Intro
von Sigrid Kneist
Veröffentlicht am 19.10.2021
nun wird es also Grün-Rot statt Rot-Grün. Seit der vergangenen Woche steht fest, dass Grüne und SPD auch nach dieser Wahl eine Zählgemeinschaft in Tempelhof-Schöneberg eingehen wollen. Diesmal allerdings unter umgekehrten Vorzeichen, denn die Grünen haben am 26. September einen hauchdünnen Vorsprung vor den Sozialdemokraten eingefahren. Nach dem amtlichen Endergebnis konnten die Grünen 270 Stimmen mehr verbuchen als die SPD – das sind sogar fünf Stimmen mehr als nach dem vorläufigen Ergebnis. In den kommenden beiden Wochen werden die beiden Parteien jetzt über ein Zählgemeinschaftsvereinbarung verhandeln. Sie werden also festlegen, welche Projekte ihnen für die kommende Wahlperiode wichtig sind, und sie werden dem künftigen Bezirksbürgermeister zur notwendigen Mehrheit in der BVV verhelfen.
Auf Bezirksebene gibt es keine richtige Koalitionsbildung. Die Posten im Gremium Bezirksamt werden nach den Stimmenanteilen der Parteien vergeben, anders als auf Landesebene, wo eine Koalition den Senat stellt. Im Bezirksamt müssen auch Vertreterinnen und Vertreter von Parteien zusammenarbeiten und zu konsensualen Lösungen finden, die eventuell sonst nicht so gut miteinander können. Im jetzt sechsköpfigen Bezirksamt werden in Tempelhof-Schöneberg künftig jeweils zwei Vertreter der Grünen, der SPD und der CDU sitzen. Und ohnehin finden sich bei Abstimmungen in der Bezirksverordnetenversammlung manchmal durchaus kuriose Mehrheiten.
Wer bekommt welchen Posten? Nicht nur inhaltliche Fragen werden bei der Zählgemeinschaft festgelegt, sondern auch, wer welchen Geschäftsbereich im Bezirksamt übernimmt. Und vor allem auch, welche Partei den Bezirksbürgermeister stellen darf. Dies werden jetzt als stärkste Partei die Grünen sein: Ihr Spitzenkandidat Jörn Oltmann, der bisherige Baustadtrat, wird für die kommenden fünf Jahre den Chefposten innehaben. Das ist bisher der einzige Posten, der wirklich feststeht. Über alle anderen Positionen wird noch verhandelt werden. Aber dennoch gibt es bestimmte Konstellationen, die wahrscheinlicher sind als andere. Jetzt können wir also ruhig mal ein wenig spekulieren. Die Novellierung des Bezirksverwaltungsgerichts regelt nun auch berlinweit großteils, wie die Verantwortungsbereiche der Stadträtinnen und Stadträte kombiniert werden können. Jeder Dezernent hat verschiedene Ämter in seiner Verantwortung.
Das kann als sicher gelten: Die Grünen werden neben dem Bürgermeisteramt auch das Verkehrsressort übernehmen wollen. Sie sind extra mit Saskia Ellenbeck in den Wahlkampf gezogen. Die Verkehrsexpertin soll die Mobilitätswende und vor allem auch den Ausbau der Radwege im Bezirk vorantreiben. Verkehr ist im Geschäftsbereich „Öffentlicher Raum“ angesiedelt, dazu gehört unter anderem auch das Ordnungsamt. Als sehr wahrscheinlich gilt, dass der bisherige Jugend-, Schul- und Gesundheitsstadtrat Oliver Schworck (SPD), künftig zwar noch für Jugend und Gesundheit, aber nicht mehr für Schule zuständig sein wird. Über die derzeitige Situation des Schulamts, das Schworck die vergangenen fünf Jahre verantwortete hat meine Kollegin Susanne Vieth-Entus in einer Übersicht über die Arbeit der Berliner Bildungsstadträte geschrieben. Sie können ihren Artikel bei T+, dem Premiumangebot des Tagesspiegels lesen. Hier kommen Sie zu dem Artikel. Mehr über die Situation im Sportamt, das bisher ebenfalls in den Verantwortungsbereich Schworcks gehörte, lesen Sie in der Rubrik Sport.
Wichtiges Ressort. Die SPD könnte zudem für ihre Spitzenkandidatin, die bisherige Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler, den Bereich Stadtentwicklung übernehmen wollen, ein zentrales Ressort, das viel Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Schöttler gehört dem Bezirksamt bereits seit 20 Jahren an, zunächst zehn Jahre als Stadträtin, anschließend zwei Wahlperioden als Bezirksbürgermeisterin. Ob sie nach diesen langen Jahren im Bezirksamt wirklich nur Stadträtin werden möchte?
Was könnte an die CDU gehen? Sollte Grün-Rot die oben genannten Ressorts übernehmen, blieben zwei große Geschäftsbereiche übrig: Soziales/Bürgerdienste und Schule/Sport. Soziales gehörte bisher zu den Aufgabenbereichen von CDU-Stadtrat Matthias Steuckardt.
Weitere Bereiche. Kleinere Ämter wie Kultur, Facility Management, Umwelt müssen zudem noch verteilt werden. SPD und Grüne wollen die Zählgemeinschaftsvereinbarung bis zur konstituierenden Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung am 4. November abgeschlossen haben. Bei den Grünen müssen zuvor die Mitglieder befragt werden, das kann laut der Kreisvorsitzenden Nina Freund relativ kurzfristig bei einer Online-Mitgliederversammlung geschehen.
Sigrid Kneist arbeitet seit 1990 als Redakteurin in der Berlin-Redaktion des Tagesspiegels und lebt seit Mitte der neunziger Jahre in Mariendorf. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihr bitte eine E-Mail an leute-s.kneist@tagesspiegel.de