten – und dann ging es relativ schnell, die Saison hatte ja schon gestartet.

Im Kiez wurde sehr bedauert, dass die alte Eisdiele schließen musste.
Jana Oehmke:
Deshalb war es uns wichtig, schnell zu öffnen: Kaum hatten wir alles geregelt und die Schlüssel in den Händen, ging es auch schon los. Die Leute sollten sehen, dass doch nicht geschlossen wird, dass es weiter Eis gibt. Die Schließung war zu gut in der Nachbarschaft kommuniziert worden, auch durch Ihren Artikel, dass uns dieses Thema leider das ganze Jahr begleitete. Noch im Dezember kamen Menschen in den Laden und fragten: „Wann schließen Sie denn?“ Das erste Jahr war deshalb für uns etwas schwieriger, unser Start verlief nicht optimal.

Die Nachbarschaft nimmt Anteil am Schicksal ihres Eisladens…
Jana Oehmke:
Und das hat uns sehr beeindruckt und begeistert. Es steckt viel Dynamik im Kiez, die Leute wollen einen Treffpunkt und wollen sich bei Gastgebern willkommen fühlen. Diesen Treffpunkt haben wir erhalten.
Davide Chisari: Die Resonanz auf unseren Laden war sehr positiv. Die alten und die neuen Kunden sind zufrieden – und wir auch.

Italien und Eis gehören für mich zusammen: Ist es im Eis-Geschäft ein Vorteil, dass Sie aus Italien stammen?
Davide Chisari:
Aber ja. Wir richten unser Angebot diese Saison noch stärker auf italienisches Eis aus. Es gibt auch viele sizilianische Sorten, viele der Hauptzutaten kommen direkt aus Italien.
Jana Oehmke: Gerade ist noch Blutorangen-Saison, also haben wir Blutorangen-Sorbet. Die „Cassata siciliana“ ist in Sizilien nicht wegzudenken: Das ist eine Eissorte mit Ziegenricotta, kandierten Früchten und Schokolade.

Ein Nachteil des Standorts in der Hortensienstraße ist, dass sich die Baustelle der Moltkebrücke direkt vor dem Eis-Café befindet. Warum können Sie besser mit dem Lärm und dem Schmutz der Bauarbeiten leben als Ihre Vorgängerin?
Jana Oehmke:
Können wir nicht.
Davide Chisari: Wir müssen akzeptieren, dass die Straße, dass die Brücke Hilfe braucht und neu gemacht werden muss. Das ist das normale Leben, wie bei einem Menschen, der einen Arzt benötigt. Ja, die Baustelle ist manchmal richtig laut. Aber viele unserer Gäste kommen aus dem Kiez, die ertragen die Baustelle schon lange – und ein Eis oder ein Cappuccino machen den Tag einfach schöner.
Jana Oehmke: Allerdings trennt die Baustelle den Kiez. Immer mal wieder kommt jemand von der Seite am Gardeschützenweg doch zu uns und sagt, dass er noch gar nicht bemerkt habe, dass es uns gibt. Ohne Baustelle hätten wir mehr Gäste.

Reichen Ihnen die Kunden, die bisher kommen, aus?
Jana Oehmke:
Nein. Aber wir sind ja noch am Anfang. Wenn die Baustelle im kommenden Jahr weg ist, wird sich herumgesprochen haben, dass die Eisdiele noch da ist. Im Gespräch ist auch, den Platz vor dem Bahnhof bei uns direkt gegenüber zu verschönern und zum Beispiel Spielgeräte für Kinder aufzustellen. Das wird direkte Auswirkungen auf die hier anliegenden Geschäfte haben. Die Menschen werden merken, dass ihr Treffpunkt noch da ist und wir ihn sogar ausgebaut haben.

Was meinen Sie mit „ausgebaut“?
Jana Oehmke:
Wir haben nicht nur Eis. Wir bieten herzhafte und süße Waffeln, wir haben Focaccia und Saltimbocca, also herzhafte Snacks und Gerichte. Wir servieren Kaffee genauso wie ein Bier, ein Erfrischungsgetränk oder ein Glas Wein.
Davide Chisari: Wir heißen die ganze Familie willkommen: Der eine will ein Eis, der andere etwas Gutes essen, der dritte braucht ein Bier – und unser Craft-Beer „729“ stammt aus Sizilien. Im Jahr 729 wurde die sizilianische Stadt Catania gegründet.
Jana Oehmke: Vielleicht war man zusammen spazieren, jetzt will man mit der ganzen Familie einkehren. Bei uns kann man das machen, ohne dass jeder ein Eis essen muss.

Anfang der Woche schien die Sonne, heute soll es wieder regnen. Wie wichtig ist das Wetter für Eisläden?
Davide Chisari:
Wenn es zu viel regnet, dann ist es besser, den Laden nur vier Tage in der Woche zu öffnen. Das spart Strom und auch unsere Energien. Das Sprichwort „Der April macht, was er will“ kenne ich aus Sizilien nicht.
Jana Oehmke: Das vergangene Wochenende war herrlich, warm und sonnig. Wir hatten sehr viele Gäste, es war das erste gute Wochenende der Saison. Das brauchen wir, so dürfte es gerne weitergehen.

Es könnte wieder einen heißen, trockenen Sommer geben, da sind gute Aussichten für Sie…
Jana Oehmke:
Wenn es zu heiß ist, kommt auch keiner. Auch an Regentagen wird im Sommer kaum Eis gegessen, obwohl es warm ist. Im Herbst oder Frühling sind die Kunden da etwas flexibler.

Ich habe an der Tür gesehen, dass Sie nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern suchen.
Jana Oehmke:
Ja, wir haben zurzeit sechs Angestellte, alle auf Mini-Job-Basis. Da wir beide Unternehmen, Streetfood und Eisladen, parallel betreiben, brauchen wir noch mehr Hilfe. Außerdem steckt Davide voller Ideen, was man noch alles im Laden machen könnte. Themenabende zum Beispiel oder Lesungen…

Was treibt sie an, Eis zu machen?
Davide Chisari:
Ich mache alle Sorten vom Herzen und mit Freude. Ich mache mir Gedanken, ich kreiere eine neue Sorte, ich probiere und schmecke ab. Wenn dann die Leute die neue Sorte mögen, ist das großartig. Das treibt mich an, am nächsten Morgen aufzustehen und eine weitere neue Sorte zuzubereiten. Übrigens essen die Italiener süßeres Eis als die Deutschen; hier gebe ich weniger Zucker hinzu, das verkauft sich besser. Ich liebe den direkten Kontakt mit den Gästen. Gastronomie ist mein Leben, das ist meine Welt!
Jana Oehmke: Mir macht es großen Spaß, jede Woche neue Kuchen zu backen.
Davide Chisari: Und man meisten Spaß macht es mir, wenn wir beide zusammen sind.

Wie teuer ist eine Kugel bei Ihnen?
Jana Oehmke:
Egal welche Sorte, sie kostet noch 1,80 Euro. Das ist aber bei den gestiegenen Preisen für Energie, Rohstoffe und Transport sowie den hohen Lohnkosten schwierig zu halten.

Was sind denn Ihre nächsten Pläne?
Jana Oehmke: Davide will Granita anbieten, das isst man in Sizilien vom Frühstück bis in den Nachmittag.
Davide Chisari: Ja, Granita. In Sizilien ist es schon früh heiß, die Sonne brennt. Granita ist ein cremiges Eis auf Wasserbasis mit Mandeln, Zitrone, Kaffee oder Erdbeere.
Jana Oehmke: Granita ist flüssiger als normales Eis, man löffelt es oder – noch besser – tunkt ein Stück Brioche hinein. Es ist sehr erfrischend. Wenn es morgens schon 35 Grad heiß ist, hat man keinen Hunger; dann ist ein Frühstück auf Wasserbasis und mit der sättigenden Brioche optimal.
Davide Chisari: Ich hoffe, dass wir Granita in zwei, drei Wochen anbieten können – wenn die Sonne scheint.

Ich kriege Lust auf Urlaub. Welche sizilianischen Eissorten können Sie denn aktuell empfehlen?
Davide Chisari: Alle. Natürlich „Cassata siciliana“ – und die „Zuppa inglese“. Ich mische dafür Vanille-Creme mit Safran und dem roten Alchermes-Likör; natürlich ist dieses Eis, es ist herrlich gelb, nur etwas für Erwachsene. Fest im Sortiment ist zum Beispiel unser Eis aus Zartbitterschokolade aus Modica, sie ist sogar vegan. Wir haben jeden Tag mindestens 20 Sorten im Angebot, auch vegane.
Jana Oehmke: Ein anderer Favorit ist „Zabaione Rock“: Der Kaffee im Zabaione-Eis rockt, daher der Name!

  • Öffnungszeiten: Zurzeit Donnerstag bis Sonntag, 12 bis 18.30 Uhr. Im Laufe der Saison werden die Öffnungszeiten und -tage ausgeweitet. S-Bahnhof Botanischer Garten, Hortensienstraße 12b.
  • Fotos: Boris Buchholz
  • Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: boris.buchholz@tagesspiegel.de