Nachbarschaft
Veröffentlicht am 18.04.2024 von Boris Buchholz

Conrad Wilitzki ist der Sprecher des Netzwerks Tolerantes Teltow-Kleinmachnow-Stahnsdorf. Die Stadt Teltow zeichnete die Bürger-Initiative jüngst mit dem Ehrenamtspreis 2024 aus. Conrad Wilitzki (39) wuchs in Teltow auf und lebt in Lankwitz, er arbeitet als Referent beim Deutschen Feuerwehrband.
Herr Wilitzki, vergangenen Samstag luden die Steglitz-Zehlendorfer „Omas gegen rechts“ zu einer Veranstaltung zum Thema „Rechte Bedrohung“. Haben rechtsextreme Bedrohungen im Bezirk und in den Nachbarstädten zugenommen?
Ich würde sagen, ja. In Steglitz-Zehlendorf treten zwar obskure Randgruppen wie die Kleinpartei Büso nicht mehr öffentlich auf. Doch mit der „Staatsreparatur“ ist in Lichterfelde eine AfD-Struktur entstanden, die das vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte „Institut für Staatspolitik“ nach Berlin geholt hat. Deshalb liegt der Fokus der Öffentlichkeit völlig zu Recht auf dieser dauerhaften Propagandamaschine im Berliner Südwesten. Allerdings: Je mehr sich die Bevölkerung gegen diese Struktur zu wehren beginnt, desto offensiver scheint diese Gruppe vorzugehen.
Wie erklären Sie das?
Die AfD gewinnt bundesweit an gesellschaftlichen Rückhalt und tritt dann entsprechend auch selbstsicher auf. Im Frühjahr hat dieses Selbstbild durch die Correctiv-Veröffentlichungen über die Konferenz in Potsdam einen Knacks bekommen. Durch die vielen Demonstrationen wurde deutlich, dass die extremen Rechten eben nicht das Volk vertreten. Diese Leute haben Angst, dass sich ihr scheinbarer Erfolg wieder in Luft auflöst. Dass sie aus ihrem Traum aufwachen und merken, sie sind nach wie vor eine unwichtige Minderheit. Das wollen sie auf jeden Fall verhindern.
Wie sieht die Situation in den Nachbargemeinden aus?
Hier steht Teltow im Fokus. Denn dort gibt es aktuell eine neue Neonazi-Gruppierung, die wohl dem Umfeld des Fußballvereins Dynamo Dresden zuzurechnen ist. Die sind in Fußballvereinen in Teltow, Kleinmachnow, Großbeeren und Berlin aktiv. Das sind Leute, die Hakenkreuze sprühen, Neonazi-Parolen schmieren, ganz viel rumstickern. Wir gehen davon aus, dass 10 bis 20 Personen zu der Gruppe gehören, das sind so 15- bis 25-Jährige.
Am Montag wurde vor dem Teltower Rathaus protestiert. Worum ging es da?
Die Teltower AfD hatte drei AfD-Bundestagsabgeordnete zu einem sogenannten Bürgerdialog eingeladen. Das Netzwerk Tolerantes TKS brachte über 150 Personen auf dem Marktplatz zusammen. Es gab Reden von demokratischen Parteien, Musik, es wurde gegrillt. Es war ein bunter, fröhlicher Protest. Auch viele Berlinerinnen und Berliner waren gekommen, um die Teltower zu unterstützen. Auf der Facebook-Seite der AfD sind Fotos von der Veranstaltung im Rathaus gepostet, da waren so 30 bis 40 Leute, um den Abgeordneten René Springer, Norbert Kleinwächter und Götz Frömming zuzuhören.
Was geschah vor dem Rathaus?
Die Demonstration fand zwischen 17.30 und 20 Uhr statt. Schon während der Kundgebung baute sich auf der anderen Straßenseite ein Haufen junger Männer auf – das war die neue Neonazi-Gruppe. Ständig versuchten sie, die Veranstaltung zu fotografieren und zu filmen. Es ging ganz klar um die Gesichter der Demonstranten: Das ist der Versuch, nicht nur Menschen zu bedrohen, sondern sie auch wiedererkennen zu können. Laut Polizei ist es deren Recht, zu filmen; es sei ja eine öffentliche Veranstaltung. Als sich unsere Kundgebung langsam auflöste, kamen diese Leute immer näher. Die Polizei griff ein und stoppte sie. Das sind gewaltbereite junge Männer; uns wurde mit Schlägen gedroht. Die Polizei stand daneben und hat die Herrschaften weitestgehend abgeriegelt, aber auch nicht verhaftet. Wir empfinden die Situation als sehr gefährlich.
Wann ist diese neue Gruppe zum ersten Mal in Erscheinung getreten?
Erst in diesem Frühjahr. Als in Kleinmachnow 1500 Menschen bunt und kreativ für die Demokratie auf die Straße gingen, tauchte dieses Grüppchen zum ersten Mal auf. Dann war sie auch bei der Kundgebung in Teltow zugegen. Beide Male wurde weniger versucht zu stören, als alles zu filmen. Nazi-Propaganda haben wir schon im Dezember und Januar vermehrt festgestellt. Hier geht es wirklich nicht um kleine Fische, sondern durchaus um das Sprühen von verfassungsfeindlichen Symbolen und Parolen. Es sind Straftaten, die von der Polizei verfolgt werden müssen.
Zurück nach Steglitz-Zehlendorf. Wie schätzen Sie aktuell die Rolle der Burschenschaft Gothia ein?
Es ist gut, dass sie in den letzten Monaten tatsächlich öffentlich als Problem benannt worden ist; Zeitungen und Zeitschriften haben über sie berichtet, der Tagesspiegel ja auch.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen der ultrarechten Burschenschaft und der „Staatsreparatur“?
Die „Staatsreparatur“ konnte nur durch die Gothia entstehen. Im Zehlendorfer Burschenschaftshaus fanden schon vor vielen Jahren Veranstaltungen vom „Institut für Staatspolitik“ statt. Das hat man dann von AfD-Seite kopiert. Während die Gothia einen sehr elitären geschlossenen Rahmen bietet, wurde das Propaganda-Zentrum in Lichterfelde-Ost richtig groß und öffentlich aufgezogen.

Conrad Wilitzki bei einer Veranstaltung des Kirchenkreises Steglitz.
Andreas Wild, der Kopf hinter der „Staatsreparatur“ hat angekündigt, keine Veranstaltungen mehr mit dem „Institut für Staatspolitik“ in Lichterfelde durchführen zu wollen.
Das ist eine rein strategische Aussage.
Die AfD im Bezirk scheint gespalten zu sein: Die einen halten zum Ex-AfD-Rechtsaußen Andreas Wild, die anderen zum Bezirksvorsitzenden Volker Graffstädt.
Die bekämpfen sich nicht. Hier geht es nur um Formalitäten, nicht um Inhalte. Die Frage ist nur, ob sie mehr bürgerlich oder radikaler auftreten. Ihre Inhalte sind die gleichen. Die Zielrichtungen sind diese rassistischen Deportationsfantasien, die Unterdrückung von Minderheiten und auch die Abschaffung von demokratischen Freiheiten. Experten und Engagierte sagen es schon lange: Die AfD ist die neue NPD. Die meinen das ernst, was sie in Partei- und Wahlprogrammen schreiben.
In unmittelbarer Nähe hat sich in Lichterfelde-Ost die Initiative „Lichterfelde weltoffen“ neu gegründet. Wie schätzen Sie das ein?
Das ist eine gute Entwicklung. Die Aktiven stehen jeden Samstag auf dem Kranoldplatz und sprechen dort mit den Passanten. Es ist schön, dass es immer mehr Bürgerinnen und Bürger gibt, auch Anwohner, die sich tatsächlich öffentlich gegen die AfD-Hetze aussprechen. Denn hier geht es darum, die demokratischen Freiheiten nicht nur für Minderheiten, sondern für uns alle abzuschaffen.
Wie kann die AfD effektiv bekämpft werden?
Auf jeden Fall durch eine bessere, sozialere Politik. Denn die AfD bringt den Menschen permanent bei, dass es für alle weniger gibt. Gäbe es nicht auch noch die Flüchtlinge, dann wäre alles besser verteilt, wird gesagt. Sie versprechen nicht unbedingt, dass es den Menschen besser gehen wird. Aber sie suggerieren: Wenn man viele Menschen ausschließt, dann ist für alle wieder genug da. Und tatsächlich sind Lebensmittel und Mieten ja teurer geworden, es gibt Unsicherheiten in den Jobs, Krisen und Kriege. Die Gesellschaft befindet sich im Stresszustand.
Was kann man als Einzelner tun?
Jeder einzelne kann rechtsextreme, beleidigende und rassistische Propaganda aus dem öffentlichen Stadtbild und in den sozialen Medien entfernen. Man kann deutlich machen, dass man in seinen Gruppen diese Propaganda nicht duldet und diese „lustigen“ Witze oder Verschwörungstheorien nicht weiter verbreitet. Und man kann sich mit den Menschen solidarisieren, die verbal oder körperlich angegriffen werden.
- Tendenz weit nach rechts außen: Schüler nimmt die AfD im Südwesten Berlins unter der Lupe. Der Bezirksverband Steglitz-Zehlendorf gehört zum rechten Rand der AfD. Doch wer steht für die Partei im Bezirk? Ein 17-jähriger Schüler durchforstete Posts, Artikel und Videos. Hier geht es zum Gastbeitrag.
- Fotos: Netzwerks Tolerantes Teltow-Kleinmachnow-Stahnsdorf (2) / Kirchenkreis Steglitz