Intro

von Judith Langowski

Veröffentlicht am 05.11.2019

Beteiligung ist in in Berlin. Letzte Woche schrieb ich Ihnen über den Beteiligungsprozess zu Um- und Neubauplänen in der „Neuen Mitte Tempelhof“. Am Mittwoch letzter Woche dann, als die Bezirksverordneten zu ihrer monatlichen öffentlichen Versammlung im Rathaus Schöneberg zusammen kamen, wurde das Thema Bürger*innenbeteiligung lange diskutiert. Auslöser war die große Anfrage der Fraktion der Grünen, Titel „Bürger*innen-Beteiligung 2.0.?“

Die Anfrage beschäftigte sich mit dem Format der Bürger*innenräte, das seit diesem August in Friedenau und dem Schöneberger Norden existiert. Wir hatten hier und hier darüber berichtet. Das Grundprinzip ist, dass 12-15 Einwohner*innen aus einem bestimmten Gebiet im Bezirk per Zufall aus dem Meldeamtsregister gezogen werden und bei internen und öffentlichen Versammlungen darüber diskutieren, wie sie ihren Ortsteil (Friedenau, Schöneberger Norden) besser machen können. Die Vorschläge der Bürger*innen sollen dann in die Arbeit des Bezirks und der BVV einfließen. Vorbild dafür ist das Partizipationsmodell, das schon seit 2006 im österreichischen Vorarlberg angewandt wird (mehr dazu hier).

Die Grünen bemängelten bei diesem Prozess, dass per Zufall ein Bezirksverordneter – der SPD! – mit in den Bürger*innenrat im Schöneberger Norden gezogen wurde und an den Diskussionen teilnahm. Während der Verordnete, namentlich Lars Rauchfuß, seines Zeichens Vorstand des Kreisverbandes der SPD Tempelhof-Schöneberg, sich bürger*innennah gab – er wohne eben im Schöneberger Norden und „nicht im Rathaus“, habe andere Teilnehmende des Rates sogar beim Einkaufen getroffen – kritisierte die Fraktion der Grünen, dass sich ein Bezirksverordneter in diesem Prozess schlecht Tipps für die eigene Arbeit geben könne. Rauchfuß wiederum tat dies als „elitäres Muster“ ab und argumentierte es gebe kein „oben und unten“ zwischen Bezirksverordneten und Einwohner*innen. Statt den Bürger*innenrat als „Lobbyarbeit“ zu sehen, solle es darum gehen, dass die Verwaltung mit den Bürger*innen ins Gespräch kommt und im Konsens etwas für die Stadtteile erwirke.

Jedoch ging es bei der Diskussion nicht nur darum, wer als Kandidat*in für den Beteiligungsprozess geeignet ist, sondern grundsätzlich, wie Beteiligung am besten gestaltet werden kann. Beispielsweise fragten die Grünen auch, wie Doppelstrukturen verhindert werden können. Schon seit zehn Jahren existiert etwa der Quartiersrat und seit zwanzig schon der Präventionsrat im Schöneberger Norden, wo jetzt ein Bürger*innenrat einberufen wurde. Fraktionsmitglied Annabelle Wolfsturm dankte Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler zunächst für die neue Beteiligungsform, monierte aber ein paar „Schönheitsfehler“. Auf die Frage „Wie können wir Friedenau lebenswerter machen?“ kamen nämlich aus dem Friedenauer Rat jeweils über 30 Empfehlungen an die Verwaltung und an die BVV. Um Frust in der Bevölkerung zu vermeiden, da die Umsetzung all dieser Empfehlung unwahrscheinlich ist, schlägt Wolfsturm vor, die Beteiligungsrunden auf 1-2 Themen zu fokussieren, die das Bezirksamt im Voraus festlegt. Auch Elisabeth Kiderlen lobte „was die SPD in Schöneberg macht“, gleichzeitig habe sie aber Angst vor „Wünsch-dir-was“.

„Nicht jeder Wunsch muss eine Woche später erfüllt werden“, sagte darauf Bezirksbürgermeisterin Schöttler, das sei nicht die Erwartung aus dem Prozess. Die offene Fragestellung sei richtig, aus den Ergebnissen der Runden könne man dann einzelne Schritte ableiten. Häufig würden sich bei öffentlichen Diskussionsrunden zu konkreten Fragen im Bezirk bestimmte Interessensgruppen beteiligen, aber beim Bürger*innenrat gehe es eben darum, zusammen über das Leben im Stadtteil zu reden – und nicht gegeneinander.

Schöne Idee, doch wie effektiv ist das? Und vor allem: wie teuer? Matthias Steuckardt, Fraktionsvorsitzender der CDU, sprach das Thema an. Er rechnete vor, dass der Bezirk insgesamt 230.000 Euro für die Bürger*innenräte ausgegeben habe, doch seien es „reine Alibi-Veranstaltungen“ gewesen. Ideen, wofür Geld ausgegeben werden muss, gebe es ja, wie aus dem Bürger*innenhaushalt 2015. Nur umgesetzt werden müssen sie, bei diesem Punkt wirkt Steuckardt wenig optimistisch. Es stört ihn zudem, dass die BVV nicht in die Konzeption der Beteiligung einbezogen wurde, aber Schöttler argumentiert, dass die Entscheidungsfrist für die finanziellen Mittel sehr kurz gewesen sei.

Die Bezirksbürgermeisterin ist optimistisch und sieht das Geld zumindest gut eingesetzt: Wenn man möglichst viele Menschen mit involviert, „haben wir ein anderes Politikverständnis und ein besseres Miteinander“, sagte sie. „Das hoffe ich noch zu erleben.“ Sie gab aber auch zu: „Wir müssen lernen, über viele Wege zu kommunizieren und wir haben auf dieser Ebene noch viel zu tun.“

Gut durchdachte Kommunikation ist auch wichtig, damit sich ein möglichst diverses Publikum angesprochen fühlt und motiviert ist, sich zu beteiligen, ob nun über die Räte, bei Dialogveranstaltungen zu neuen Bauprojekten oder als Einwohner*in bei der BVV. Dass das noch nicht so gut funktioniert, merkte SPD-Bezirksverordneter Axel Seltz an. Menschen nicht-deutscher Herkunft seien bei den aktuellen Beteiligungsformaten deutlich unterrepräsentiert, man befinde sich in einer „deutschsprachigen Mittelstandsblase“.

Baustadtrat Jörg Oltmann (B’90/Grüne) merkte übrigens am Rande der BVV an, dass es ihm bewusst ist, dass der ehemalige Flughafen als Standort für die Eröffnung des Werkstattverfahrens nicht ideal war – da zu weit von der eigentlichen „Neuen Mitte Tempelhof“. Doch es sei nicht einfach gewesen, Räumlichkeiten im Kiez zu finden, die groß genug für die Versammlung seien; viele Schulen seien an dem Abend belegt gewesen. Das hoffe er bei der nächsten Versammlung zu ändern. Außerdem sei die Veranstaltung nicht genügend und zu spät beworben worden. „Grundsätzlich ist das Ziel, die kommende Werkstatt am 3. Dezember wieder im Gebiet der Neuen Mitte Tempelhof stattfinden zu lassen“, schreibt die ausführende Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. – Text: Judith Langowski
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Diesen Text haben wir dem neuen Tagesspiegel-Newsletter für den Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg entnommen. Den Newsletter gibt es in voller Länge und kostenlos unter leute.tagesspiegel.de.
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Zur Autorin: Judith Langowski ist Redakteurin der Leute-Newsletter. Sie twittert und schreibt außerdem über Ungarn und Osteuropa. Kritik, Lob und Anregungen gerne an leute-j.langowski@tagesspiegel.de.