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von Sigrid Kneist

Veröffentlicht am 15.10.2019

schon am vergangenen Dienstagabend verstörte diese Meldung sehr: In einem Friedenauer Lokal redet ein Holocaust-Leugner bei einer Veranstaltung. Am Mittwoch drauf, nach den Morden und dem Anschlag auf die Synagoge in Halle, ist der Gedanke daran schier unerträglich.

Protest am Breslauer Platz. Am Dienstagabend redete bei den rechtsextremen sogenannten „Dienstagsgesprächen“ der aus der Schweiz stammende Holocaust-Leugner Bernhard Schaub. Er war einst Lehrer an einer Waldorfschule und hält seit Jahren bei Rechtsextremen und Neonazi-Veranstaltungen seine Vorträge. Der Organisator der Dienstagsgespräche, Hans-Ulrich Pieper, kündigte ihn als einen der „besten Volks-Redner“ an. Das Thema: „Deutschland vor der Entscheidung – Von der gesellschaftlichen Dekadenz zur nationalen Erhebung!“ Unter den Teilnehmern waren auch Mitglieder der NPD aus Reinickendorf, die von der Veranstaltung twitterten.

Eine Initiative gegen Rassismus und Anti-Semitismus rief zum Protest in Friedenau. Der SPD-Vorstand in Friedenau schloss sich den Protesten sofort an. Der Bezirksverordnete Orkan Özdemir war dabei und rief noch während der Demo auf Facebook dazu auf, den Protest vor dem Veranstaltungsort zu unterstützen. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) äußerte am Mittwoch ihre Besorgnis darüber, dass der Holocaust-Leugner dort reden konnte.

Hausrecht ausgeübt. Der Inhaber des Café Breslau, Axel Michallik, teilte mir auf meine Anfrage mit, dass seine Mitarbeiter sofort die Veranstaltung abbrachen, als ihnen der politische Hintergrund klar wurde. Sie hätten „alle Anwesenden mit Nachdruck der Polizei des Hauses“ verwiesen. Die Berliner Polizei bestätigte mir am Montag auch, dass an dem Abend gegen 20 Uhr die Gaststätte ihr Hausrecht ausübte; allerdings hätten die Teilnehmer noch Schwierigkeiten beim Bezahlen gemacht. Michallik sagt, er sei von dem Organisator getäuscht worden: Anfang des Jahres habe er ein erstes Gespräch mit jemandem geführt, der sich Hartmann nannte. Dieser wollte in einem etwa dreiwöchentlichen Turnus Veranstaltungen mit rund 40 Personen in einem Raum im ersten Stockwerk veranstalten.

„Auf meine ausdrücklichen Fragen, ob es einen Parteihintergrund gibt, versicherte er mir, ein unabhängiger Wirtschaftskreis zu sein, der sich in diesem Sinne austauscht“, sagt Michallik. „Zu keinem Zeitpunkt erlauben wir Veranstaltungen von AfD- oder NPD-Anhängern und distanzieren uns von jeglicher Art rechter Gesinnung.“ Die von dem Herrn namens Hartmann hinterlegte Telefonnummer führt übrigens genau zu der Anmeldung für die Dienstagsgespräche. Nach Michalliks Angaben war es bereits die dritte Veranstaltung; er selber sei allerdings nie da gewesen. Überwiegend alte, unauffällige Leute seien gekommen. Zu Beginn habe es Getränke gegeben, hätten ihm seine Mitarbeiter gesagt; zum Schluss sei Essen bestellt worden. Was in dem Raum gesprochen wurde, habe man nicht gehört.

Beratung für Gastronomen. Laut der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) sind in den vergangenen Jahren immer wieder Gaststätten von den Rechtsextremen über den Hintergrund der geplanten Veranstaltungen getäuscht worden; dazu zählten den Angaben zufolge beispielsweise der Ratskeller Schmargendorf und das Brauhaus Lemke in Charlottenburg. Die MBR, die vom Land Berlin und dem Bundesfamilienministerium gefördert wird, bietet Vermietern privater und öffentlicher Räume Beratung an. mbr-berlin.de

Lange aktiv. Der Organisator der Dienstagsgespräche, Hans-Ulrich Pieper, ist in der Berliner Politik kein Unbekannter. Bereits Mitte der neunziger Jahre gab es eine ernste Koalitionskrise im damaligen schwarz-roten Senat unter Eberhard Diepgen: Die SPD erwog damals einen Misstrauensantrag gegen den CDU-Innensenator Dieter Heckelmann, da dessen Pressesprecher regelmäßiger Besucher der als rechtsradikal eingestuften Dienstagsgespräche war. „Berlin dürfe sich keinen Innensenator leisten, so die SPD, der einen „alarmierenden Bericht“ der Polizeiführung über Kontakte seines eigenen Pressereferenten mit rechtsradikalen Kreisen ignoriere beziehungsweise in seinem Aktenschrank verschwinden lasse“, hieß es im Mai 1994 in einem Artikel des Tagesspiegels. Zum Knall kam es dann letztlich doch nicht.

Sigrid Kneist arbeitet seit 1990 als Redakteurin in der Berlin-Redaktion des Tagesspiegels. Vor mehr als 20 Jahren hätte sie sich nicht vorstellen können, dass sie wenig später aus dem Kreuzberger Graefekiez nach Mariendorf ziehen und dort bis heute bleiben würde. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihr bitte eine E-Mail an leute-s.kneist@tagesspiegel.de