Intro
von Sigrid Kneist
Veröffentlicht am 26.02.2019
am vergangenen Mittwoch war wieder Bezirksverordnetenversammlung. Die Tagesordnung war lang. Zweieinhalb Seiten umfasste die Liste der Anfragen, Anträge und Mitteilungen zur Kenntnisnahme. Die Sitzung begann wie stets um 17 Uhr. Aber erst nach sechseinhalb Stunden wurde der erste inhaltliche Beschluss gefasst – nämlich jener zur Fällung der Bäume an der Urania (siehe Meldung in der Rubrik Namen und Neues). Es folgte noch ein zweiter. Vorher gab’s vor allem lange Debatten um die beiden Dauerbrennerthemen in der BVV, Potse und Damwildgehege im Franckepark. Und die zogen sich hin. Inhaltlich spannend war das nicht mehr, die Luft schien raus, das bestätigten später auch BVV-Mitglieder. Zu oft hatte man schon darüber debattiert.
Weitere Themen kamen kaum vor: Die meisten Beschlüsse hatte man nämlich schon auf einer Beschlussliste über den Ältestenrat festgelegt, über die ohne Debatte abgestimmt wurde. Kurz vor Mitternacht war diese BVV dann beendet. Kein Mitglied der BVV, mit dem ich geprochen habe, kann sich an eine längere Sitzung erinnern. Im vergangenen November war der Grünen-Verordneten Annabelle Wolfsturm der Kragen geplatzt, als die damalige Sitzung bis 22.30 Uhr dauerte. Sie stellte die Frage nach der Vereinbarkeit von politischem Engagement und Familie. Seitdem gibt es zwei Anträge der Grünen zu dem Thema.
Am gestrigen Montag nahm sich der Ausschuss für die Geschäftsordnung des Themas an. Wahrscheinlich könnte es bald einen gemeinsamen Antrag geben, wie man bauliche Veränderungen erreichen kann, um Kinder besser während der Sitzung zu betreuen. Etwa, indem man ein Stillzimmer sowie ein Spielzimmer einrichtet, für Wickelmöglichkeiten und einen barrierefreien Zugang sorgt. Aber letztlich geht es um die Länge der Sitzung und mehr Effizienz. Bei sechs Fraktionen, die es in dieser Legislaturperiode gibt, ist die Redezeit einfach länger als bei vier oder fünf Fraktionen, die es zuvor gab. SPD und Grüne können sich eine strengere Begrenzung durchaus vorstellen. Für die CDU aber ist es kein Thema, die Zeitkontingente zu kappen. Man wolle die bisherigen Regelungen mit den geltenden Begrenzungen beibehalten. „Naturgemäß haben „Opposition“ und Zählgemeinschaft da unterschiedliche Interessen“, sagt CDU-Fraktionschef Matthias Steuckardt.
Man muss sich klarmachen, dass die Mitarbeit in der BVV vor allem ehrenamtliches Engagement ist; es ist quasi ein Feierabendparlament, während das Berliner Abgeordnetenhaus ein Halbtagsparlament ist. Die Verordneten bekommen lediglich eine Pauschale von monatlich knapp 600 Euro und Sitzungsgeld – 31 Euro pro BVV und 20 Euro pro Ausschuss oder Fraktionssitzung. Ein Babysitter für eine abendfüllende Sitzung kostet auf jeden Fall mehr. Nicht umsonst spannen Wolfsturm und andere Verordnete – zumal wenn sie allein erziehend oder beide Eltern Mitglied der BVV sind – ordentlich die Großeltern zur Betreuung der Kinder mit ein.
Wobei das mit dem Feierabendparlament so eine Sache ist. Die frischgebackene SPD-Fraktionsvorsitzende Marijke Höppner, Mutter eines zweieinhalbjährigen Kindes, etwa berichtet von einem Zeitaufwand von rund 20 Stunden, den sie auch schon bislang in der Woche für die politische Arbeit veranschlagt hat.
Sigrid Kneist arbeitet seit 1990 als Redakteurin in der Berlin-Redaktion des Tagesspiegels. Mitte der neunziger Jahre hätte sie sich nicht vorstellen können, dass sie kurze Zeit später aus dem Kreuzberger Graefekiez nach Mariendorf ziehen und dort bis heute bleiben würde. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihr bitte eine E-Mail an leute-s.kneist@tagesspiegel.de