Kiezkamera

Veröffentlicht am 12.02.2019 von Sigrid Kneist

Zurechtgebogen. 1987, in dem Jahr der 750-Jahr-Feier Berlins, diskutierte die Stadt erregt über die acht Kunstwerke des sogenannten Skulpturenboulevards, die sich vom Wittenbergplatz bis zum Walther-Rathenau-Platz über Tauentzienstraße und Kurfürstendamm verteilten. Vor allem Olaf Metzels Werk bestehend aus aufgetürmten Absperrgittern am Joachimsthaler Platz und Wolf Vostells Beton-Cadillacs am anderen Ende in Halensee erzürnten etliche Berliner. Deswegen nahm man vielleicht kaum wahr, dass nur wenig entfernt davon auch ein Kunstwerk aufgestellt wurde. Die große Stahlskulptur Arc 124,5° des französischen Bildhauers Bernar Venet. Sie zeigt einen Kreisbogen genau in diesem Umfang. Dem Tagesspiegel war es damals nur ein paar Sätze wert, als das Kunstwerk am 2. Juli 1987 An der Urania der Öffentlichkeit übergeben wurde. Ein Geschenk Frankreichs. Der damalige Premierminister und spätere Staatspräsident Jacques Chirac enthüllte es. Der Termin war eingequetscht zwischen dem Startschuss für die erste Etappe der Tour de France, die aus Anlass der 750-Jahr-Feier in Berlin gestartet wurde, und dem Überreichen des Gelben Trikots an den Etappensieger.

Danach fristete das Kunstwerk auf dem Mittelstreifen der Straße ein unbeachtetes Dasein. „Seit drei Jahrzehnten gammelt die Skulptur vor sich hin. Der Standort ist reine Notlösung, ihre Längsposition an der Straße eine visuelle Katastrophe. Ein trauriger Fall für Kunst im öffentlichen Raum“ schrieb meine Kollegin Christiane Meixner vor anderthalb Jahren.

Jetzt gibt es wieder Streit. Allerdings nicht um das Kunstwerk, sondern um die Bäume, die es umgeben und die zum Teil auch schon standen, als die Skulptur installiert wurde, wie man auf dem Foto sieht (entnommen dem Katalog Bernar Venet, Sculptures). Die französische Botschaft und auch der Künstler drangen im vergangenen Jahr beim Senat und dem Bezirk darauf, dass die Stadt doch ein bisschen besser mit dem französischen Geschenk umgehen solle. Bäume sollen nun fallen, damit man wieder freien Blick auf die Kunst hat. Und die Zählgemeinschaft von SPD und Grünen im Rathaus Schöneberg ist in dieser Frage entzweit.

Die Grünen im Bezirk kämpfen vehement dafür, die Bäume zu erhalten – und zwar sämtliche. Sie waren mit einem ersten Antrag zunächst erfolgreich. Im November gab der für das öffentliche Grün zuständige Ausschuss die Empfehlung, dass alle Bäume erhalten werden sollten. Aber die BVV beschloss den Antrag schließlich doch nicht, sondern verwies ihn wieder zurück in den Ausschuss. Die Grünen halten es für ein Unding, dass jetzt ruckzuck beschlossen werden soll, alte Platanen zu fällen, ohne Alternativen zu prüfen, wie das Kunstwerk besser präsentiert werden kann, sagt der Bezirksverordnete Bertram von Boxberg. Auch die Bundestagsabgeordnete Renate Künast sprach sich für einen Verbleib der Bäume aus.

Im Januar war der Künstler Bernar Venet im Ausschuss zu Gast und diskutierte mit den Bezirksverordneten. „Ergebnis der vertieften Debatte ist unser Vorschlag, der aus meiner Sicht die unterschiedlichen Interessen und Belange gut ausbalanchiert“, sagt Jan Rauchfuß, SPD-Fraktionschef in der BVV. Acht Bäume sollen seinen Angaben zufolge jetzt fallen, und zwar nur jene, die unmittelbar neben dem Kunstwerk stehen. Dafür sollen als Ausgleich 20 junge Bäume gepflanzt werden Die Sozialdemokraten werden für einen gemeinsamen Antrag mit der Union und der FDP eine Mehrheit in der kommenden BVV am 20. Februar haben. Die Zeit drängt: Die Fällungen müssen aus Vogelschutzgründen bis Ende Februar vorgenommen werden. Danach ist es nur mit einer Ausnahmegenehmigung möglich – die vorsorglich beantragt wird.

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